2014
Die schrecklichen Narben der Misshandlung können heilen
März 2014


Die schrecklichen Narben der Misshandlung können heilen

Nach Elder Scotts Ansprachen bei der Generalkonferenz im Frühjahr 1992 und im Frühjahr 2008.

Bild
Elder Richard G. Scott

Vielleicht hast du durch Misshandlung oder Missbrauch Narben davongetragen, doch diese Narben müssen nicht dauerhaft sein.

Bild
A young man sitting on the ground with his head in his hands. photo of young man covering head

Illustration von iStockphoto/Thinkstock

Ich spreche aus tiefstem Herzen zu allen, die durch die abstoßende Sünde der Misshandlung Narben davongetragen haben.

Seelische, körperliche oder sexuelle Misshandlung können schwere, bleibende Folgen nach sich ziehen, wenn man nicht durch den Herrn Heilung erlangt. Als Opfer hast du einiges davon erfahren. Dazu gehören Angst, Depression, Schuldgefühle, Selbsthass, der Verlust der Selbstachtung und die Abwendung von normalen menschlichen Beziehungen. Wenn die Misshandlung nicht aufhört und die Folgen noch schlimmer werden, kommen starke Gefühle wie Auflehnung, Zorn und Hass auf. Solche Gefühle richtet der Betroffene oft gegen selbst, gegen andere, gegen das Leben an sich und auch gegen den Vater im Himmel. Wenn man sich vergeblich bemüht zurückzuschlagen, kann es zu Drogenmissbrauch, Unmoral, Abwendung von der Familie und in extremen Fällen tragischerweise zu Selbstmord kommen. Wenn man diese Gefühle nicht loswird, führen sie oft zu einem Leben in Verzweiflung, zu Spannungen in der Ehe oder sogar dazu, dass das Opfer selbst zum Täter wird, der andere misshandelt. Eine schreckliche Folge ist die, dass man kaum noch imstande ist, einem anderen Menschen zu vertrauen, was die Heilung sehr erschwert.

Damit dir geholfen werden kann, musst du einiges über ewige Gesetze wissen. Du bist misshandelt oder missbraucht worden, indem ein anderer Mensch einen unredlichen Angriff auf deine Freiheit unternommen hat. Da sich alle Kinder des himmlischen Vaters frei entscheiden dürfen, kann es Menschen geben, die sich bewusst den Geboten widersetzen und dir Schaden zufügen. Solches Handeln schränkt deine Freiheit vorübergehend ein. Um der Gerechtigkeit willen und als Ausgleich macht der Herr es dir möglich, die zerstörerischen Folgen zu überwinden, die das Handeln anderer entgegen deinem Willen verursacht hat. Diese Hilfe erlangst du dadurch, dass du ewige Wahrheiten beherzigst, und zwar mit Unterstützung durch das Priestertum.

Du musst wissen, dass die schlechten Entscheidungen anderer deine Entscheidungsfreiheit nur dann völlig aufheben können, wenn du es zulässt. Was ein anderer tut, kann dir Schmerzen und Angst bereiten und dir sogar körperlich Schaden zufügen, aber es kann dir in diesem kurzen, aber so wichtigen Erdenleben nicht den Weg in die Ewigkeit verbauen. Du musst eines wissen: Du hast die Freiheit, die schrecklichen Folgen der Misshandlung zu überwinden. Deine Einstellung kann beeinflussen, dass dein Leben eine Wendung zum Positiven nimmt, und ob du die Hilfe in Anspruch nimmst, die der Herr dir geben möchte. Niemand kann dir die Möglichkeiten rauben, die dir letztlich offenstehen, wenn du die ewigen Gesetze kennst und danach lebst. Die Gesetze des Vaters im Himmel und das Sühnopfer des Herrn machen es möglich, dass du der Möglichkeiten, die sich den Kindern Gottes bieten, nicht beraubt wirst.

