2003
Meine Väter
Juni 2003


Meine Väter

Liebevolle, fürsorgliche Führer haben mir gezeigt, wie ein Vater sein kann.

An den meisten Schwierigkeiten meiner Familie war mein Vater schuld. Er war ein zorniger, verbitterter Mensch. Ich hatte große Angst vor ihm. Wenn er da war, war alles ungewiss und unberechenbar.

Unser Zuhause war ein trauriger Ort. Ich konnte spüren, wie Finsternis mich umhüllte, obwohl ich noch jung war. Zu Hause war es nicht schön. Ich wünschte mir einen Vater, der mich liebte, der sich um mich kümmerte und mich beschützte. Aber mein leiblicher Vater vermittelte mir nichts davon.

Deshalb flüchtete ich mich geradezu in die Kirche, wann immer er mich gehen ließ. Ich hielt mich gerne in der Kapelle auf, weil ich mich dort sicher fühlte. Aber ich war nervös, zurückhaltend und unsicher in meinem Verhältnis zum himmlischen Vater, denn ich wusste nicht, wie er wirklich war. In der Kirche lernte ich, dass ich noch einen weiteren Freund im Himmel habe, der mich liebte. Deshalb konzentrierte ich mich auf Jesus Christus und seine Liebe zu mir. Ich liebte ihn, weil meine JD-Führerinnen ihn liebten. Ich sah, wie glücklich sie waren, wenn sie über ihn sprachen. Ich bemühte mich sehr, die Gebote zu halten und alles zu tun, was er von mir erwartete.

Als unsere Jugendgruppe Taufen für Verstorbene plante, fragte ich mich, wie es wohl im Haus des himmlischen Vaters sein mochte. Erwartungsvoll betrat ich den Los-Angeles-Kalifornien-Tempel. Der Friede dort war überwältigend. Nichts hätte einen krasseren Gegensatz zu meiner irdischen Familie bilden können. Ich wagte kaum zu atmen, damit sich dieses Gefühl nicht verflüchtigte. Aber es erfüllte mich weiterhin.

Ich war gern im Tempel. Im Haus des Herrn brauchte ich keine Angst zu haben. Dort war es sicher, ruhig, friedlich und beruhigend. Dort wollte ich wohnen. Das Haus des himmlischen Vaters war voller Liebe. Ich war so glücklich. Ich nahm mir fest vor, würdig zu sein, wieder in sein Haus zu gehen.

Durch das, was ich in der Kirche und im Tempel erlebte, gelangte ich zu der Erkenntnis, dass der himmlische Vater ein liebevoller Vater ist. Er kümmert sich um mich und weiß, was ich brauche – sowohl körperlich als auch geistig.

Obwohl mein Vater Gottes Lehren nicht befolgte, ließ Gott mich anderen Männern begegnen, die mir auf eine Weise halfen, wie es ein guter Vater tun soll. Ich hatte einen wundervollen Bischof, der sich immer die Zeit nahm, mich zu begrüßen und mich zu fragen, wie es mir gehe. Bischof Hicken behandelte mich genauso wie die übrigen Jugendlichen in unserer Gemeinde. Er führte Gespräche mit uns, besuchte unsere Aktivitäten und lud uns zu Firesides zu sich nach Hause ein. Er war liebevoll, gütig und geduldig. Ich sah, wie er mit seiner Frau und seinen Kindern umging, und das half mir, den Glauben zu entwickeln, dass der himmlische Vater genauso sei. Bischof Hicken war ein glücklicher Mensch – voller Leben und Liebe. Ich versuchte, ein besseres Leben zu führen, weil er es von uns erwartete.

Was Verabredungen mit Jungen betrifft, war ich ein Spätzünder. Ich glaube, als ich meine erste Verabredung hatte, erfuhren alle davon – selbst mein Bischof. Der große Tag kam und der Junge holte mich ab. Als wir an einer roten Ampel anhalten mussten, fuhr das Auto hinter uns ganz vorsichtig gegen die Stoßstange unseres Autos. Als wir uns umdrehten, um zu sehen, wer da aufgefahren war, sah ich einen Mann an die Fahrerseite unseres Autos treten. Es war mein Bischof! Als der Junge das Fenster hinunterließ, sagte mein Bischof: „Das ist eines meiner Mädchen, und ich möchte, dass sie um zehn Uhr zu Hause ist!“ Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern, was diesen Abend betrifft, aber ich weiß noch, dass ich um zehn Uhr zu Hause war. Ich werde auch nie vergessen, dass ich „eines seiner Mädchen“ war und dass er mich liebte und sich um mich kümmerte. Da wusste ich, dass sich auch der himmlische Vater um mich kümmerte.

Ein weiterer „Vater“ in meinem Leben war ein Bruder aus der Pfahlpräsidentschaft. Präsident Merrill kam immer zu unseren Pfahl-Tanzveranstaltungen, JD-Lagern und Jugendkonferenzen.

Als ich mich anschickte, mein Zuhause zu verlassen und aufs College zu gehen, war Präsident Merrill der Meinung, ich bräuchte nun einen väterlichen Rat, ehe ich in die Welt hinausging. Seine Stimme war sanft und liebevoll. Ich konnte spüren, dass er sich Gedanken um mich machte. Ich wusste, dass er mich liebte. Er sagte mir, er würde sogar zum Salt-Lake-Tempel fahren, um bei meiner Hochzeit dabei zu sein.

Ein paar Jahre später rief ich meinen Vater an, um ihm mitzuteilen, dass ich mich verlobt hatte. Er reagierte kühl und gleichgültig. Nichts hatte sich geändert. Ich gab mir Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Dann betete ich zum himmlischen Vater, und der Geist erinnerte mich an Präsident Merrills Versprechen. Ich fragte mich, ob er wohl noch wusste, was er mir vor einigen Jahren versprochen hatte. Ob er das ernst gemeint hatte? Ich nahm das Telefon zur Hand und wählte seine Nummer. Am anderen Ende nahm Präsident Merrill den Hörer ab. Nach Worten suchend erzählte ich ihm von meiner Verlobung und fragte, ob er sich noch an das erinnern könne, was er mir versprochen hatte. „In welchem Tempel heiratest du denn?“, fragte er.

„Im Salt-Lake-Tempel“, gab ich zur Antwort.

„Dann komme ich“, sagte er. Er fuhr um meinetwillen dreizehn Stunden lang durch den Schnee. Als ich mit meinem Bräutigam den Siegelungsraum betrat, fiel mein Blick als Erstes auf Präsident Merrill. An jenem Tag war er mein Vater!

Noch heute, Jahre später, gehören diese „Väter“ zu meinem Leben. Sie haben heute andere Berufungen, und ihre Lebenssituation hat sich verändert, aber sie selbst sind nicht anders geworden. Sie sind beständig im Glauben, im Zeugnis und in ihrer Liebe zu mir und ihrem Interesse an mir. Von ihnen habe ich gelernt, dass ich dem himmlischen Vater vertrauen kann. Diese Männer haben es mir möglich gemacht, die Liebe und die Fürsorge des himmlischen Vaters spüren zu können.

Rosemarie Deppe gehört zur Gemeinde Jennings Lane, Pfahl Centerville Nord, Utah.