Generalkonferenz
Lasst die Geduld zu einem vollkommenen Werk führen, und haltet alles für lauter Freude!
Herbst-Generalkonferenz 2020


Lasst die Geduld zu einem vollkommenen Werk führen, und haltet alles für lauter Freude!

Wenn wir Geduld üben, wächst unser Glaube; und mit dem Glauben nimmt auch die Freude zu

Vor zwei Jahren ist mein jüngster Bruder Chad durch den Schleier gegangen. Sein Übergang in die nächste Welt hat im Herzen meiner Schwägerin Stephanie, ihrer zwei kleinen Kinder Braden und Bella sowie der restlichen Familie ein Loch hinterlassen. Wir fanden Trost in den Worten von Elder Neil L. Andersen, der eine Woche vor Chads Tod bei der Generalkonferenz sagte: „Gehen Sie im Schmelztiegel irdischer Prüfungen geduldig weiter vorwärts, dann bringt die heilende Kraft des Erretters Ihnen Licht, Verständnis, Frieden und Hoffnung.“ („Verwundet“, Liahona, November 2018, Seite 85.)

Bild
Chad Jaggi mit seiner Familie

Wir haben Glauben an Jesus Christus. Wir wissen, dass wir Chad wiedersehen werden. Aber es tut weh, dass er jetzt nicht mehr bei uns ist! Viele haben einen geliebten Menschen verloren. Es ist schwer, geduldig zu sein und auf die Zeit des Wiedersehens zu warten.

In dem Jahr nach Chads Tod war es, als überschatte uns eine dunkle Wolke. Wir suchten Zuflucht im Schriftstudium, im noch innigeren Gebet und in häufigen Tempelbesuchen. Unsere Gefühle damals lassen sich mit den Zeilen dieses Liedes beschreiben: „Der Morgen erwachet, … die Schatten der dunkelen Nacht nun entfliehn.“ („Der Morgen erwachet“, Gesangbuch, Nr. 28.)

Unsere Familie beschloss, das Jahr 2020 mit neuem Mut anzugehen. Ende November 2019 befassten wir uns im Lehrplan Komm und folge mir nach! mit der Lektion zum Buch Jakobus aus dem Neuen Testament, und dabei offenbarte sich uns ein Motto. In Jakobus, Kapitel 1, Vers 2 steht: „Meine Brüder, haltet es für lauter Freude, wenn ihr in viele Bedrängnisse geratet!“ (Joseph-Smith-Übersetzung, Jakobus 1:2, im Schriftenführer.) Wir wollten das neue Jahr, das neue Jahrzehnt mit Freude beginnen und beschlossen, dass wir 2020 alles „für lauter Freude“ halten wollten. Um unseren Entschluss zu unterstreichen, schenkten wir unseren Geschwistern letzte Weihnachten T-Shirts mit der Aufschrift „Haltet alles für Freude“. Gewiss sollte das Jahr 2020 ein Jahr voller Freude werden.

Tja – das Jahr 2020 hat uns stattdessen die weltweite COVID-19-Pandemie, Bürgerunruhen, noch mehr Naturkatastrophen und wirtschaftliche Probleme gebracht, nicht wahr? Vielleicht gewährt der Vater im Himmel uns Zeit, in uns zu gehen und über unser Verständnis von Geduld und die bewusste Entscheidung für Freude nachzudenken.

Das Buch Jakobus hat seither eine neue Bedeutung für uns gewonnen. In Jakobus, Kapitel 1, Vers 3 und 4 heißt es weiter:

„Ihr wisst, dass die Prüfung eures Glaubens Geduld bewirkt.

Die Geduld aber soll zu einem vollkommenen Werk führen, damit ihr vollkommen und untadelig seid und es euch an nichts fehlt.“

Bei unserem Bemühen, inmitten von Prüfungen Freude zu finden, hatten wir vergessen, dass Geduld der Schlüssel dazu ist, dass solche Prüfungen uns zum Guten gereichen.

König Benjamin hat uns aufgefordert, den natürlichen Menschen abzulegen und „durch das Sühnopfer Christi, des Herrn, ein Heiliger [und] wie ein Kind [zu werden], fügsam, sanftmütig, demütig, geduldig, voller Liebe und willig, sich allem zu fügen“ (Mosia 3:19).

