2006
Ein Sinn für Heiliges
Juni 2006


Ein Sinn für Heiliges

Vor einiger Zeit wohnte eine junge Frau aus einem anderen US-Bundesstaat für ein paar Wochen bei Verwandten. Am ersten Sonntag erschien sie in der Kirche in einer schlichten, hübschen Bluse und mit einem knielangen Rock, kombiniert mit einer hellen Strickjacke. Sie trug Strümpfe und dazu passende Schuhe, und ihr Haar war einfach, aber sorgsam frisiert. Insgesamt bot sie ein jugendliches, anmutiges Erscheinungsbild.

Leider fühlte sie sich sofort fehl am Platz. Anscheinend trugen alle anderen jungen Frauen, die ungefähr in ihrem Alter waren, Freizeitröcke, die in einiger Entfernung vom Knie endeten, enge, T-Shirt-artige Oberteile, die an der Hüfte kaum den Rock berührten, weder Socken noch Strümpfe und klobige Turnschuhe oder Flipflops.

Es wäre zu wünschen gewesen, dass die anderen Mädchen nach Ankunft der Neuen gemerkt hätten, wie wenig ihr Kleidungsstil zur Kirche und zum Sabbat passte, und dass sie sich sofort eines Besseren besonnen hätten. Leider war dem jedoch nicht so. Vielmehr passte sich der Gast, um nicht aufzufallen, der Mode seiner Gastgemeinde an.

Dieses Beispiel macht eine Sache deutlich, die mir Sorgen bereitet. Im Hinblick auf die Gesellschaft im Allgemeinen befürchte ich, dass etliche aus meiner Generation versäumt haben, der jungen Generation ein Gespür für Heiliges zu vermitteln. Mit diesem Artikel kann ich Ihnen hoffentlich helfen, Ihre Fähigkeit zu verbessern, Heiliges zu erkennen und allem Heiligen mit Ehrfurcht zu begegnen. Es gibt viele heilige Dinge, vor denen wir Ehrfurcht haben sollen – die heiligen Schriften, Propheten, unser Körper, die Gottheit –, aber ich will mich jetzt auf heilige Stätten und Veranstaltungen konzentrieren.

Ein Großteil dessen, was ich vermitteln will, kann man nicht einfach weitergeben. Es muss von innen heraus wachsen. Wenn ich Ihnen aber helfen kann, über das eine oder andere nachzudenken, kann der Geist in Ihnen wirken, sodass Sie niemanden mehr brauchen, der Ihnen sagt, was heilig ist und wie Sie damit umgehen sollen – Sie werden es selbst spüren. Es wird ein Teil Ihres Wesens; größtenteils ist es das eigentlich schon.

Sonntagskleidung

Unsere Tempel und Gemeindehäuser sind dem Herrn als heilige Orte geweiht. An jedem Tempel stehen die Worte Heilig dem Herrn – Haus des Herrn. Ein Sinn für Heiliges sollte uns dazu bewegen, in solchen Gebäuden und um sie herum mit Ehrfurcht zu handeln und zu reden. Er sollte uns dazu bewegen, uns in bestimmter Weise zu kleiden, wenn wir dort sind.

So, wie unanständige Kleidung den Körper – die heiligste Schöpfung Gottes – entehrt, ist unanständige, nachlässige oder schlampige Kleidung und Aufmachung zu heiligen Anlässen und an heiligen Orten eine Missachtung der Heiligkeit des Hauses des Herrn und dessen, was dort geschieht.

Vor Jahren musste meine Gemeinde in Tennessee für den sonntäglichen Gottesdienst in ein Schulgebäude ausweichen, weil unser Gemeindehaus wegen Sturmschäden repariert werden musste. Eine andere Glaubensgemeinschaft nutzte die Schulräume ebenfalls, solange an ihrer neuen Kirche gebaut wurde.

Ich war entsetzt, was die Mitglieder dieser Gemeinschaft für die Kirche anzogen. Keiner der Männer trug einen Anzug oder eine Krawatte. Sie sahen alle aus, als seien sie gerade auf dem Weg vom oder zum Golfplatz. Es war kaum eine Frau dabei, die ein Kleid trug oder etwas anderes als ganz einfache Hosen oder sogar Shorts. Hätte ich nicht gewusst, dass die Leute zum Gottesdienst in die Schule kommen, hätte ich angenommen, dass irgendwo eine Sportveranstaltung stattfindet.

