2002
Der Exodus – Gestern und Heute
April 2002


Der Exodus – Gestern und Heute

Die heiligen Schriften, die sowohl dem antiken als auch dem neuzeitlichen Israel geschenkt wurden, berichten von der Rolle, die die starke Hand des Herrn bei ihrer Befreiung spielte.

Der Auszug der Israeliten aus Ägypten unter der Führung des Mose und der Auszug der Mormonenpioniere aus den Vereinigten Staaten unter der Führung von Brigham Young weisen viele lehr-reiche Parallelen auf. Wir können von den Führern des antiken und des neuzeitlichen Israels viel lernen.

Im Allgemeinen kann man wohl sagen, dass historische Berichte und Aufführungen die Taten der Pioniere gut wiedergeben. Doch nur wenige Verfasser haben tiefer geschürft und den Grund für das Leiden der Pioniere erklärt. Und noch weniger sind auf die Ähnlichkeiten zwischen dem Treck der Pioniere und dem Auszug aus Ägypten eingegangen. Eine offensichtliche Parallele besteht darin, dass beide Gruppen einen Binnensee mit salzhaltigem Wasser und einen Fluss namens Jordan hatten. Aber es gibt noch viele weitere wichtige Ähnlichkeiten. Das antike und das neuzeitliche Israel sind eng miteinander verbunden.

Josef Und Joseph

Im antiken Israel gab es vor Mose Männer, die das Volk führten, und im neuzeitlichen Israel gab es vor Brigham Young (1801–1877) einen Propheten und Präsidenten. Auch diese beiden Vorgänger weisen Parallelen auf. Beide hießen Josef bzw. Joseph – Josef, der nach Ägypten verkauft wurde, und der Prophet Joseph Smith (1805–1844). Nur wenige Männer im Alten Testament sind für die Heiligen der Letzten Tage von größerer Bedeutung als Josef von Ägypten. Die meisten Mitglieder führen nämlich ihre Abstammung auf ihn zurück, und zwar durch seine Söhne Efraim bzw. Manasse. Im Buch Mormon heißt es:

„Ein Stück des Überrestes von Josefs Rock [ist] bewahrt geblieben und nicht zerfallen. … Wie dieser Überrest des Kleides … bewahrt geblieben ist, so soll ein Überrest der Nachkommen … durch die Hand Gottes bewahrt bleiben, und er wird sie zu sich nehmen.“ (Alma 46:24.)

Die Pioniere waren ein Überrest dieser Nachkommen. Sie wussten, das Joseph Smith vom Herrn dazu erwählt worden war, die Arbeit des Zweigs Josefs, des Sohnes Jakobs, fortzusetzen. Viele hundert Jahre zuvor hatte Josef von Joseph Smith prophezeit und über ihre Verwandtschaft gesprochen:

„Ja, Josef hat wahrhaftig gesagt: So spricht der Herr zu mir: Einen erwählten Seher will ich mir aus der Frucht deiner Lenden erwecken; und er soll unter der Frucht deiner Lenden hoch geachtet sein. Und ich werde ihm gebieten, dass er für die Frucht deiner Lenden, seiner Brüder, ein Werk tun soll, das für sie von großem Wert sein wird, nämlich dass er ihnen die Bündnisse zur Kenntnis bringen wird, die ich mit deinen Vätern gemacht habe.

Und ich werde ihm das Gebot geben, dass er keine andere Arbeit tun soll außer der, die ich ihm gebieten werde. Und ich will ihn in meinen Augen groß machen, denn er soll mein Werk tun.“ (2 Nephi 3:7,8.)

Aber nicht nur Joseph Smith jun. hieß Joseph, sondern auch der Vater des Propheten. Noch einmal zitiere ich Josef, der nach Ägypten verkauft wurde:

„Siehe, der Herr wird diesen Seher [Joseph Smith] segnen; … denn diese Verheißung, die ich vom Herrn bekommen habe und die für die Frucht meiner Lenden ist, wird sich erfüllen. …

Und sein Name wird nach meinem Namen genannt werden; und er wird nach dem Namen seines Vaters genannt werden. Und er wird mir gleich sein; denn das, was der Herr durch ihn zustande bringen wird – durch die Macht des Herrn wird es mein Volk zur Errettung führen.“ (2 Nephi 3:14,15; siehe auch Joseph-Smith-Übersetzung, Genesis 50:26–38.)