Du fühlst dich vielleicht durch jemanden bedroht, der Macht über dich hat und dich beherrscht. Du hast vielleicht das Gefühl, dass du in der Falle steckst, und siehst keinen Ausweg. Bitte glaube mir: Der Vater im Himmel will nicht, dass du durch unredlichen Einfluss, durch die Androhung von Zwang oder durch die Angst vor den Auswirkungen auf den Angehörigen, der dich misshandelt, in die Enge getrieben wirst. Vertraue darauf, dass der Herr dir einen Ausweg zeigen wird. Bitte voll Glauben, zweifle nicht (siehe Jakobus 1:6; Enos 1:15; Moroni 7:26; LuB 8:10; 18:18).

Ich bezeuge feierlich: Wenn du durch die Gewalttätigkeit, die Perversion oder die blutschänderischen Handlungen eines anderen schreckliche Verletzungen davonträgst, bist du dafür nicht verantwortlich und brauchst dich auch in keiner Weise schuldig zu fühlen. Die Misshandlung mag Narben hinterlassen, aber die Narben müssen nicht dauerhaft sein. Nach dem ewigen Plan, nach dem Zeitplan des Herrn, können solche Verletzungen heilen, wenn du das Deine dazutust. Hier nun ein paar Vorschläge.

Lass dir helfen

Wenn du misshandelt wirst oder in der Vergangenheit misshandelt worden bist, lass dir jetzt helfen. Vielleicht vertraust du niemandem und hast das Gefühl, dass es nirgendwo zuverlässige Hilfe gibt. Beginne mit dem ewigen Vater und seinem geliebten Sohn, deinem Erlöser. Bemühe dich, ihre Gebote zu begreifen und zu befolgen. Sie werden dich zu Menschen führen, die dich bestärken und dir Mut machen. Du kannst dich an einen Priestertumsführer, normalerweise an den Bischof, mitunter auch an jemanden von der Pfahlpräsidentschaft wenden, denn diese Brüder können eine Brücke zu tieferer Einsicht und zur Heilung bauen. „Der Mensch kann nur dann etwas für sich selbst tun, wenn Gott ihm den richtigen Weg dazu weist, und das Priestertum dient diesem Zweck.“ (Lehren der Präsidenten der Kirche: Joseph Smith, Seite 120.)

Wende dich vertrauensvoll an deinen Bischof oder Zweigpräsidenten. Seine Berufung erlaubt es ihm, als Werkzeug des Herrn für dich tätig zu werden. Er kann dir die Grundlagen aus der Lehre erläutern, die dich dein Gleichgewicht wiedererlangen lassen. Wenn du einen tieferen Einblick in die ewigen Gesetze erlangst und sie befolgst, kann die Heilung stattfinden, die du brauchst. Der Bischof hat das Recht, sich vom Herrn für dich inspirieren zu lassen. Er kann das Priestertum zu deinem Segen einsetzen.

Dein Bischof kann dir helfen, vertrauenswürdige Freunde zu finden, die dich unterstützen. Er wird dir helfen, dein Selbstbewusstsein und deine Selbstachtung wiederzufinden, damit die Erneuerung beginnen kann. In extremen Fällen kann er dir helfen, Schutz zu suchen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, die mit den Lehren des Herrn im Einklang steht.

Grundlagen der Heilung

Ich gehe auf einige Grundlagen der Heilung ein, damit du sie besser verstehst:

Erkenne, dass du ein Kind des Vaters im Himmel bist, der dich liebt. Er liebt dich mit vollkommener Liebe und kann dir helfen, wie kein Vater, keine Mutter, kein Ehepartner, keine Freundin, kein Freund es vermag. Sein Sohn hat sein Leben hingegeben, damit du durch den Glauben an ihn und durch Gehorsam gegenüber seinen Lehren genesen kannst. Er kann heilen wie kein anderer.

Lerne, auf die Liebe und das Mitgefühl deines ältesten Bruders, Jesus Christus, zu vertrauen, indem du über die heiligen Schriften nachsinnst. So wie zu den Nephiten sagt er auch zu dir: „Ich habe Mitleid mit euch; mein Inneres ist von Barmherzigkeit erfüllt. … Ich sehe, dass ihr genügend Glauben habt, sodass ich euch heilen kann.“ (3 Nephi 17:7,8).