Das Äußere der Mitglieder unserer Gemeinde hob sich sehr wohltuend von diesem Beispiel ab, aber allmählich scheint mir, dass wir nicht mehr ganz so verschieden sind, je mehr wir uns offenbar dem niedrigeren Niveau nähern. Bei uns war immer von der „Sonntagskleidung“ die Rede. Jeder wusste, damit waren die besten Sachen gemeint, die man hatte. Wie die Kleidung im Einzelnen aussah, hing von den Landessitten und den wirtschaftlichen Verhältnissen ab, aber immer war es die beste.

Es ist für Gott eine Beleidigung, wenn man – zumal an seinem heiligen Tag – nicht so sorgfältig und anständig frisiert und gekleidet, wie man es sich nur leisten kann, in sein Haus kommt. Wenn ein Mitglied aus dem peruanischen Bergland einen Fluss überqueren muss, um in die Kirche zu kommen, wird der Herr gegen den Schmutzwasserfleck auf seinem weißen Hemd sicher nichts einzuwenden haben. Aber wie soll Gott nicht betrübt sein, wenn er jemand sieht, der mehr Kleider hat, als er brauchen kann, und der ohne Weiteres in die Kirche kommen kann und dort trotzdem in zerknitterten Freizeithosen und T-Shirt auftaucht.

Ich habe bei meinen Reisen um die Welt die Erfahrung gemacht, dass die Mitglieder, die am wenigsten haben, immer einen Weg finden, ordentlich und sauber gekleidet in ihren besten Sachen zu den Versammlungen am Sabbat zu erscheinen, während ausgerechnet diejenigen, die mehr als genug haben, gelegentlich nachlässig, bisweilen sogar schlampig gekleidet sind.

Ist Kleidung wichtig?

Manche meinen, auf Kleidung oder Frisur käme es nicht an – sie sagen, nur die inneren Werte zählten. Ich finde ja auch, dass es beim Menschen eigentlich auf die inneren Werte ankommt, aber gerade das gibt mir zu denken. Nachlässige Kleidung an heiligen Orten und bei heiligen Anlässen zeigt doch an, wie es in einem aussieht. Es mag Stolz, Rebellion oder sonst etwas dahinter stecken, aber es bedeutet zumindest: „Ich kapiere es nicht, ich verstehe den Unterschied zwischen heilig und weltlich nicht.“

Wenn es so um jemanden steht, lässt er sich leicht vom Herrn abbringen. Er weiß den Wert dessen, was er hat, nicht zu schätzen. So jemand macht mir Sorgen. Solange er nicht etwas mehr Erkenntnis erlangt und ein wenig Gespür für Heiliges entwickelt, läuft er Gefahr, eines Tages das Allerwichtigste zu verlieren. Sie sind ein Heiliger in der großen Evangeliumszeit in den Letzten Tagen – sehen Sie auch danach aus!

Diese Grundsätze gelten für Veranstaltungen oder Ereignisse, die an sich heilig sind, oder die Ehrfurcht gebieten: eine Taufe, Konfirmierung, Ordinierung, Krankensegen, das Abendmahl und dergleichen mehr. Im Buch Lehre und Bündnisse steht, dass in den heiligen Handlungen des Priestertums „die Macht des Göttlichen kundgetan“ wird (LuB 84:20). Ich bin dankbar für Priester, Lehrer und Diakone, die mit Krawatte und ordentlichem Hemd (nach Möglichkeit weiß) das Abendmahl segnen und austeilen. Sie beweisen, dass sie für Gott und das Ereignis dankbar sind und Respekt davor haben.