Jakobs Sohn Josef und Joseph Smith hatten aber noch mehr gemeinsam. Mit 17 Jahren erfuhr Josef von dem Schicksal, das ihm bestimmt war (siehe Genesis 37:2–11). Im gleichen Alter erfuhr Joseph Smith von seiner Bestimmung in Bezug auf das Buch Mormon. Als er 17 Jahre alt war, erschien dem jungen Propheten zum ersten Mal der Engel Moroni, der ihm mitteilte, dass Gott „eine Arbeit“ für ihn habe. Er sollte ein Buch übersetzen, das auf goldenen Platten geschrieben war und die Fülle des immerwährenden Evangeliums enthielt. Sein Name „werde bei allen Nationen, Geschlechtern und Sprachen für gut oder böse gelten“ (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:33; siehe auch Vers 34–41).

Josef und Joseph Smith wurden beide verfolgt. Josef wurde fälschlicherweise eines Verbrechens beschuldigt, das er nicht begangen hatte, und dafür ins Gefängnis geworfen (siehe Genesis 39:11–20). Joseph Smith kam ebenfalls aufgrund von erdichteten Anschuldigungen ins Gefängnis.

Josef nahmen die Brüder den Ärmelrock weg, um ihrem Vater auf grausame Art zu beweisen, dass Josef ums Leben gekommen war (siehe Genesis 37:2–33). Joseph Smith wurde auf grausame Weise umgebracht, und zwar in erster Linie deshalb, weil sogenannte Brüder ihn verraten hatten.

Als in alter Zeit „ganz Ägypten Hunger hatte, schrie das Volk zum Pharao nach Brot. Der Pharao aber sagte zu den Ägyptern: Geht zu Josef! Tut, was er euch sagt!“ (Genesis 41:55.) In den Letzten Tagen sollen die Menschen, die nach der Nahrung hungern, die nur das Evangelium schenken kann, auch genährt werden, nämlich durch Joseph Smith. Der Herr hat gesagt: „Diese Generation soll mein Wort durch [Joseph Smith] bekommen“ (LuB 5:10). Heute können wir uns an den „Worten von Christus“ weiden (siehe 2 Nephi 32:3), und zwar durch das Verdienst Joseph Smiths.

Mose Und Brigham Young

Mose und Brigham Young hatten vieles gemeinsam. Beide hatten sich als aufmerksamer Anhänger erwiesen, ehe sie selbst ein großer Führer wurden. Mose war am ägyptischen Hof erzogen worden und hatte dort viele Erfahrungen in militärischen und anderen Angelegenheiten gesammelt (siehe Flavius Josephus, Antiquities of the Jews, übersetzt von William Whiston, 2.10.1,2; siehe auch Apostelgeschichte 7:22; Hebräer 11:24–27). Gleichermaßen wurde auch Brigham Young auf seine Führungsrolle vorbereitet. Beim Marsch des Zionslagers hatte er beobachten können, wie der Prophet Joseph Smith unter schwierigen Umständen seine Führungsqualitäten bewiesen hatte (siehe History of the Church, 2:61–134, 183–185). Brigham Young trug auch dazu bei, dass der Prophet Joseph Smith Kirtland verließ (siehe History of the Church, 3:1,2; siehe auch Elden J. Watson, Hg., Manuscript History of Brigham Young, 1801–1844 [1968], Seite 23 f). Außerdem leitete er den Zug der Mitglieder, die unter Verfolgung litten, von Missouri nach Nauvoo. (Siehe History of the Church, 3:250–352, 261; siehe auch John K. Carmack, „Missouri Era: Residue of Wisdom“, in Regional Studies in Latter-day Saint Church History: Missouri, Hrsg. Arnold K. Garr und Clark V. Johnson [1994], Seite 2 f.)

