2006
Mach die Tür nicht auf!
Januar 2006


Mach die Tür nicht auf!

Es war ein bitterkalter Abend, und der Schnee fiel in dicken Flocken. Ich saß daheim – in der warmen Geborgenheit unseres Zuhauses, und unsere drei Kinder schliefen bereits tief. Mein Mann war bei einer Sitzung der Bischofschaft im Gemeindehaus, das etwa 8 Kilometer von unserem Haus entfernt war. Gegen 20.30 Uhr klopfte es an die Tür. Ich erwartete niemanden und hatte sogleich das starke Gefühl, dass ich die Haustür auf keinen Fall öffnen dürfe. Dieses sichere Wissen, diese Warnung vor Gefahr, hatte ich noch nie zuvor so stark verspürt.

Ich war daher ziemlich schockiert, als ich auf meine Frage hin, wer denn draußen sei, die Stimme meines Schwagers vernahm. Michael ist der einzige Bruder meines Mannes. Er ist ebenfalls Mitglied der Kirche und wohnt an die 110 Kilometer entfernt von uns. Wir hatten eine enge Beziehung zu ihm, und es war nicht weiter ungewöhnlich, dass er uns besuchen und vielleicht ein paar Tage bleiben wollte, wie das schon früher oft der Fall gewesen war. Es war auch nicht weiter überraschend, dass er uns nicht angerufen hatte, da die Telefonleitungen witterungsbedingt oft ausfielen. Ich hätte mich geborgen und sicher fühlen sollen, und eigentlich hätte ich ihm an jenem kalten Winterabend gern die Tür öffnen sollen.

Mir war es daher unbegreiflich, woher dieses starke Gefühl kam und weshalb ich mich sagen hörte, er solle zum Gemeindehaus gehen, wo sich mein Mann aufhielt. Für einen Moment schwieg mein Schwager verblüfft, und dann erklärte er mir auf ziemlich eigentümliche Weise, dass er mit dem Zug angereist sei und danach den Bus zu uns genommen hatte und dass der Schnee draußen schon recht hoch liege.

Doch eine machtvolle Eingebung bestärkte mich weiterhin in dem Gefühl, ich dürfe ihm auf keinen Fall die Tür öffnen. Ich erklärte ruhig, es tue mir Leid, aber er müsse zum Gemeindehaus gehen und dort mit meinem Mann sprechen.

Den ganzen Abend machte ich mir Gedanken darüber, was ich da getan hatte. Der arme Michael war stundenlang mit Zug und Bus unterwegs gewesen, und ich hatte ihn an diesem kalten Winterabend auch noch abgewiesen! Wie konnte ich bloß so hartherzig sein? Und doch hatte ich das starke Gefühl nicht verleugnen können, dass ich in Gefahr sei und keinesfalls die Tür öffnen dürfe.

Es wurde spät, und ich war schon fast eingeschlafen, als mein Mann heimkam. Wir sprachen kurz über das Vorkommnis, und mein Mann sagte mir, dass er seinen Bruder getroffen habe und dass dieser nun unten schlafe. Ich hatte nun keine Angst mehr und schlief tief und fest.

Am nächsten Morgen fragte ich mich, wie ich Michael mein Verhalten erklären könne. Würde er böse sein? Ich atmete tief durch und betrat die Küche, um das Frühstück zuzubereiten. „Michael, wegen gestern Abend … “, fing ich an, doch ich hielt inne, als ich sah, dass er mir nicht böse war, sondern mich anlächelte.

„Ich bin so froh, dass du uns gestern nicht hereingelassen hast“, sagte er. Bis dahin hatte ich keine Ahnung gehabt, dass er nicht allein an der Tür gewesen war. Er erzählte mir, dass er im Zug Steve, einen ehemaligen Mitschüler, getroffen hatte und dass ihm erst zu spät aufgefallen war, dass Steve unter Drogeneinfluss stand. Da hatte Michael ihm bereits erzählt, wohin seine Reise ging. Während der Fahrt wurde Steve immer aggressiver. Er sagte, er brauche unbedingt Geld und ein warmes Bett. Er begleitete Michael gegen dessen Willen bis zu uns nach Hause – mit, wie es mein Schwager ausdrückte, „den allerschlimmsten Absichten“.

„Und deswegen“, fuhr Michael fort, „stand ich vor der Tür und habe darum gebetet, dass du uns nicht hereinlässt. Als wir uns dann auf den weiten Weg zum Gemeindehaus machten, verlor Steve das Interesse und sagte, er werde sein Glück woanders versuchen.“

Ich werde wohl nie wissen, was genau meinen Kindern oder mir an jenem Winterabend drohte. Aber ich bin ewig dankbar dafür, dass ich dabei eine der wichtigsten Lektionen des Erdenlebens gelernt habe – dass man nämlich auf die Eingebungen des Heiligen Geistes achten muss. Selbst wenn es keinen logischen Grund dafür zu geben scheint, sind wir dann in Sicherheit, wenn wir uns auf die sanfte, leise Stimme verlassen.

Janet Dunne gehört zur Gemeinde Leeds 4 im Pfahl Leeds in England.