Vor kurzem las ich eine Mitteilung von einem Mann, der seine Mitarbeiter dazu aufforderte, bei einer öffentlichen Veranstaltung, bei der seine Firma gewürdigt werden sollte, mit Anzug und Krawatte zu erscheinen. Es ging dabei ums Geschäft und nicht um etwas Kirchliches und es war nichts Heiliges dabei, aber er hatte doch den Grundsatz verstanden, dass es Dinge gibt, die Respekt verlangen, und dass wir diesen auch durch unsere Kleidung zum Ausdruck bringen. Er sagte, er werde sich nicht deshalb feiner anziehen, weil er so wichtig sei, sondern weil der Anlass so wichtig sei. In dieser Aussage steckt eine große Wahrheit. Es geht eigentlich nicht um uns. Wenn wir mit unserem Auftreten und unserer Kleidung heilige Ereignisse und Orte ehren, geht es um Gott.

Ehrfurcht bringt uns Segen

Wenn Sie zunehmend Ehrfurcht vor Heiligem entwickeln, wird der Heilige Geist zum häufigen und schließlich ständigen Begleiter. Sie erlangen mehr Erkenntnis und Wahrheit. In den heiligen Schriften wird dies als Licht bezeichnet, das heller und heller wird „bis zum vollkommenen Tag“ (LuB 50:24). Dieser Vorgang wird auch als Fortschritt von Gnade zu Gnade bezeichnet. Der Heiland selbst hat auf diese Weise Fortschritt gemacht, bis er eine Fülle empfing – und Sie können seinen Fußstapfen folgen (siehe LuB 93:12-20). Genau dort wird ein Sinn für Heiliges Sie hinbringen.

Wer jedoch das Heilige nicht schätzt, wird es verlieren. Ohne eine Spur von Ehrfurcht wird die Einstellung immer gleichgültiger und das Verhalten immer nachlässiger. Man treibt aus dem sicheren Hafen, den die Bündnisse mit Gott bieten können. Das Bewusstsein, dass man vor Gott Rechenschaft ablegen muss, schwindet und löst sich schließlich auf. Danach kümmert man sich nur noch um seine Bequemlichkeit und darum, seine zügellosen Gelüste zu befriedigen. Eines Tages verachtet man dann das, was heilig ist, ja sogar Gott, und schließlich verachtet man sich auch selbst.

Behutsam mit Heiligem umgehen

Denken Sie immer daran: Wenn Sie an Heiligkeit zunehmen und Ihnen mehr Wissen und Erkenntnis anvertraut werden, müssen Sie Heiliges auch behutsam behandeln. Der Herr sagt uns ja: „Das, was von oben kommt, ist heilig und muss mit Sorgfalt und unter dem Drängen des Geistes gesprochen werden.“ (LuB 63:64.) Er hat uns auch geboten, keine Perlen vor die Schweine zu werfen und Heiliges nicht den Hunden zu geben (siehe 3 Nephi 14:6; LuB 41:6), womit er sagen wollte, dass Heiliges nicht mit jemand besprochen werden darf, der dessen Wert nicht einzuschätzen vermag.

Gehen Sie mit dem, was der Herr Ihnen gibt, weise um. Es ist Ihnen anvertraut. Sie würden ja zum Beispiel auch nicht wahllos herumerzählen, was in Ihrem Patriarchalischen Segen steht.

Alles, was heilig ist, muss in dieser letzten und herrlichsten Evangeliumszeit offenbart und zusammengeführt werden. Mit der Wiederherstellung des Evangeliums, der Kirche und des Priestertums Jesu Christi halten wir einen beinahe unbegreiflichen Vorrat an Heiligem in unseren Händen. Wir dürfen dies weder vernachlässigen noch aus den Händen gleiten lassen.

Lassen Sie sich nicht gedankenlos treiben, sondern werden Sie immer genauer in Ihrem Gehorsam. Ich hoffe, dass aus der Art, wie Sie denken, fühlen, sich kleiden und handeln, Ehrfurcht und Achtung für Heiliges, heilige Orte und heilige Anlässe sprechen. Ich bete darum, dass in Ihrem Herzen ein Sinn für Heiliges heranreifen möge, wie sich Tau aus dem Himmel bildet. Möge dieser Sinn Sie Jesus Christus näher bringen, der starb, der auferstand, der lebt und der Ihr Erlöser ist. Möge er Sie so heilig machen, wie er ist.

Nach einer Ansprache anlässlich einer Fireside des Bildungswesens der Kirche am 7. November 2004.