Sowohl für die Israeliten als auch für die Mitglieder der Kirche galt, dass Zivil- und Kirchenrecht in einer Person zusammengefasst waren. Mose übernahm für sein Volk diese Aufgabe (siehe Joseph Smith, Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 256 f.). Brigham Young – der neuzeitliche Mose (siehe LuB 103:16)1 – leitete den Zug der Heiligen der Letzten Tage nach Westen, und zwar mit dem Segen des Herrn (siehe LuB 136). Mose und Brigham Young bedienten sich ähnlicher Führungsmethoden (siehe Exodus 18:17–21; LuB 136:1–3). Brigham Young orga-nisierte die zahlreichen Männer, Frauen und Kinder so, dass ein geordneter Zug nach Westen möglich war.

Wir beklagen, dass die Führer beider Gruppen unter der Uneinigkeit mit ihren engsten Mitarbeitern litten. Einmal lehnten sich sogar Aaron, der Bruder des Mose, und Mirjam, seine Schwester, gegen ihn auf (siehe Numeri 12:1–11). Auch bei den Heiligen der Letzten Tage gab es Unstimmigkeiten zwischen den Führern (siehe History of the Church, 1:104 f., 226). Trotzdem wird es genau die gleiche Form der Herrschaft wieder geben, wenn der Herr wiederkehrt und „König über die ganze Erde“ ist (siehe Psalm 47:3; siehe auch Sacharja 14:9) und über Zion und Jerusalem herrscht (siehe Jesaja 2:1–4).

Der Zug von Ägypten zum Berg Sinai dauerte etwa drei Monate (siehe Exodus 19:1). Der Zug von Winter Quarters in das Tal des großen Salzsees dauerte auch etwa drei Monate (111 Tage). Der Herr hatte beide Gruppen wissen lassen, das Land, in das sie zögen, sei ein Land, in dem Milch und Honig flössen.2 Die Pioniere verwandelten die Wildnis in ein fruchtbares Feld und ließen die Wüste wie eine Rose erblühen – genauso, wie Jesaja es viele Jahrhunderte zuvor prophezeit hatte (siehe Jesaja 32:15,16; 35:1).

Wunder Für Beide

Beide Gruppen erlebten viele ähnliche Wunder, an die jährlich gedacht wird. Das Pessachfest erinnert an die Wege, die die Israeliten in alter Zeit zurückgelegt haben. Jedes Jahr im Juli führen wir legendäre Geschichten im Zusammenhang mit unseren Pionieren auf. Beide Gruppen durchquerten unberührte Wüsten, Berge und Täler. Die Israeliten verließen Ägypten und zogen durch das Rote Meer „wie über trockenes Land“ (Hebräer 11:29). Die Pioniere verließen die Vereinigten Staaten und überquerten die weiten Wasser des Mississippi, der zugefroren und so zu einer Straße aus Eis geworden war.

In Exodus wird erzählt, wie die hungrigen Israeliten auf wundersame Weise mit Wachteln gespeist wurden (siehe Exodus 16:14; Numeri 11:32; Psalm 105:40). Die Pioniere erlebten etwas Ähnliches. Nachdem der letzte von ihnen aus Nauvoo vertrieben worden war, gab es viele Kranke. Manche waren auch schon gestorben. Sie hatten kaum Vorräte. Am Flussufer bei Montrose, Iowa, flogen am 9. Oktober 1846 viele Wachteln auf wundersame Weise ins Lager. Sie wurde gebraten und dienten etwa 640 Not leidenden Menschen als Nahrung (siehe Stanley B. Kimball, „Nauvoo West: The Mormons of the Iowa Shore“, BYU Studies, Winter 1978, Seite 142).3

Es war auch ein Wunder, dass die Siedlung im Tal des großen Salzsees überlebte. Die Möwen, die die Ernte retteten, haben Anteil an diesem Wunder.

Gott bewahrte die Israeliten vor den Krankheiten, die er den Ägyptern sandte (siehe Exodus 15:26). Gleichermaßen bewahrte Gott die Mitglieder vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, der mehr Amerikaner das Leben kostete als jeder andere Krieg.

