2002
Mein allerschrecklichster Tag
September 2002


Mein allerschrecklichster Tag

Stress, Zweifel und noch mehr Stress. Wie sollte ich nur mit allem fertig werden?

Ich saß auf der Bettkante, balancierte das dicke Biologiebuch auf den Knien und versuchte für die Klassenarbeit am nächsten Tag zu lernen. Langsam blätterte ich die Seiten um – es ging in diesem komplizierten Kapitel um Zellatmung. Vor lauter Konzentration biss ich die Zähne zusammen. Aber es half nichts.

Tränen stiegen mir in die Augen. Am Abend zuvor hatte ich bei der Rollenvergabe für unser Theaterstück kläglich versagt. Das war mein erster Versuch gewesen, bei einer Theateraufführung unserer High School mitzumachen. Ich konnte zwar weder tanzen noch schauspielern oder singen, hatte mich jedoch auf Drängen meiner Freundinnen für eine Rolle in einem Musical beworben. Aber ich hatte meine Sache nicht gerade gut gemacht. Beim Vortanzen und Vorsingen war ich zwar besser als der Durchschnitt gewesen, aber heute Abend kam dann die Endausscheidung, wo ich mir einigen Erfolg ausgerechnet hatte. Ich hatte einen humoristischen Monolog auswendig gelernt und unter den kritischen Blicken des Direktors und des Besetzungs-Ausschusses vorgetragen. Tagelang hatte ich meine Rolle geübt und den Text immer wieder abgeschrieben und auswendig gelernt, bis ich ihn im Schlaf konnte. Als ich aber die Schule betrat, konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich war nicht nur nervös, sondern auch erschöpft. Außerdem musste ich dauernd an die beiden schweren Klassenarbeiten denken, die am nächsten Tag auf dem Programm standen. Ich versuchte, mich an den Text zu erinnern, den ich doch so gut gelernt hatte, aber ich hatte alles vergessen und brachte die Worte nur stockend und unsicher hervor.

Jetzt war ich wieder zu Hause. Ich spürte, wie mir eine heiße Träne über die Lippen rann, und bemühte mich, das Schluchzen zu unterdrücken. Seit ein paar Wochen schien sich alles gegen mich verschworen zu haben. Eine meiner besten Freundinnen war kühl und distanziert zu mir. Mein Zeitplan war voll und stressig. Ich wusste nicht recht, ob ich mich am College bewerben sollte. Und jetzt, nach dem Fehlschlag heute Abend, konnte ich weder lernen noch Schlaf finden. Ich klappte das Biologiebuch zu und legte es auf den Boden. Die Gefühle übermannten mich und ich drückte das Gesicht in mein Kopfkissen.

Dann hörte ich, wie sich die Tür öffnete und meine Mutter besorgt fragte: „Brauchst du einen Segen?“ Ihre Stimme war sanft. Ich schaute auf und wollte sie schon wegschicken. Mein Gesicht war rot, verschwollen und tränennass. Außerdem hatten sich die Falten des Kopfkissens abgedrückt. Ich setzte mich auf und sah, dass meine Mutter und mein Vater in der Tür standen. Da wurde mir klar, dass ich nichts so dringend brauchte wie einen Priestertumssegen. Ich nickte wortlos und zog die Nase hoch, während ich hinter meinen Eltern her durch den Flur ins Schlafzimmer ging.

Ich hatte schon vor diesem Abend ein Zeugnis vom Priestertum gehabt. Ich hatte von Segen gehört, die die Pioniere gegeben hatten. Und ich hatte von Segen gehört, die in unserer Zeit ins Koma gefallenen Kindern, den Opfern von Brandkatastrophen oder Menschen gespendet wurden, die kaum eine Überlebenschance hatten. Zwei Jahre zuvor hatte ich den Patriarchalischen Segen empfangen und wusste, wie viel einzigartige Wahrheit und Liebe darin zu finden ist.

Doch als mein Vater mir an jenem Abend die Hände auflegte, wurde mein Zeugnis vom Priestertum gefestigt. In seinen Worten und im sanften Druck seiner Hände spürte ich göttliche Kraft. Der Segen wischte meine oberflächlichen Wünsche fort, und ich bekam das zu hören, was ich in diesem Augenblick am notwendigsten brauchte. Als mein Vater zu Ende gesprochen hatte, war mir, als ob das Herz in mir sänge – so eindrucksvoll waren seine Worte gewesen, diese schlichten, heilenden Worte, die ja gar nicht von ihm stammten. Mein Vater konnte sich nicht mehr erinnern, was er gesagt hatte, aber ich wusste es genau – die dunkle Wolke von Stress und Angst hatte sich aufgelöst und einem sanften Frieden Raum gegeben.

Ich lächelte meine Mutter an, dankbar für ihren inspirierten Vorschlag. Als ich mich umdrehte und meinen Vater umarmte, spürte ich in der Wärme seiner Arme den Widerhall der Liebe, die der himmlische Vater und sein Sohn mir entgegenbringen, die beide auf mich Acht geben und sich mehr um mich kümmern als irgendjemand sonst. Ich war so dankbar für diesen schlichten Segen, für diese sanften, eindringlichen, tröstlichen Worte.

In jener Nacht habe ich zum ersten Mal seit Wochen tief geschlafen und mir keine Sorgen um meine Zukunft gemacht, denn ich wusste ja: Ich bin eine Tochter Gottes und er liebt mich.

Brenda Williams gehört zur Gemeinde BYU 47, Pfahl 12 an der Brigham-Young-Universität.

„Wir müssen uns ihm überlassen“

„Ein jeder erfährt auf die eine oder andere Weise Schmerz…. Wir empfinden vielleicht Schmerz, weil wir uns einsam fühlen oder deprimiert sind. Oft stammen unsere Schmerzen daher, dass wir den Geboten Gottes nicht gehorcht haben, aber selbst jemand, der sich in allem bemüht, sein Leben nach dem Beispiel des Erretters auszurichten, ist gegen Schmerzen nicht gefeit….

Elder Orson F. Whitney hat geschrieben: ‚Kein Schmerz, den wir erdulden, keine Prüfung, die wir durchmachen, ist vertan. Dies alles dient zu unserer Erziehung, zur Entwicklung solcher Eigenschaften wie Geduld, Glaube, Standhaftigkeit und Demut. Alles, was wir erleiden und erdulden, vor allem, wenn wir dabei geduldig sind, formt unseren Charakter, macht unser Herz rein, erweitert uns die Seele und macht uns liebevoller und milder, würdiger, Gottes Kind genannt zu werden,… und durch Kummer und Leid, Mühe und Trübsal machen wir die Entwicklung durch, für die wir hierher gekommen sind und die uns unserem Vater und unserer Mutter im Himmel ähnlicher macht.‘ (Zitiert in Improvement Era, März 1966, Seite 211.)…

In letzter Konsequenz ist es der Herr, der uns umsorgt. Wir müssen uns ihm überlassen. Wenn wir das tun, streifen wir ab, was uns Schmerzen verursacht hat, und legen alles in seine Hände. ‚Wirf deine Sorge auf den Herrn, er hält dich aufrecht.‘ (Psalm 55:23.) ‚Und dann möge euch Gott gewähren, dass eure Bürde leicht sei durch die Freude an seinem Sohn.‘ (Alma 33:23.)“ – Elder Robert D. Hales vom Kollegium der Zwölf Apostel („Die Seele und den Leib heilen“, Der Stern, Januar 1999, Seite 19.)