Am besten beginnt die Heilung damit, dass du den Vater im Himmel in aufrichtigem Gebet um Hilfe bittest. Wenn du deine Entscheidungsfreiheit auf diese Weise gebrauchst, kann der Herr eingreifen, und wenn du dies zulässt, erweicht dir die Liebe des Heilands das Herz und durchbricht den Kreislauf der Misshandlung, die das Opfer zum Täter machen kann. Unglück, auch wenn es bewusst durch die ungezügelten Triebe eines anderen verursacht wurde, kann zu einer Quelle inneren Wachstums werden, wenn man es im Licht der Ewigkeit betrachtet (siehe LuB 122:7).

Verschwende als Opfer keine Mühe darauf, dich an deinem Peiniger zu rächen. Konzentriere dich auf die Aufgabe, alles zu tun, was du kannst, damit für dich alles in Ordnung kommt. Überlasse den Täter den Zivilbehörden und kirchlichen Autoritäten. Was immer die Schuldigen tun – eines Tages werden sie vor dem vollkommenen Richter stehen. Irgendwann wird derjenige, der einen anderen misshandelt hat und nicht umgekehrt ist, vom gerechten Gott bestraft werden. Straftäter, denen Unschuldige zum Opfer fallen und die ihr verderbtes Leben rechtfertigen, indem sie auch andere dazu verleiten, ihre lasterhaften Wege zu gehen, werden irgendwann zur Rechenschaft gezogen. Über solche Menschen hat der Herr gesagt: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.“ (Matthäus 18:6.)

Mache dir bewusst, dass die Heilung sehr lange dauern kann. Sie erfolgt meist schrittweise. Aber sie wird beschleunigt, wenn man dem Herrn für jede kleine Verbesserung, die man bemerkt, dankt.

Vergebung

Bild
A young woman sitting on a concrete wall looking out over the ocean. photo of a blond girl looking out toward the sea

Während der langwierigen Genesungsphase nach einer schweren Operation wartet der Patient geduldig auf Heilung und vertraut sich der Obhut anderer an. Ihm ist zwar nicht immer klar, wie wichtig die ihm verschriebene Behandlung ist, aber wenn er sich daran hält, wird die Genesung beschleunigt. Das gilt auch für dich, wenn du darum ringst, dass die Narben, die der Missbrauch hinterlassen hat, heilen. Vergebung mag beispielsweise schwer zu verstehen sein, und noch schwerer ist es, Vergebung zu üben. Halte zunächst nur dein Urteil zurück. Du weißt nicht, was der Täter vielleicht einmal als unschuldiges Opfer erlitten hat. Du darfst ihm den Weg zur Umkehr nicht versperren. Überlass den Täter anderen. Wenn dein Schmerz allmählich nachlässt, fällt es dir leichter, voll und ganz zu vergeben.

Du kannst nicht auslöschen, was geschehen ist, aber du kannst vergeben (siehe LuB 64:10). Vergebungsbereitschaft heilt auch schreckliche, tragische Wunden, denn sie lässt zu, dass die Liebe Gottes dich ganz und gar vom Gift des Hasses reinigt. Sie reinigt dein Bewusstsein von dem Verlangen nach Rache. Sie schafft Platz für die reinigende, heilende Liebe des Herrn.

Der Herr hat gesagt: „Liebt eure Feinde, segnet die, die euch fluchen, tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch misshandeln und verfolgen.“ (3 Nephi 12:44; Hervorhebung hinzugefügt.)

Bitterkeit und Hass sind schädlich. Sie ziehen viel Destruktives nach sich. Sie verzögern die Linderung und Heilung, nach der du dich sehnst. Durch Ausreden und Selbstmitleid wird womöglich aus dem Opfer ein Täter. Lass Gott richten – du kannst es nicht so gut wie er.