In Kapitel 6 der Anleitung Verkündet mein Evangelium! stehen wichtige Eigenschaften Christi, die wir uns zu eigen machen können: „Geduld ist die Fähigkeit, Verzögerungen, Schwierigkeiten, Widerstand oder Leid zu ertragen, ohne wütend, enttäuscht oder besorgt zu sein. Geduld ist die Fähigkeit, Gottes Willen zu tun und seinen Zeitplan anzunehmen. Wenn Sie geduldig sind, halten Sie auch unter Druck stand und können Widrigkeiten ruhig und voller Hoffnung begegnen.“ (Verkündet mein Evangelium!, Anleitung für den Missionsdienst, Seite 140.)

Das vollkommene Werk der Geduld lässt sich auch im Leben eines der ersten Jünger Christi, Simon Kananäus, veranschaulichen. Die Zeloten waren eine Gruppe jüdischer Nationalisten, die sich vehement der römischen Herrschaft widersetzten. Die Zelotenbewegung befürwortete Gewalt gegen die Römer, deren jüdische Kollaborateure und die Sadduzäer. Zur Förderung ihrer Sache plünderten sie Vorräte und griffen zu weiteren Mitteln (siehe Encyclopedia Britannica, Stichwort „Zealot“, britannica.com). Simon Kananäus war ein Zelot (siehe Lukas 6:15). Stellen Sie sich vor, Simon hätte versucht, den Erretter dazu zu überreden, Waffen zu ergreifen, eine militante Gruppe anzuführen oder Jerusalem ins Chaos zu stürzen. Jesus lehrte:

„Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben. …

Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. …

Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ (Matthäus 5:5,7,9.)

Simon mag seine Weltanschauung voll leidenschaftlichem Eifer gelebt und verfochten haben, aber aus der Schrift lässt sich schließen, dass sich seine Sichtweise durch den Einfluss und das Beispiel des Erretters änderte. Die Nachfolge Christi rückte in den Mittelpunkt all seiner Anstrengungen.

Wenn wir Bündnisse mit Gott schließen und halten, kann der Erretter uns helfen, „von neuem geboren [zu] werden …; ja, geboren aus Gott, aus [einem] fleischlichen und gefallenen Zustand umgewandelt in einen Zustand der Rechtschaffenheit, durch Gott erlöst, und … seine Söhne und Töchter [zu] werden“ (Mosia 27:25).

Möge von all den ehrgeizigen sozialen, religiösen und politischen Bestrebungen unserer Zeit es unser offenkundigstes und innigstes Bestreben sein, ein Jünger Jesu Christi zu sein. „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Matthäus 6:21.) Mögen wir auch nicht vergessen, dass ein treuer Jünger selbst dann Ausdauer braucht, wenn er „den Willen Gottes erfüllt“ hat (Hebräer 10:36).

So wie die Prüfung unseres Glaubens Geduld bewirkt, wächst unser Glaube, wenn wir Geduld üben. Und mit dem Glauben nimmt auch die Freude zu.

Im vergangenen März musste sich unsere zweite Tochter Emma wie viele Missionare der Kirche isolieren. Viele Missionare kehrten nach Hause zurück. Viele Missionare warteten auf einen neuen Auftrag. Viele empfingen nicht die Tempelsegnungen, bevor sie ins Missionsgebiet reisten. Wir danken Ihnen, den Missionaren und Missionarinnen. Wir haben Sie lieb.

Emma und ihre Mitarbeiterin in den Niederlanden kamen in diesen ersten paar Wochen an ihre Grenzen – und oft kamen ihnen die Tränen. Sie konnten die Wohnung nur begrenzt verlassen und hatten nur selten Gelegenheit, persönlich mit Menschen in Kontakt zu treten, und so setzte Emma ihr Vertrauen vermehrt in Gott. Wir beteten online mit ihr und fragten, wie wir helfen könnten. Sie bat uns, Freunde zu kontaktieren, die sie online unterwies!

Unsere Familie trat also mit Emmas Freunden in den Niederlanden online in Kontakt. Einen nach dem anderen luden wir ein, online bei unserem wöchentlichen Studium des Lehrplans Komm und folge mir nach! mit der Großfamilie dabei zu sein. Floor, Laura, Renske, Freek, Benjamin, Stal und Muhammad sind jetzt unsere Freunde geworden. Einige unserer Freunde aus den Niederlanden sind „durch die enge Pforte“ eingetreten (3 Nephi 14:13). Anderen wird derzeit erklärt, „dass der Pfad eng ist und dass das Tor schmal ist, durch das sie eintreten sollen“ (2 Nephi 31:9). Sie sind unsere Brüder und Schwestern in Christus. Wir halten es jede Woche „für lauter Freude“, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, auf dem Weg der Bündnisse Fortschritt zu machen.