Gemeinsame Geistige Stärken

Die Schwierigkeiten, die sowohl die Israeliten als auch die Heiligen der Letzten Tage zu bestehen hatten, machten sie geistig stark. Beide Gruppen ertrugen Glaubensprüfungen, in deren Verlauf sich die Schwachen von ihnen trennten wie Spreu vom Weizen. Die Starken aber fanden die Kraft, bis ans Ende auszuharren (siehe Ether 12:6; LuB 101:4,5; 105:19). Sie mussten ihre Heimat und ihren irdischen Besitz verlassen und lernen, völlig auf Gott zu vertrauen. Der Herr schützte Israel, indem er „bei Tag in einer Wolkensäule“ und „bei Nacht in einer Feuersäule“ vor ihm herzog, „um ihm den Weg zu zeigen“ (siehe Exodus 13:21; siehe auch Vers 22; Numeri 14:14; Deuteronomium 1:33; Nehemia 9:19). Ähnliches kann man über die Fürsorge sagen, die Gott den Pionieren angedeihen ließ (siehe History of the Church, 3:xxxiv; siehe auch Thomas S. Monson, Conference, April 1967).

Die heiligen Schriften, die die beiden Gruppen erhielten, berichten von der Rolle, die die starke Hand des Herrn bei ihrer Befreiung spielte. Den Israeliten seiner Zeit legte Mose ans Herz: „Denkt an diesen Tag, an dem ihr aus Ägypten, dem Sklavenhaus, fortgegangen seid; denn mit starker Hand hat euch der Herr von dort herausgeführt.“ (Exodus 13:3.)

Den Heiligen der Letzten Tage wurde eine ähnliche Schriftstelle offenbart: „Denn ich, der Herr, habe die Hand ausgestreckt, um die Kräfte des Himmels zu gebrauchen; noch könnt ihr es nicht sehen, aber noch eine kleine Weile, dann werdet ihr es sehen und werdet wissen, dass ich bin.“ (LuB 84:119.)

Die Israeliten besaßen ein tragbares Offenbarungszelt, in dem sie Bündnisse schlossen und heilige Handlungen vollzogen, die ihnen für ihre Reise Kraft schenken sollten.4 Viele Heilige der Letzten Tage empfingen vor dem anstrengenden Treck nach Westen im Nauvoo-Tempel die Begabung.

Dankbar feierten die Israeliten ihren Auszug aus Ägypten. Die Heiligen der Letzten Tage gedachten ihres Zuges nach Westen, indem sie hoch oben in den Bergen den Hauptsitz der wiederhergestellten Kirche errichteten. Doch alle schrieben ihre Befreiung Gott zu (siehe Jeremia 23:7,8).

Zeitlose Evangeliumsgrundsätze

Die heiligen Schriften, zu denen Israel in alter und in neuer Zeit Zugang hatte, enthalten zeitlose Evangeliumsgrundsätze. Vielleicht kennen Sie die folgende Verheißung Jesajas: „Dann wirst du am Boden liegen und winseln, deine Worte dringen dumpf aus dem Staub. Wie wenn aus der Erde ein Totengeist spricht, so tönt deine Stimme; deine Worte sind nur noch ein Geflüster im Staub.“ (Jesaja 29:4.)

Was könnte besser auf das Buch Mormon passen, das ja „aus dem Staub“ tönt und zu den Menschen der heutigen Zeit spricht?

Auch weitere Schriftstellen im Alten Testament beziehen sich auf das Buch Mormon. Eine solche Schriftstelle fiel mir ein, als ich im Januar 1997 ein Gebetsfrühstück im Weißen Haus in Washington, D.C., besuchte. Während des informellen Empfangs, der dem Frühstück vorausging, unterhielt ich mich mit einem angesehenen und hoch gebildeten Rabbi aus New York. Unsere Unterhaltung wurde von einem weiteren Rabbi unterbrochen, der seinen Kollegen aus New York fragte, ob er sich an eine Schriftstelle erinnern könne, in der es um das Holz Judas und das Holz Josefs gehe, die eines Tages zusammengefügt werden sollten. Mein Freund hielt kurz inne, strich sich nachdenklich über das Kinn und meinte dann: „Ich glaube, Sie werden diese Stelle im Buch Ezechiel finden.“

