2019
Die zerbrochene Krippe
Dezember 2019


Die zerbrochene Krippe

Bild
broken nativity set

Illustration von Rose Datoc Dall

Als Kind konnte ich Weihnachten immer kaum erwarten. Wenn meine Mutter die Kisten mit Weihnachtsdekoration herausholte, wussten meine fünf Brüder und ich, dass der Advent begonnen hatte. Den Baum stellten wir immer alle gemeinsam auf. Ich erinnere mich noch an den selbst gemachten Baumschmuck und die vielen glänzenden, bunten Weihnachtskugeln.

Doch um einen Teil der Dekoration kümmerte sich meine Mutter ganz alleine. Meine Großmutter hatte meiner Mutter eine wunderschöne Krippe aus weißem Porzellan gemacht. Jedes Jahr stellte Mutter die Krippe auf dem großen Kaminsims im Wohnzimmer auf. Ich saß gerne da und schaute zu, wie sie jede Figur an ihren Platz stellte. Unter jeder Figur befestigte sie ein winziges, weißes Licht einer Lichterkette. Damit alles gut hielt, klebte sie ein Ende der Lichterkette auf dem Kaminsims fest. Dann steckte sie den Stecker in die Steckdose hinter dem Stuhl in der Ecke. Es war wunderschön anzusehen, wenn die Lichter auf dem Kaminsims erstrahlten.

Eines Abends kurz vor Weihnachten tobten meine Brüder herum. Die älteren jagten meinen jüngeren Bruder. Er versteckte sich schließlich hinter dem Stuhl neben dem Kaminsims. Als meine Brüder ihn entdeckten, wollte er schnell entwischen, doch sein Fuß verfing sich in der Lichterkette unter der Krippe. Das Klebeband hielt dem Zug seines Fußes nicht stand. Die filigrane Krippe rutschte vom Kaminsims, knallte unten auf die roten Ziegel und zerbrach in Stücke.

Mutter rannte ins Wohnzimmer. Als sie sah, was passiert war, brach sie in Tränen aus und ging in ihr Zimmer. Sie wusste, dass es keine Absicht gewesen war, doch es war nun mal passiert.

Nachdem wir an diesem Abend alle im Bett waren, holte Papa die Kehrschaufel und den Besen und fegte die Scherben vorsichtig auf. Er blieb die ganze Nacht wach und klebte die Teile zusammen.

Die Krippe hat einige Narben davongetragen. Der Kuh fehlt ein Ohr. Einem der heiligen Könige fehlt ein Teil des Gesichtes. Einer der Hirten besteht in manchen Bereichen mehr aus Kleber als aus Porzellan. Doch die zerbrochenen Figuren wurden wie durch ein Wunder repariert.

Meine Großmutter bot an, eine neue Krippe anzufertigen, doch Mutter lehnte ab. Sie erwiderte, dass ihr die Krippe jetzt sogar noch mehr bedeutete. Sie ist ein Sinnbild für die Hingabe ihres liebevollen Mannes und erinnert an unseren liebenden Erlöser.

An unserem täglichen irdischen Kampf können wir alle einmal in gewisser Weise zerbrechen. Mitunter haben wir vielleicht sogar den Eindruck, es sei unmöglich, uns wieder zusammenzusetzen. Doch wir haben einen Erretter, und er kann uns durch seine liebevolle Hand wieder heilen.