Geschichte der Kirche
Ein Wohlfahrtsplan der Schönheit


„Ein Wohlfahrtsplan der Schönheit“, Geschichte weltweit: Österreich, 2021

„Ein Wohlfahrtsplan der Schönheit“, Geschichte weltweit: Österreich

Ein Wohlfahrtsplan der Schönheit

Im Herbst 1956 studierte Johann Wondra Architektur in Wien. In jenem Herbst sympathisierte Wondra stark mit den protestierenden Studenten im benachbarten Ungarn – und war erschüttert, als die Sowjetunion den Aufstand mit Panzern niederschlug. Als politische Flüchtlinge nach Österreich strömten, gab Wondra seine Pläne in Hinblick auf eine solide, vielversprechende Berufslaufbahn als Architekt auf und suchte nach dem Sinn des Lebens im Bereich der Kunst, vor allem im Theater. Zwei Jahre später begegnete Wondra Missionaren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und schloss sich der Kirche an.

In der Kirche in Österreich gab es traditionsgemäß eine rege künstlerische Betätigung. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg hatte der Zweig Wien ein eigenes Orchester. Wondras erste Berufung in der Kirche bestand darin, die Theatergruppe des Zweiges zu leiten. Diese wurde bald zu einer missionsweiten Gruppe, die allen Zweigen Österreichs zugute kam. Das war eine willkommene Gelegenheit. „Nachdem ich das Evangelium kennengelernt hatte“, schrieb Wondra später, „bekam die Kunst für mich eine noch größere Bedeutung.“ Als junger Bekehrter hatte er den Eindruck, das wiederhergestellte Evangelium könne in der Kunst ganz neue Dimensionen eröffnen. So produzierte die Gruppe unter Wondras Leitung klassische Theaterstücke, die geistige Fragen aufwarfen, und bemühte sich, eine einzigartige „mormonische Schauspielkunst“ zu fördern, um den Geist des wiederhergestellten Evangeliums zu verbreiten. Neben Stücken wie Goethes Faust produzierten sie ein Stück namens Paulus in Ephesus, das von Bruder Mühlbacher aus dem Zweig Salzburg geschrieben wurde. Ihre Aufführungen in den verschiedenen Zweigen wurden auch von hunderten Zuschauern besucht, die nicht der Kirche angehörten. Wondra hegte die Hoffnung, dass die Theatergruppe Botschafter der Kunst für die Kirche in Europa sein könnte, vergleichbar mit dem Tabernakelchor in den Vereinigten Staaten.

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Foto der Besetzung für „Paulus in Ephesus“

Mitglieder der Theatergruppe der Österreich-Mission in Kostümen während der Produktion des Originalstücks Paulus in Ephesus, um 1960

Einige örtliche Führer der Kirche zeigten sich jedoch besorgt über die Verpflichtungen, die der ehrgeizige Produktions- und Tourneeplan der Gruppe mit sich brachte. Nach ihrer sechsten Produktion wurde die Gruppe aufgelöst. Wondra fiel es schwer, die Berufung, die er mit so viel Leidenschaft und Arbeitseinsatz ausgeübt hatte, so abrupt aufgeben zu müssen. Er erkannte jedoch, dass sein Wirken weiterhin von Wert war. „Was blieb“, merkte er an, „waren die Erlebnisse der Mitwirkenden und unsere Freundschaft.“ Diese Beziehungen erwiesen sich in seinem späteren Dienst in der Kirche als sehr wertvoll. Als 1980 in Österreich der erste Pfahl gegründet wurde, berief man Johann Wondra als Pfahlpräsidenten.

Wondra beschäftigte sich weiterhin mit der Rolle der Kunst im Evangelium. Er hatte beobachten müssen, wie Kunst auch missbraucht wurde. „Das Böse setzt die Kunst als Mittel zur Vernichtung der Menschen ein“, stellte er fest. „In freien demokratischen Ländern nutzt das Böse die Kunst, um sittliche Werte zu zerstören, und in autoritär regierten Staaten als Werkzeug für Propaganda und Gewalt.“ Doch er war überzeugt, dass gläubige Menschen im Gegensatz dazu die Kunst einsetzen könnten, um Großes zu vollbringen. „Kunstwerke, die uns erheben“, schrieb er, „lassen uns auf ein Zion hoffen, in dem die Heiligen in einer Kultur des Friedens, der Liebe und der Schönheit zusammenleben.“ In einer Welt, in der beides vertreten ist, forderte Wondra die Mitglieder auf, nach dem Guten zu streben und nicht einfach nur das Schlechte zu meiden. Er war sogar der Ansicht, dass die Zweige oder Pfähle der Kirche einen „Wohlfahrtsplan der Schönheit“ aufstellen sollten, um die Heiligen zu inspirieren und zu beschützen. „Wir können unsere jungen Leute nicht von den Einflüssen dieser Welt abschotten“, sagte er, „aber wir können ihnen beibringen, zu differenzieren.“