Generalkonferenz
Geprüft, bewährt und geschliffen
Herbst-Generalkonferenz 2020


Geprüft, bewährt und geschliffen

Die größte Segnung, die wir erhalten, wenn wir in Bedrängnissen unseren Bündnissen treu bleiben, ist eine Wandlung unseres Wesens

Meine lieben Brüder und Schwestern, ich bin dankbar, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich hoffe, dass ich Ihnen Mut schenken kann für die Zeiten, in denen das Leben besonders schwierig und unsicher erscheint. Bei einigen von Ihnen ist das jetzt im Augenblick der Fall, und wenn nicht, so werden solche Zeiten noch kommen.

Das ist keine pessimistische Sichtweise. Sie ist realistisch, ja sogar optimistisch angesichts der Absicht, mit der Gott diese Welt erschaffen hat. Seine Absicht war, seinen Kindern die Gelegenheit zu geben, zu zeigen, dass sie willens und fähig sind, das Richtige zu wählen, wenn es schwierig ist. Auf diese Weise würde sich ihr Wesen wandeln und sie könnten mehr wie Gott werden. Er wusste, dass dafür unerschütterlicher Glaube an ihn erforderlich ist.

Viel von dem, was ich weiß, habe ich von meiner Familie gelernt. Als ich etwa acht Jahre alt war, bat meine kluge Mutter meinen Bruder und mich, ihr im Garten hinterm Haus beim Unkrautjäten zu helfen. Das hört sich nicht so schlimm an, aber wir wohnten in New Jersey, wo es oft regnete. Wir hatten festen Lehmboden. Das Unkraut wuchs schneller als das Gemüse.

Ich weiß noch, wie geknickt ich war, wenn ich abgerissene Unkrautstängel in der Hand hielt und die Wurzeln noch fest im Boden steckten. Meine Mutter und mein Bruder waren in ihren Reihen schon viel weiter. Je mehr ich mich anstrengte, desto größer wurde mein Abstand zu ihnen.

„Das ist zu schwer!“, rief ich.

Doch anstatt mich zu bemitleiden, sagte meine Mutter lächelnd: „Ach Hal, natürlich ist es schwer. Das muss so sein. Das Leben ist ja eine Prüfung.“

In diesem Augenblick wusste ich, dass ihre Worte stimmten und dass dies auch mein ganzes Leben lang so sein würde.

Warum meine Mutter dabei liebevoll gelächelt hatte, wurde mir Jahre später klar, als ich las, was der Vater im Himmel und sein geliebter Sohn darüber sagten, mit welcher Absicht sie diese Welt erschaffen und Geistkindern die Gelegenheit zu einem irdischen Leben gegeben hatten:

„Und wir wollen sie hierdurch prüfen und sehen, ob sie alles tun werden, was auch immer der Herr, ihr Gott, ihnen gebietet;

und diejenigen, die sich ihren ersten Stand bewahren, werden hinzugefügt bekommen; und diejenigen, die sich ihren ersten Stand nicht bewahren, werden keine Herrlichkeit im selben Reich mit denen haben, die sich ihren ersten Stand bewahren; und diejenigen, die sich ihren zweiten Stand bewahren, werden Herrlichkeit auf ihr Haupt hinzugefügt bekommen für immer und immer.“1

Wir alle haben das Angebot angenommen, uns prüfen zu lassen und zu beweisen, dass wir uns dafür entscheiden würden, die Gebote Gottes zu halten, wenn wir nicht mehr in der Gegenwart unseres himmlischen Vaters sind.

Doch selbst nach einem so liebevollen Angebot von unserem Vater im Himmel überzeugte Luzifer ein Drittel der Geistkinder, ihm zu folgen und den Plan des Vaters für unser Wachstum und ewiges Glück zu verwerfen. Wegen seiner Auflehnung wurde der Satan mitsamt seinen Anhängern ausgestoßen. Und jetzt versucht er, so viele wie möglich dazu zu bringen, sich in diesem irdischen Leben von Gott abzuwenden.

Diejenigen von uns, die den Plan Gottes annahmen, taten dies, weil sie Glauben an Jesus Christus hatten, der angeboten hatte, unser Erretter und Erlöser zu werden. Damals müssen wir überzeugt gewesen sein, dass die Macht des Guten – welche irdischen Schwächen wir auch haben mögen und welche bösen Mächte auch gegen uns streiten mögen – immer unendlich viel größer sein würde.

