2008
Ein Gespräch mit Vater
Februar 2008


Ein Gespräch mit Vater

Wir hatten eben in der Hütte meiner Großeltern zu Abend gegessen. Ich spielte gerade draußen mit meinen fünf jüngeren Brüdern, da kam mein Vater heraus und rief nach mir.

Wenn man von seinem Vater so gerufen wird, hat man natürlich Angst, man könnte Ärger bekommen. Also trottete ich zu ihm hinüber und murmelte: „Was ist?“

Überraschenderweise fragte er: „Wie wär’s, hättest du Lust, mit mir Motorrad zu fahren?“ Ich bin sicher, dass meine Augen so groß waren wie Golfbälle, als ich rasch antwortete: „Ja, natürlich will ich!“

Schon bald waren wir, mein Vater voran, auf unseren Motorrädern unterwegs. Wir nahmen einen Weg, der sich durch den herrlichen Wald windet, der die Hütte umgibt, und dann einen Hügel hinaufführt. Während unserer Fahrt war ich so begeistert, dass ich das Gas kaum drosseln konnte. Ein, zwei Mal musste mein Vater mich auffordern, langsamer zu fahren.

Mir ging vieles durch den Kopf, während wir fuhren. Ich war neugierig, warum gerade mir, nicht aber meinen Brüdern, dieses besondere Vergnügen vergönnt war. Als wir ganz oben auf dem Berg waren, sagte mein Vater: „Das sieht nach einem netten Rastplatz aus.“ Also parkten wir die Motorräder und setzten uns auf Felsbrocken, von denen aus man den Wald überblicken konnte. Wir schwiegen beide einen Augenblick und genossen die schöne Umgebung. Als ich kurz zu meinem Vater hinüberschaute, bemerkte ich seinen nachdenklichen, starren Blick und wusste, dass etwas bevorstand.

Er und ich hatten eigentlich nie viel miteinander gesprochen. Vermutlich fiel es ihm einfach zu schwer, sich jemand anderem als meiner Mutter mitzuteilen. Da unterbrach er meine Gedanken und sagte: „Kjersten, deine Mutter und ich haben miteinander gesprochen und festgestellt, dass du reif genug bist, einige Einzelheiten über unsere Ehe und Familie zu erfahren.“ An seinen Worten und daran, wie er es sagte, konnte ich erkennen, dass er dieses Gespräch schon eine ganze Weile geplant hatte.

Anfangs sprach er nur leise. „Deine Mutter und ich begegneten uns zum ersten Mal auf der Feuerwache, wo ich als Student Feuerwehrmann war. Sie arbeitete dort im Büro. Bald gingen wir miteinander aus, und mir wurde klar, dass sie anders war als die anderen jungen Frauen, mit denen ich zuvor ausgegangen war. Ich war ein unbekümmerter junger Mann, der in einer anderen Kirche aufgewachsen war. Aber eigentlich hatte ich der Religion nie allzu große Beachtung geschenkt.

Es gab damals nur sehr wenige Werte oder Ziele für mich“, setzte er hinzu, „ich machte mir einfach keine Gedanken.“ Er beugte sich vor und vertraute mir an: „Kjersten, deine Mutter war ein leuchtendes Beispiel für ein rechtschaffenes Leben. So etwas hatte ich noch nie erlebt.“ Als er das sagte, durchströmte mich ein warmes Gefühl.

Mein Vater erzählte mir Einzelheiten über die Hochzeit, meine Geburt und unsere Familie, die ich nie zuvor gehört hatte. Er schilderte mir auch, wie er sich zur Kirche bekehrt hatte und dass Mutter und er, die zunächst standesamtlich geheiratet hatten, ein Jahr warten mussten, ehe sie im Tempel gesiegelt werden konnten. Außerdem erzählte er mir von einigen Abenteuern, die die beiden in diesem ersten Ehejahr durchlebt hatten. Zum ersten Mal klärten sich einige offene Fragen. Endlich verstand ich, warum Hochzeits- und Siegelungsdatum meiner Eltern nicht identisch waren und warum sie ihr erstes Ehejahr als ihr schwerstes überhaupt bezeichneten.

Während er mir all das erzählte, wurde sein Blick manchmal traurig und ein andermal lächelten seine Augen. Ich weiß nicht mehr genau, wie viel ich damals davon verstand, aber ich erinnere mich deutlich, dass ich ein Wechselbad von Gefühlen durchlebte – Erstaunen, Verwirrung und Liebe.

Dieses Erlebnis berührte mich sehr. Ich erkannte, welch ein Wunder eine Familie ist, und verstand Gottes Plan besser. Außerdem wuchs mein Glaube an das Evangelium, und ich war dankbar dafür, wie es sich auf unser Leben auswirken kann. Wir haben so manches auf diesem Berg besprochen, aber eines werde ich nie vergessen. Nie habe ich so große Dankbarkeit im Herzen verspürt wie damals, als mein Vater mir erzählte, wie sehr er Gott, das Evangelium, meine Mutter und unsere Familie liebt. Ich erkannte, wie oft das Evangelium sein Leben berührt hatte und ebenso meines.

Mein Vater und ich kamen uns an jenem Tag sehr nahe. Erstmals erlebte ich ihn als echten Menschen, der etwas fühlt, und nicht nur als jemanden, der die Regeln aufstellt und dessen Erlaubnis ich brauchte, um Spaß zu haben. Ich denke, dass mein Vater auch mehr über mich erfahren hat. Ich werde dieses besondere Gespräch mit meinem Vater und das Gefühl von Liebe und Verständnis, das uns verband, immer in Erinnerung behalten.