2003
Das Gleichnis vom Samenkorn, das im Geheimen wächst
Februar 2003


Das Gleichnis vom Samenkorn, das im Geheimen wächst

Mein Großvater war Bauer. Als ich noch ziemlich klein war, begleitete ich ihn immer aufs Feld, wenn es Pflanzzeit war. Ich fand es spannend, wenn er die Tiere anschirrte, ihnen das Joch umlegte und sie vor Egge und Pflug spannte. „Wo pflanzen wir denn heute?“, fragte ich dann. „Dort drüben“, gab er zur Antwort. Er wusste sehr gut, wo der Boden fruchtbar war.

Ich liebte den feuchten, schweren Geruch, der aus der Erde aufstieg, wenn der Pflug die Erde durchbrach. Großvater zog die Furchen und ich säte den Samen. „Diese Erde ist fruchtbar“, pflegte er zu sagen. Später gingen wir wieder aufs Feld, um die ersten grünen Triebe zu begutachten. Schon bald wuchsen die Schößlinge heran und entwickelten Halme. Dann sah man die Getreidekörner. Die Pflanzen wuchsen weiter, bis das Getreide reif war.

Wenn es Erntezeit war, schnitten die Arbeiter die Ähren und brachten sie zum Dreschplatz. Dort waren miteinander verdrahtete Stangen im Kreis aufgestellt. Die Ähren wurden außerhalb des Kreises auf den Boden gelegt. Dann kamen die Pferde und rannten an den Stangen entlang im Kreis herum. Dabei zertrampelten sie die Ähren. Die Getreidekörner lösten sich und die Schale wurde zerdrückt. Dann kamen die Arbeiter mit ihren Werkzeugen, um die Spreu fortzublasen und vom Getreide zu trennen. Wenn die Arbeit getan war, sangen die Arbeiter und tanzten und aßen gegrilltes Lammfleisch. Das war so Tradition. Es gab eine schöne ländliche Feier. Das Getreide wurde in Säcke verpackt und später zu verschiedenen Produkten weiterverarbeitet.

Und doch – trotz allem, was wir taten, um zu pflanzen und zu ernten, hing der Erfolg des Ganzen in erster Linie von der Fruchtbarkeit des Bodens, vom Wetter und von weiteren Faktoren ab, auf die wir keinen Einfluss hatten. Aber ohne diese Faktoren wäre die Saat nicht gekeimt und es hätte keine Ernte gegeben.

Das Gleichnis des Erretters

Als Jesus in Galiläa wirkte, versammelte sich eine große Menschenmenge am See, um ihn lehren zu hören. Er erzählte ihnen von einem Sämann, der auf unterschiedlichem Boden säte – auf felsigem, dornigem und fruchtbarem Boden – und auch unterschiedliche Ernte einbrachte.

Dann erzählte er ihnen ein weiteres Gleichnis, das nur im Markusevangelium festgehalten ist und in dem es darum geht, was ein Samenkorn wachsen lässt. Er sagte:

„Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät;

dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie.

Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre.

Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“ (Markus 4:26-29.)

In diesem Gleichnis sät der Sämann voll Glauben und erntet voller Freude. Er sät und stellt eines Tages fest, dass der Samen gewachsen und das Getreide reif geworden ist. Der fruchtbare Boden sowie Sonne, Regen, Wind und Tau und weitere Faktoren, auf die er keinen Einfluss hat, haben das Getreide wachsen und reifen lassen.1

Geistiges Wachstum

Aus diesem Gleichnis können vor allem diejenigen unter uns etwas Wichtiges lernen, die lehren – entweder zu Hause oder in der Kirche – bzw. die mit Missionsarbeit zu tun haben. Das Keimen und das vollständige Reifen des lebendigen Samens des Evangeliums im Herzen und im Sinn derer, die wir unterweisen, hängt von Faktoren ab, auf die wir unter Umständen nur wenig Einfluss haben. Die Entscheidung, ob jemand, den wir unterweisen, über die Wahrheiten des Evangeliums nachdenkt und sie annimmt, muss er selbst treffen, denn er besitzt ja Entscheidungsfreiheit. Wenn das Zeugnis eines Menschen wachsen soll, bis es reif ist und Frucht trägt, dann muss in erster Linie Gott der Vater des Erfolgs sein. Doch unter dem Einfluss des Heiligen Geistes können wir zur Erziehung derjenigen beitragen, die reifen und Frucht tragen sollen. In unserer Eigenschaft als „bevollmächtigter Sämann“ müssen wir wissen und darauf vertrauen, dass das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi der lebendige Samen ist. Wenn wir dieses Evangelium lehren, senkt sich die Gnade Gottes auf diejenigen herab, die wir unterweisen, so dass sie geistig reifen und gute Werke hervorbringen. Am Tag der Ernte dann wird unsere Freude voll sein.

Als ich Missionsleiter der Gemeinde Independencia in Santiago in Chile war, konzentrierten wir uns darauf, den Einfluss des Geistes in das Leben der neuen Mitglieder zu tragen. Aus dieser Epoche der Gemeinde stammen einige der größten Priestertumsführer Chiles: sieben Pfahlpräsidenten, zwei Missionspräsidenten, zwei Regionalrepräsentanten, ein Mitglied einer Tempelpräsidentschaft und eine ganze Reihe von Bischöfen.

Warum war die Ernte so reich? Weil der Boden so fruchtbar war. Und weil Gott da war. Die Freude, die ich empfinde, entspringt daher der Gewissheit, dass die Erde von selbst ihre Frucht bringt (siehe Markus 4:28). Ein bekanntes Lied hält uns vor Augen, dass wir nicht allein sind, wenn wir für den Meister säen. Ja, wenn wir uns bemühen, den kostbaren Samen der Evangeliumswahrheit zu säen, können wir sicher sein, dass Gott uns zur Seite steht.

Herr, du weißt um unsre Schwachheit,

lass beim Sä’n uns nicht allein;

liegt der Same in den Furchen,

mögen Engel Wächter sein,

bis das Feld mit Heil gekrönet

und die Ähren reich gefüllt,

mit der Frucht des ewgen Lebens,

die aus unsrer Saat einst quillt.2

Elder Wilfredo R. López ist Gebietsautorität-Siebziger im Gebiet Chile.

Anmerkungen

  1. Siehe James E. Talmage, Jesus the Christ, 3. Auflage, 1916, Seite 289.

  2. „Täglich säend“, Gesangbuch, Nr. 145.