Der Vater im Himmel und Jesus Christus kennen und lieben Sie. Beide möchten, dass Sie zu ihnen zurückkehren und so wie sie werden. Ihr Erfolg ist auch der Erfolg Gottes und Jesu. Sicher haben Sie gespürt, wie der Heilige Geist diese Liebe bestätigt hat, als Sie folgende Worte gelesen oder gehört haben: „Denn siehe, dies ist mein Werk und meine Herrlichkeit: die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen.“2

Gott hat die Macht, unseren Weg leichter zu machen. Er speiste die Kinder Israel mit Manna, während sie zum verheißenen Land zogen. Im Laufe seines irdischen Wirkens heilte der Herr die Kranken, weckte Tote auf und beruhigte die See. Nach seiner Auferstehung öffnete er „den Gebundenen“3 das Gefängnis.

Und doch musste der Prophet Joseph Smith, einer der größten Propheten Gottes, im Gefängnis leiden und den lehrreichen Satz anhören, von dem wir alle profitieren und den wir in unseren wiederkehrenden Glaubensprüfungen brauchen: „Und wenn du in die Grube geworfen werden oder Mördern in die Hände fallen solltest und das Todesurteil über dich gesprochen werden sollte, wenn du in die Tiefe gestürzt wirst, wenn die brausende See sich gegen dich verschwört, wenn wütende Winde deine Feinde werden, wenn sich am Himmel Finsternis zusammenzieht und alle Elemente sich verbünden, um den Weg zu versperren, und, vor allem, wenn die Hölle selbst ihren Rachen weit aufreißt nach dir, dann wisse, mein Sohn, dass dies alles dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen wird.“4

Sie fragen sich vielleicht zu Recht, weshalb ein liebender und allmächtiger Gott zulässt, dass unsere Prüfungen hier auf Erden so schwer sind. Das tut er, weil er weiß, dass wir geistig an Reinheit und Format zunehmen müssen, um als Familie für immer bei ihm leben zu können. Um dies zu ermöglichen, gab uns der Vater im Himmel einen Erretter und das Recht, uns selbst durch Glauben dafür zu entscheiden, die Gebote Gottes zu halten und umzukehren und auf diese Weise zu ihm zu kommen.

Der Plan des Glücklichseins, den unser Vater für uns hat, zielt im Kern darauf ab, dass wir immer mehr wie sein geliebter Sohn, Jesus Christus, werden. Das Beispiel des Erretters ist bei allem unser bester Ratgeber. Selbst er musste sich beweisen. Er harrte für alle Kinder des Vaters im Himmel aus und zahlte den Preis für all unsere Sünden. Er spürte das Leid aller, die auf Erden gelebt haben und noch hier leben werden.

Wenn Sie sich fragen, wie viel Schmerz Sie ertragen können, denken Sie an ihn. Er hat durchlitten, was Sie erleiden, damit er weiß, wie er Sie emporheben kann. Vielleicht nimmt er Ihnen die Last nicht ab, aber er wird Ihnen Kraft, Trost und Hoffnung geben. Er kennt den Weg. Er hat den bitteren Kelch getrunken. Er hat das Leid aller Menschen auf sich genommen.

Sie werden von einem liebevollen Erretter gestärkt und getröstet. Er weiß, wie er Ihnen beistehen kann, ganz gleich, was Ihnen widerfährt. Alma hat gesagt:

„Und er wird hingehen und Schmerzen und Bedrängnisse und Versuchungen jeder Art leiden; und dies, damit sich das Wort erfülle, das da sagt, er werde die Schmerzen und die Krankheiten seines Volkes auf sich nehmen.

Und er wird den Tod auf sich nehmen, auf dass er die Bande des Todes löse, die sein Volk binden; und er wird dessen Schwächen auf sich nehmen, auf dass sein Inneres von Barmherzigkeit erfüllt sei gemäß dem Fleische, damit er gemäß dem Fleische wisse, wie er seinem Volk beistehen könne gemäß dessen Schwächen.“5

Der Herr wird Ihnen unter anderem dadurch beistehen, dass er Sie bittet, an ihn zu denken und zu ihm zu kommen. Er hat uns ermuntert:

„Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken.

Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“6

Und wie kommen Sie zu ihm? Sie weiden sich an seinem Wort, üben Glauben zur Umkehr aus, entscheiden sich, sich von einem bevollmächtigten Diener Jesu taufen und konfirmieren zu lassen, und dann halten Sie die Bündnisse, die Sie mit Gott eingegangen sind. Er sendet den Heiligen Geist, der Sie begleiten, trösten und führen soll.

Wenn Sie so leben, dass Sie der Gabe des Heiligen Geistes würdig sind, kann der Herr Sie dorthin führen, wo es sicher ist, selbst wenn Sie den Weg nicht erkennen können. Ich habe es oft erlebt, dass er mir nur die nächsten ein, zwei Schritte gezeigt hat. Nur selten hat er mir einen kurzen Blick auf die ferne Zukunft gewährt, doch diese wenigen kurzen Blicke bestimmen, wie ich mich Tag für Tag entscheide.