Da konnte ich nicht länger an mich halten. „Schauen Sie doch im 37. Kapitel von Ezechiel nach“, warf ich ein. „Dort finden Sie die Schriftstelle, die Sie suchen.“

Der Rabbi fragte mich erstaunt: „Woher wissen Sie das?“

„Diese Lehre“, gab ich zur Antwort, „ist in unserer Theologie sehr wichtig.“ Ja, das ist sie. Ich möchte daraus zitieren:

„Du, Menschensohn, nimm dir ein Holz und schreib darauf: Juda und die mit ihm verbündeten Israeliten. Dann nimm dir ein anderes Holz und schreib darauf: Josef [Holz Efraims] und das ganze mit ihm verbündete Haus Israel.

Dann füge beide zu einem einzigen Holz zusammen, sodass sie eins werden in deiner Hand.“ (Ezechiel 37:16,17.)

Die Mitglieder überall auf der Welt, die zum neuzeitlichen Israel gehören, dürfen die Bibel und das Buch Mormon – eins geworden – in der Hand halten. Man darf niemals unterschätzen, wie wertvoll das ist. Das Buch Mormon erscheint uns irgendwie vertraut. Menschen, die das Alte Testament kennen, und vor allem denen, die der hebräischen Sprache mächtig sind, klingt es vertraut. Das Buch Mormon steckt voller hebräischer Spracheigenheiten – traditioneller Ausdrücke, Symbolismen, Idiome und Versformen. Es erscheint uns vertraut, weil über 80 Prozent des Buches aus demselben Zeitraum stammen wie Teile des Alten Testaments.

Zeitlose Evangeliumswahrheiten und -grundsätze waren für Israel in alter Zeit wichtig und sind auch für das neuzeitliche Israel wichtig. Der Sabbat beispielsweise wurde im Laufe der Generationen aus unterschiedlichen Gründen befolgt. Von Adam bis Mose war der Sabbat ein Ruhetag, nämlich der Tag, an dem Gott von der Erschaffung der Erde ausruhte (siehe Exodus 20:8-11; 31:16,17). Von Mose bis zur Auferstehung des Herrn diente der Sabbat auch zur Erinnerung daran, wie die Israeliten aus der ägyptischen Knechtschaft befreit worden waren (siehe Deuteronomium 5:12–15; Jesaja 58:13; Ezechiel 20:20; 44:24; Mosia 13:19). In den Letzten Tagen halten die Mitglieder den Sabbat zum Gedächtnis des Sühnopfers Jesu Christi heilig (siehe Apostelgeschichte 20:7; 1 Korinther 16:2; Offenbarung 1:10; LuB 59:9–19).

Mit der Wiederherstellung des Priestertums wurde auch der Grundsatz des Zehnten neu belebt und so eine Verbindung zu den Lehren in Genesis und Maleachi im Alten Testament hergestellt (siehe Genesis 14:20; Maleachi 3:8–12). Die Heiligen der Letzten Tage wissen, wie man anhand der folgenden schlichten Weisung seinen Zehnten berechnet: „Und danach sollen diejenigen, die so gezehntet worden sind, jährlich ein Zehntel all ihres Ertrags bezahlen; und das soll für sie, für mein heiliges Priestertum, ein feststehendes Gesetz sein immerdar, spricht der Herr.“ (LuB 119:4.)

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun wieder den zeitlosen Wahrheiten des Evangeliums zu. Die wichtigsten davon sind die Lehren, in denen es um die Gottesverehrung im Tempel geht. Sie stellen eine weitere Verbindung zwischen dem alten und dem neuzeitlichen Israel dar.

Wann immer der Herr ein Volk auf der Erde hatte, das sein Wort befolgte, gebot er ihm auch, Tempel zu bauen, in denen die heiligen Handlungen des Evangeliums sowie weitere geistige Kundgebungen, die zur Erhöhung und zum ewigen Leben notwendig sind, vollzogen werden können.