Wir lassen „die Geduld … zu einem vollkommenen Werk führen“ (Jakobus 1:4), während wir eine Zeit lang nicht als Gemeindefamilie zusammenkommen können. Wir halten es aber für Freude, dass wir mithilfe der Technik mit neuen Freunden verbunden sind und wir uns gemeinsam mit dem Lehrplan Komm und folge mir nach! mit dem Buch Mormon befassen.

Präsident Russell M. Nelson hat uns verheißen: „Ihre anhaltenden Bemühungen in diesem Bestreben – selbst in den Momenten, wenn Sie das Gefühl haben, nicht besonders erfolgreich zu sein – werden Ihr Leben, das Ihrer Familie und die Welt verändern.“ („Gehen Sie mit Glauben voran“, Liahona, Mai 2020, Seite 114.)

Der Ort, an dem wir heilige Bündnisse mit Gott eingehen – der Tempel –, ist vorübergehend geschlossen. Der Ort, an dem wir Bündnisse mit Gott halten – das Zuhause –, ist jedoch offen! Wir haben die Gelegenheit, uns zuhause mit der außergewöhnlichen Schönheit der Tempelbündnisse zu befassen und darüber nachzusinnen. Selbst wenn wir diesen heiligen Ort nicht betreten können, freut sich unser „Herz [sehr] infolge der Segnungen, die ausgegossen werden sollen“ (Lehre und Bündnisse 110:9).

Viele haben ihren Arbeitsplatz verloren; andere haben Chancen eingebüßt. Wir freuen uns jedoch mit Präsident Nelson, der vor kurzem erklärt hat: „Die freiwilligen Fastopfer unserer Mitglieder sowie die Spenden an den Fonds für humanitäre Hilfe haben zugenommen. … Gemeinsam werden wir diese schwierige Zeit überstehen. Der Herr wird Sie segnen, während Sie weiterhin anderen ein Segen sind.“ (Russell M. Nelsons Facebook-Seite, am 16. August 2020 veröffentlichter Beitrag, facebook.com/russell.m.nelson.)

„Habt Vertrauen“, lautet das Gebot des Herrn, und nicht: Ihr sollt auf Angst bauen (siehe Matthäus 14:27).

Manchmal verlieren wir die Geduld, wenn wir glauben, dass wir doch „alles richtig machen“, aber dennoch nicht die gewünschten Segnungen erhalten. Henoch wandelte 365 Jahre lang mit Gott, ehe er und sein Volk entrückt wurden. Sie bemühten sich dreihundertfünfundsechzig Jahre lang, alles richtig zu machen, dann erst geschah es! (Siehe Lehre und Bündnisse 107:49.)

Mein Bruder Chad verstarb nur wenige Monate, nachdem wir aus unserer Berufung, über die Utah-Mission Ogden zu präsidieren, entlassen worden waren. Es war ein Wunder, dass wir, als wir in Südkalifornien lebten, von allen 417 Missionen, in die wir 2015 hätten berufen werden können, ausgerechnet in den Norden Utahs berufen wurden. Das Missionsheim war 30 Autominuten von Chads Haus entfernt. Chads Krebs wurde festgestellt, nachdem wir unsere Missionsberufung erhalten hatten. Selbst in dieser schweren Situation wussten wir, dass der Vater im Himmel auf uns achtete und uns half, Freude zu finden.

Ich gebe Zeugnis für die erlösende, heiligende, demütig stimmende und Freude bringende Macht des Erretters Jesus Christus. Ich bezeuge, dass uns der Vater im Himmel, wenn wir im Namen Jesu zu ihm beten, antwortet. Ich bezeuge: Wenn wir die Stimme des Herrn und seines lebenden Propheten, Präsident Russell M. Nelson, hören, darauf horchen und sie befolgen, kann „die Geduld … zu einem vollkommenen Werk führen“ und wir können alles „für lauter Freude“ halten. Im Namen Jesu Christi. Amen.