2012
Mein Lied ist der Herr
März 2012


Mein Lied ist der Herr

Tom Sullivan, Arizona, USA

Da ich in einer Kleinstadt in Arizona lebte, deren Einwohner überwiegend Mitglieder der Kirche Jesu Christi waren, wurde ich oft von Missionaren oder Mitgliedern der Kirche angesprochen. Man lud mich häufig ein, mit meinen Kindern zur Kirche zu kommen oder in den heiligen Schriften zu lesen oder beides. Ich hatte keinerlei Interesse daran, bedankte mich aber höflich für das uns entgegengebrachte Interesse.

Als ich die Frau kennenlernte, die später meine Frau werden sollte, teilte sie mir mit, dass sie der Kirche Jesu Christi angehörte. Ich bewunderte ihre geistige Gesinnung und willigte ein, mit ihr in die Kirche zu gehen, wenn wir verheiratet waren. Ich hielt Wort, ging regelmäßig mit und fand sogar Gefallen an der Atmosphäre und der Kameradschaft. Aber obwohl ich die heiligen Schriften las, zur Kirche ging und alleine und mit der Familie betete, zweifelte ich nach wie vor an der Existenz Gottes. Trotz aller Anstrengungen wollte es mir nicht gelingen, mich von meinen agnostischen Wurzeln zu lösen. Da ich mich Gott nicht näher fühlte als anfangs, lehnte ich jegliche Aufforderung zur Taufe höflich ab.

Als ich bereits sechs Jahre regelmäßig zur Kirche gegangen war, verstarb plötzlich mein Vater, der in der US-Armee gedient hatte. Meine Familie und ich hatten den Wunsch, dass an seinem Grab ein Zapfenstreich gespielt wurde, und da ich Berufsmusiker bin, wurde ich gebeten zu spielen. Ich hatte schon bei zahlreichen Beisetzungen am Grab gespielt, aber dies war die Beerdigung meines Vaters. Das war etwas anderes. Außerdem hatte ich bei der Beerdigung meiner Mutter erlebt, dass ich nicht gut spielen konnte, weil ich gefühlsmäßig so aufgewühlt war. Ich war aber fest entschlossen, mich beim Spielen nicht von meinen Gefühlen behindern zu lassen, wie es bei ihrer Beisetzung der Fall gewesen war.

Ein paar Minuten vor der Beisetzung wollte ich mich einspielen. Ich war nervös. Nachdem ich einige wenige Töne kurz angespielt hatte, war mir klar, dass ich wieder scheitern würde. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich begann zu weinen. Ich musste schluchzen und konnte nicht mehr richtig atmen. Wie sollte ich nur spielen?

Es ging mir nicht um Anerkennung. Ich wollte nur meinem Vater Ehre erweisen. Als ich zu spielen begann, stellte ich fest, dass ich kaum Luft bekam. Für gewöhnlich bat ich nie jemanden um Hilfe, aber jetzt blieb mir nichts anderes übrig. Der erste Ton klang sehr schwach. Im Herzen flehte ich den Vater im Himmel an: „Bitte!“ Als ich den zweiten Ton spielte, füllten sich meine Lungen, und mein Horn brachte überraschend einen wunderschönen Ton hervor. Ich spielte das ganze Stück sehr viel besser, als ich es eigentlich konnte. Nach dem letzten Ton war ich plötzlich außer Atem. Ich weinte und rang nach Luft.

Als Musiker kenne ich meine Stärken und Schwächen sehr gut. Kurz gesagt hätte ich selbst unter idealsten Bedingungen nicht so gut spielen können. Es war offensichtlich, dass der Vater im Himmel mein Flehen erhört und mir Kraft gegeben und mich befähigt hatte, meinem irdischen Vater die letzte Ehre zu erweisen. Für mich war das ein besonderes Zeugnis dafür, dass der Vater im Himmel uns auf eine Weise Antwort gibt, die wir verstehen können. Seine Antwort in meiner Not machte mir bewusst, dass er schon immer darauf gewartet hatte, sich mir mitteilen zu können.

Nach einigen Monaten überwand ich meinen agnostischen Standpunkt und schloss mich der Kirche an. Mich taufen zu lassen war ein Schritt, der großen Glauben erforderte, aber ich wusste, dass der Vater im Himmel mich segnen würde. Mein Erlebnis mit dem Zapfenstreich hatte mich gelehrt, dass Gott mir gemäß meinen Bedürfnissen und meiner Erkenntnis Antwort auf meine Gebete gibt.