Der bekannteste Tempel des alten Israels war der Tempel Salomos. Sein Taufbecken und das Weihungsgebet, mit dem er geweiht wurde, dienen als Vorlage für die heutigen Tempel (siehe 2 Chronik 4:15; 6:12–42; LuB 109). Schriftstellen im Alten Testament berichten von spezieller Kleidung (siehe Exodus 28:4; 29:5; Levitikus 8:7; 1 Samuel 18:4) und heiligen Handlungen (siehe Exodus 19:10, 14; 2 Samuel 12:20; Ezechiel 16:9) im Zusammenhang mit dem Tempel (siehe LuB 124:37–40). Wie dankbar sind wir doch, dass der Herr für seine treuen Söhne und Töchter die höchsten Segnungen des Priestertums wiederhergestellt hat. Er hat gesagt: „Denn es beliebt mir, meiner Kirche zu offenbaren, was von vor der Grundlegung der Welt an verborgen gehalten wurde und was die Ausschüttung in der Zeiten Fülle betrifft.“ (LuB 124:41.)

1833 wurde dem Propheten Joseph Smith eine Wahrheit offenbart, die wir als das Wort der Weisheit kennen. Jeder Heilige der Letzten Tage ist damit vertraut und weiß, dass es sich dabei um ein unverwechselbares Kennzeichen unseres Glaubens handelt. Der letzte Vers dieser Offenbarung stellt eine weitere Verbindung zum antiken Israel her: „Und ich, der Herr, gebe ihnen die Verheißung, dass der zerstörende Engel an ihnen vorübergehen wird wie an den Kindern Israel und sie nicht töten wird.“ (LuB 89:21.) Dieser Verweis auf das Pessachfest macht deutlich, dass der Herr den gehorsamen Heiligen der Letzten Tage den gleichen physischen und geistigen Schutz angedeihen lassen wollte, den er seinen gläubigen Anhängern vor vielen hundert Jahren geschenkt hatte.

Der Bund, Die Zerstreuung Und Die Sammlung

Weitere göttliche Lehren, die beide Völker in Ehren hielten bzw. halten, sind beispielsweise die Lehre vom Bund Abrahams und von der Zerstreuung und der Sammlung Israels. Vor ungefähr viertausend Jahren verhieß der Herr dem Abraham, dass allen seinen Nachkommen bestimmte Segnungen offenstehen sollten (siehe LuB 132:29–50; Abraham 2:6–11). Dazu gehörten auch die folgenden Verheißungen: der Sohn Gottes sollte von ihm abstammen, seine Nachkommen sollten bestimmte Länder ererben, Nationen und Geschlechter auf der Erde sollten durch seine Nachkommen gesegnet werden, und viele weitere. Dieser Bund wird in vielen Schriftstellen des Alten Testaments immer wieder aufs Neue bestätigt (siehe Genesis 26:1–4,24,28; 35:9–13; 48:3,4).

Bestimmte Teile dieses Bundes sind bereits in Erfüllung gegangen, aber viele noch nicht. Das Buch Mormon macht deutlich, dass wir, die wir zum neuzeitlichen Israel gehören, auch zum Bundesvolk des Herrn gehören (siehe 1 Nephi 14:14; 15:14; 2 Nephi 30:2; Mosia 24:13; 3 Nephi 29:3; Mormon 8:15). Was aber am Bemerkenswertesten ist: Dem Buch Mormon entnehmen wir, dass sich der Bund Abrahams erst in den Letzten Tagen erfüllen wird! (Siehe 1 Nephi 15:12–18.) Der Herr übertrug den Bund Abrahams erneut, und zwar diesmal auf den Propheten Joseph Smith, damit er ihm und seinen Nachkommen ein Segen sei (siehe LuB 124:58).