Es nützt nichts, wenn man dir rät, die Misshandlung einfach zu vergessen. Du musst die Grundsätze kennen, die dir Heilung verschaffen. Die Heilung kann mit einem fürsorglichen Bischof oder Pfahlpräsidenten oder einem verständigen professionellen Berater beginnen. Wenn du ein gebrochenes Bein hättest, würdest du auch nicht auf die Idee kommen, es selbst zu richten. Auch bei schwerer Misshandlung ist professionelle Hilfe nützlich. Es gibt viele Wege, die Heilung einzuleiten, doch vergiss nicht, dass vollständige Genesung durch den Erretter zuwege gebracht wird, den Herrn Jesus Christus, unseren Meister und Erlöser. Glaube daran, dass sein vollkommenes, ewiges, unbegrenztes Sühnopfer dich von dem Leid, das sich aus den Folgen der Misshandlung ergibt, heilen kann, wenn du dich darum bemühst.

Wie unmöglich dir das jetzt auch vorkommen mag: Die Heilung, die dir vom Erlöser zukommt, wird dich mit der Zeit in die Lage versetzen, dem Täter wahrhaftig zu vergeben. Wenn du die Tat vergeben kannst, werden dir der Schmerz und der Kummer genommen, den der Satan in dein Leben tragen möchte, indem er dich dazu bringt, den Täter zu hassen. Wenn dir diese Vergebung gelingt, wirst du größeren Frieden verspüren. Wenn aber der Gedanke an Vergebung – auch wenn diese ein wichtiger Teil der Heilung ist – dir nur mehr Schmerz bereitet, dann überspringe diesen Schritt, bis du selbst mehr Erfahrung mit der heilenden Macht des Erlösers gemacht hast.

Eine Warnung

Ich möchte dich vor zwei unangebrachten therapeutischen Maßnahmen warnen, die dir vielleicht mehr schaden als nützen, und zwar: die übermäßige Auslotung jeder kleinsten Einzelheit dessen, was du in der Vergangenheit erlebt hast, vor allem wenn dazu tiefgehende Gruppengespräche gehören, und die Neigung, den Täter für jede Schwierigkeit, die du hast, verantwortlich zu machen.

Der Schaden, der durch Misshandlung oder Missbrauch angerichtet worden ist, sollte im Stillen und vertraulich behoben werden – zusammen mit einem Priestertumsführer, dem du vertraust, und gegebenenfalls zusammen mit dem qualifizierten Therapeuten, den er dir empfiehlt. Es muss ausführlich allgemein über die Misshandlung gesprochen werden, damit du die entsprechenden Ratschläge erhältst und der Täter dir nicht noch mehr antun kann. Dann begrabe die Vergangenheit mit der Hilfe des Herrn.

Ich bezeuge in aller Demut, dass das, was ich gesagt habe, wahr ist. Es beruht auf ewig gültigen Grundsätzen. Ich habe gesehen, wie der Herr sie eingesetzt hat, um Menschen, die durch böse Misshandlung Narben davongetragen hatten, zu einem erfüllten Leben zu verhelfen.

Wenn du meinst, es gebe nur einen dünnen Faden der Hoffnung, dann glaube mir, es ist kein Faden. Es ist vielmehr das unzerbrechliche Bindeglied zum Herrn, das dir sozusagen als Rettungsring dient. Er heilt dich, wenn du aufhörst, dich zu fürchten, und dein Vertrauen in ihn setzt, indem du dich bemühst, nach seinen Lehren zu leben.

Bitte den Herrn jetzt, dir zu helfen (siehe Mormon 9:27; Moroni 7:26,33). Beschließe jetzt, mit deinem Bischof zu reden. Betrachte nicht alles, was du erlebst, durch eine Brille, die durch die Narben der Misshandlung getrübt ist. Es gibt so viel Schönes im Leben. Öffne die Fenster deines Herzens und lass die Liebe des Herrn herein. Und sollten hässliche Gedanken an die Misshandlung aus der Vergangenheit zurückkommen, dann denke an Jesus Christus und an seine heilende Kraft. Dann wird sich deine Verzweiflung in inneren Frieden und Zuversicht wandeln. Du wirst ein hässliches Kapitel abschließen und ganze Bände voller Glück aufschlagen.