Der Herr hat erklärt:

„Mit euren natürlichen Augen könnt ihr zur gegenwärtigen Zeit die Absicht eures Gottes in Bezug auf das, was später noch geschehen wird, nicht sehen, auch nicht die Herrlichkeit, die … viel Drangsal folgen wird.

Denn nach viel Drangsal kommen die Segnungen.“7

Die größte Segnung, die wir erhalten, wenn wir in Bedrängnissen unseren Bündnissen treu bleiben, ist eine Wandlung unseres Wesens. Wenn wir beschließen, eingegangene Bündnisse zu halten, können die Macht Jesu Christi und die Segnungen seines Sühnopfers in uns wirken. Unser Herz kann erweicht werden, sodass wir Liebe spüren, vergeben und andere einladen, zum Erretter zu kommen. Unser Vertrauen in den Herrn nimmt zu. Unsere Ängste nehmen ab.

Aber auch wenn uns solche Segnungen aufgrund von Bedrängnissen verheißen sind, wünschen wir uns keine Bedrängnisse herbei. Das irdische Leben bietet uns ausreichend Gelegenheiten, uns zu bewähren und Prüfungen zu bestehen, die schwer genug sind, dass wir immer mehr wie der Erretter und der Vater im Himmel werden.

Außerdem müssen wir die Bedrängnisse anderer wahrnehmen und versuchen, ihnen zu helfen. Das ist ganz besonders schwer, wenn wir gerade selbst hart auf die Probe gestellt werden. Doch wir werden feststellen: Wenn wir die Last eines anderen leichter machen, und sei es nur ein wenig, wird unser Rücken gestärkt und wir erahnen ein Licht in der Dunkelheit.

Darin ist uns der Herr ein großes Vorbild. Als er auf Golgota am Kreuz hing und schon so viel Schmerz erlitten hatte, dass er längst gestorben wäre, wäre er nicht der einziggezeugte Sohn Gottes gewesen, sah er auf seine Peiniger hinab und sprach zu seinem Vater: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“8 Während er für alle litt, die jemals leben werden, sah er vom Kreuz auf Johannes und seine eigene trauernde Mutter hinab und stand ihr in ihrem Kummer bei:

„Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn!

Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“9

An diesem Tag, dem heiligsten von allen, gab er freiwillig sein Leben für einen jeden von uns und bietet uns damit nicht nur Beistand für dieses Leben an, sondern auch ewiges Leben zu einem zukünftigen Zeitpunkt.

Ich habe miterlebt, wie Menschen immens gewachsen sind, weil sie in entsetzlichen Prüfungen standhaft waren. Beispiele dafür gibt es heute überall in der Kirche. Bedrängnis treibt die Menschen auf die Knie. Dadurch, dass sie gläubig ausharren und sich anstrengen, werden sie mehr wie der Erretter und der Vater im Himmel.

Ich habe noch etwas anderes von meiner Mutter gelernt. Als Kind hatte sie Diphtherie und wäre fast gestorben. Später hatte sie eine Hirnhautentzündung. Ihr Vater starb schon in jungen Jahren, und so mussten sie und ihre Brüder ihre Mutter unterstützen.

Ihr ganzes Leben war geprägt von Krankheit. In ihren letzten zehn Lebensjahren musste sie mehrfach operiert werden. Doch in all dem blieb sie dem Herrn treu, selbst als sie auf Dauer bettlägerig war. Das einzige Bild an ihrer Schlafzimmerwand war eines vom Erretter. Die letzten Worte, die sie an mich richtete, als sie im Sterben lag, lauteten: „Hal, du klingst, als sei eine Erkältung im Anmarsch. Gib gut auf dich Acht!“

Der Schlusssprecher bei ihrer Beerdigung war Elder Spencer W. Kimball. Nachdem er ein wenig über ihre Prüfungen und ihre Glaubenstreue gesprochen hatte, sagte er in etwa: „Einige von Ihnen fragen sich vielleicht, warum Mildred so viel und so lange leiden musste. Ich will es Ihnen sagen: Weil der Herr sie noch ein wenig glatter schleifen wollte.“

Ich bin sehr dankbar für die vielen treuen Mitglieder der Kirche Jesu Christi, die ihre Lasten mit stetem Glauben tragen und die anderen helfen, deren Last zu tragen, während der Herr sie noch ein wenig glatter schleifen möchte. Außerdem bewundere ich von ganzem Herzen Menschen in Pflegeberufen und in führenden Positionen, die sich überall auf der Welt um andere kümmern, die mit ihren Angehörigen ein solches Glattschleifen ertragen müssen.

Ich bezeuge, dass wir Kinder eines Vaters im Himmel sind, der uns liebt. Ich kann die Liebe spüren, die Präsident Russell M. Nelson für uns alle empfindet. Er ist heute der Prophet des Herrn auf Erden. Dies bezeuge ich im heiligen Namen des Herrn Jesus Christus. Amen.