Wussten Sie, dass Abraham in mehr Versen neuzeitlicher Offenbarung erwähnt wird als in allen Versen des Altes Testamentes zusammengenommen?5 Abraham, der große Patriarch des Alten Testaments, ist untrennbar mit allen verbunden, die sich der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage anschließen. 6

Die Lehren von der Zerstreuung und der Sammlung des Hauses Israel gehören auch zu den ersten Lektionen, die wir aus dem Buch Mormon lernen können. Ich zitiere aus 1 Nephi: „Und nachdem das Haus Israel zerstreut sei, werde es wieder gesammelt werden, … die natürlichen Zweige des Ölbaums oder die Überreste des Hauses Israel [würden] eingepfropft werden oder zur Erkenntnis des wahren Messias, ihres Herrn und Erlösers, gelangen.“ (10:14.)

Die Heiligen der Letzten Tage wissen, dass Petrus, Jakobus und Johannes vom Herrn gesandt wurden und „die Schlüssel [seines] Reiches und eine Ausschüttung des Evangeliums für die letzte Zeit“, nämlich „der Zeiten Fülle“ mitbrachten, wo Gott alles „zusammenfassen“ wollte, „sowohl was im Himmel als auch was auf Erden ist.“ (LuB 27:13; vergl. Epheser 1:10.)

Die Züge und die Anstrengungen unserer Pioniere haben Folgen für die Ewigkeit nach sich gezogen. Ihre Mission bestand nicht nur in der Auswanderung aus anderen Ländern bzw. dem Treck mit Wagen und Handkarren über den amerikanischen Kontinent. Sie sollten vielmehr die Grundlage des endlosen Werkes legen, das die „Welt erfüllen“ sollte (Joseph Smith, zitiert in Wilford Woodruff, The Discourses of Wilford Woodruff, ausgewählt von G. Homer Durham [1946], Seite 39). Mit ihrer Hilfe ging die folgende Prophezeiung Jeremias in Erfüllung: „Hört, ihr Völker, das Wort des Herrn, verkündet es auf den fernsten Inseln und sagt: Er, der Israel zerstreut hat, wird es auch sammeln und hüten wie ein Hirt seine Herde.“ (Jeremia 31:10.)7

Sie verstanden die Botschaft. Schon früh wurden Missionare auf die „fernsten Inseln“ gesandt, um dort das Werk des Herrn zu beginnen. Dies führte dazu, dass die Kirche schon Jahre vor dem Einzug der Pioniere ins Tal des großen Salzsees in England und auf den zu Französisch Polynesien gehörenden Inseln Fuß gefasst hatte.

Die Nachkommen Josefs sollen durch Efraim und Manasse die Sammlung Israels leiten. Die Pioniere wussten – aus ihrem Patriarchalischen Segen und dem Alten Testament sowie aus den heiligen Schriften und Offenbarungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung –, dass die lang ersehnte Sammlung Israels mit ihnen beginnen sollte. Sie waren am Zug!

Zusammenfassung

Die ersten Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage waren Pioniere des neuzeitlichen Israels. Zu welcher Zeit und an welchem Ort die Heiligen auch leben mögen – alle glaubenstreuen Mitglieder der Kirche werden ihren gerechten Lohn empfangen. „Darum gehört ihnen alles, sei es Leben oder Tod, Gegenwärtiges oder Zukünftiges – alles gehört ihnen, und sie gehören Christus, und Christus gehört Gott.“ (LuB 76:59.)

Das alte und das neuzeitliche Israel glauben und beherzigen die folgende zeitlose Aufforderung im Alten Testament: „Daran sollst du erkennen: Jahwe, dein Gott, … [achtet] noch nach tausend Generationen … auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und seine Gebote achten.“ (Deuteronomium 7:9.)8

Auf unseren Schultern ruht die Verantwortung, den Glauben in unserer Generation zu bewahren. Jetzt sind wir am Zug! Wir gehören zum neuzeitlichen Israel und haben die Bestimmung, „ein Reich von Priestern“ und ein „heiliges Volk“ zu sein (Exodus 19:6). Wir wissen, dass wir Kinder des Bundes sind (siehe Apostelgeschichte 3:25; 3 Nephi 20:25,26). Wir sind ein Überrest der Nachkommen, die jetzt in Gottes ewige Speicher gesammelt werden (siehe Alma 26:5).

