2002
Mein Freund und Mitknecht: Das Beispiel des Luan Felix da Silva
September 2002


Mein Freund und Mitknecht: Das Beispiel des Luan Felix da Silva

Immer, wenn ich an das Gleichnis des Erretters von den Schafen und den Böcken und an das Wundervolle denke, was der Herr denen verheißt, die ihm dienen (siehe Matthäus 25:31–46), sehe ich einen Jungen namens Luan vor mir.

Ich habe Luan im Februar 2001 bei einem JM-Lager in Recife in Brasilien kennen gelernt. In Brasilien war gerade Karneval. Beim brasilianischen Karneval wird vier Tage lang ausgelassen gefeiert. Deshalb veranstalten die Pfähle während dieser Zeit oft Jugendkonferenzen und -lager, um den jungen Mitgliedern eine fröhliche und sittlich einwandfreie Alternative zu bieten. In meiner Eigenschaft als Präsident des Gebietes Brasilien Nord besuchte ich ein solches JM-Lager im Pfahl Boa Viagem in Recife.

Als ich Luan das erste Mal sah, fiel mir auf, dass er ziemlich dünn war und nicht ein einziges Haar auf dem Kopf hatte. Mir fiel auch auf, dass er viele Freunde hatte. Außerdem erfuhr ich, dass er gerade erst zwölf Jahre alt geworden war und auf dem Lager zum Diakon ordiniert werden sollte.

Luan hatte Knochenkrebs im linken Bein. Ja, erst kurz vor dem Lager hatte man ihm gesagt, dass sich der Krebs so schnell ausbreitete, dass das Bein umgehend amputiert werden müsse. Doch weil Luan sich nichts sehnlicher wünschte, als auf dem Lager das Aaronische Priestertum zu empfangen und mit seinen Freunden ein letztes Mal Fußball zu spielen, hatte sich sein Arzt einverstanden erklärt, die Operation um eine Woche zu verschieben.

Im Kreis seiner Brüder in der Kirche strahlte Luan buchstäblich vor Glück. Nach der Ordinierung, die am Sonntag stattfand, gab Luan Zeugnis von seinem Glauben an das Evangelium und sagte, wie dankbar er für die Liebe des Erretters war.

Ich sprach Luan an, und wir wurden schnell Freunde. Nach der Operation besuchte ich ihn zusammen mit Ozani Farias, seinem Bischof, und Mozart B. Soares, seinem Pfahlpräsidenten. Diese guten Männer waren eine große Hilfe für Luan. Sie waren immer da, um ihn zu trösten, ihm Mut zuzusprechen und ihm zu helfen.

Bei Luan zu Hause spürte ich den Geist sehr stark. Luan hatte sich mit seiner Mutter und seinen Schwestern acht Monate zuvor der Kirche angeschlossen. Die Familie hatte keinen Vater, und Luans Mutter arbeitete schwer für den Lebensunterhalt. Das kleine Haus war ordentlich und sauber, und ich wusste, dass darin eine ganz besondere Familie wohnte.

Uns fiel auf, dass es der Familie an vielem Lebensnotwendigem fehlte. Luan beispielsweise musste auf einem unbequemen Sofa schlafen, weil er kein Bett hatte. Aber als wir fragten, was gebraucht würde, bekamen wir zur Antwort: „Wir haben das Evangelium, unsere Freunde in der Kirche und eine glückliche Familie. Danke, aber wir brauchen sonst nichts.“

Kurz nach unserem Besuch verschlechterte sich Luans Zustand. Die Ärzte stellten am Ende der Wirbelsäule einen großen Tumor im Rückenmark fest. Weil dieser nicht operativ entfernt werden konnte, kam Luan zu einer weiteren Chemotherapie ins Krankenhaus.

Als Präsident Soares und ich Luan eines Abends im Krankenhaus besuchten, hatte er große Schmerzen. Er stellte uns viele Fragen, unter anderem: „Was ist der Tod?“ und „Wie ist es, wenn man stirbt?“

Ich erklärte, dass Sterben zur Ewigkeit gehört und dass der Tod nicht bedeutet, dass sich eine Tür schließt, sondern dass sich damit vielmehr eine Tür öffnet, die uns in die Gegenwart Gottes zurückführt. Luan verstand und lächelte. Er sagte, nun sei er bereit. Dann bat er uns um einen Segen, und wir kamen seinem Wunsch nach.

Im Bett neben Luan lag der vierzehnjährige Pedro. Pedro bat uns nun, ihm ebenfalls einen Segen zu geben. Ich fragte ihn, ob er an Jesus Christus glaube, und er bejahte das. Wir erklärten ihm, was das Priestertum ist und dass wir ihn im Namen Jesu Christi segnen würden. Er schloss die Augen und lächelte, als wir ihn segneten. Danach bat uns ein achtzehnjähriges Mädchen um einen Segen.

Ich erfuhr, dass Luan und seine Mutter Pedro und vielen anderen jungen Krebspatienten sowie deren Eltern Trost zugesprochen hatten. Als ich an jenem Abend das Krankenhaus verließ, freute ich mich, weil Luan und seine Mutter trotz ihres eigenen Kummers die Kraft fanden, mit anderen zu sprechen und ihnen in ihrer Not beizustehen.

Als Präsident Soares Luan fragte, was er gerne machen würde, wenn er aus dem Krankenhaus käme, gab Luan zur Antwort, er wolle gerne im Recife-Tempel stellvertretend Taufen für die Verstorbenen vollziehen. Nachdem Luan aus dem Krankenhaus entlassen worden war, halfen Präsident Soares und Bischof Farias ihm bei der Erfüllung dieses Wunsches. Luan vollzog so viele Taufen, wie seine Kraft es zuließ. Am Ende des Tages, den er im Tempel verbracht hatte, strahlte er vor Glück darüber, dass er etwas für andere hatte tun können, obwohl er selbst große Schmerzen litt.

Luan Felix da Silva starb am 20. August 2001. Immer, wenn ich an meinen Freund und Mitknecht denke, fallen mir die folgenden Worte des Erretters ein:

„Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das… für euch bestimmt ist.

Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen;

ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht….

Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25:34–36,40.)