Wir Mitglieder des neuzeitlichen Israels sprechen mit einer einzigen Stimme. Wir lieben den himmlischen Vater. Wir lieben den Herrn Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes. Wir sind sein Volk. Wir haben seinen heiligen Namen auf uns genommen. Wir wissen, dass das Buch Mormon das Wort Gottes ist, und halten es zusammen mit der Bibel wie ein einziges Buch in der Hand. Wir verkünden, dass Joseph Smith der große Prophet der Wiederherstellung ist, und wir bestätigen Präsident Gordon B. Hinckley als Gottes begnadeten Propheten der heutigen Zeit.

Nach einer Ansprache anlässlich einer CES-Fireside an der Brigham Young University am 7. September 1997.

Anmerkungen

  1. Präsident Spencer W. Kimball (1895–1985) hat über Brigham Youngs Rolle beim Zug nach Westen geschrieben: „Nach Adam hat es viele Auszüge und verheißene Länder gegeben: Abraham, Jared, Mose, Lehi und andere haben Menschen angeführt. Wie leicht fällt es uns doch, in denen, die in einer lange vergangenen Zeit lebten, ein Werkzeug des Herrn zu sehen. Doch denjenigen, die unserer Zeit näher sind, unterstellen wir menschliche Berechnung und Entscheidungsfindung. Wir wollen uns einmal kurz dem langen Treck der Mormonenflüchtlinge aus Illinois ins Salzseetal zuwenden. Es gibt kaum – wenn überhaupt – eine Völkerwanderung, die dieser gleichkäme. Wir hören oft, das Brigham Young die Menschen dazu brachte, in einer Wüste neue Wege anzulegen und über Berge zu klettern, die so gut wie noch nie bestiegen worden waren, Flüsse ohne Brücken zu überqueren bzw. zu durchwaten und durch feindliches Indianerland zu ziehen. Und doch war Brigham Young nur das Werkzeug des Herrn. Es war nicht er, sondern der Herr des Himmels selbst, der das neuzeitliche Israel über die Prärie in das ihm verheißene Land führte.“ (Faith Precedes the Miracle [1972], Seite 28.)

  2. Zum antiken Israel siehe Exodus 3:8,17; 13:5; 33:3; Levitikus 20:24; Numeri 13:27; 14:8; Deuteronomium 6:3; 11:9; 26:9,15; 27:3; 31:20; Josua 5:6; Jeremia 11:5; 32:22; Ezechiel 20:6, 15; Joseph-Smith-Übersetzung von Exodus 33:1. Zu den Pionieren siehe LuB 38:18,19.

  3. Dieses Ereignis ist auf einem Ölgemälde von C. C. A. Christensen mit dem Titel Wachtelfang festgehalten, das sich im Kunstmuseum der Brigham Young University befindet.

  4. Die Verordnungen und Bündnisse des antiken Israels werden in 1 Korinther 10:1–3 genannt; diejenigen des neuzeitlichen Israels finden Sie in LuB 84:26,27. Das Offenbarungszelt im alten Israel war als mobiler Tempel gedacht, doch dann verlor das Volk das höhere Gesetz (siehe LuB 84:25; 124:38).

  5. Abraham wird in 506 Schriftversen erwähnt, von denen 289 aus neuzeitlicher Offenbarung stammen.

  6. Man kann den Bund auch empfangen, indem man unter die Nachkommen Abrahams aufgenommen wird (siehe Matthäus 3:9; Lukas 3:8; Galater 3:27–29; 4:5–7).

  7. Der englische Begriff gather (sammeln) wird vom hebräischen Verb qabats, abgeleitet, was soviel wie „sammeln, versammeln“ bedeutet.

  8. Siehe auch Deuteronomium 11:1,27; 19:9; 30:16; Josua 22:5; 1 Johannes 5:2,3; Mosia 2:4. In weiteren Schriftstellen im Alten Testament wird auf den Lohn hingewiesen, der denjenigen zuteil wird, die Gottes Gebote „noch nach tausend Generationen“ halten (siehe 1 Chronik 16:15; Psalm 105:8).