2010–2019
Durch den Geist nach Erkenntnis trachten
Frühjahrs-Generalkonferenz 2019


Durch den Geist nach Erkenntnis trachten

Wir müssen lernen, die Wahrheit nicht nur mit dem rationalen Verstand, sondern auch durch die sehr leise, sanfte Stimme des Geistes zu erkennen

Liebe Brüder und Schwestern, der Herr hat uns wiederholt aufgefordert: „Trachtet nach Wissen, ja, durch Studium und auch durch Glauben.“1 Man kann Licht und Verständnis nicht nur mit dem Verstand durch logisches Denken empfangen, sondern auch durch Führung und Inspiration vom Heiligen Geist.

Diese zusätzliche Quelle der Erkenntnis war nicht immer ein Teil meines Lebens.

Meine liebe Frau Irene und ich haben uns vor 31 Jahren der Kirche angeschlossen, als wir frisch verheiratet waren. Wir sind beide in Kolumbien aufgewachsen. Ein paar Monate nach unserer Hochzeit führte uns meine berufliche Laufbahn jedoch nach Deutschland. Wir waren noch sehr jung und hatten große Hoffnungen und Erwartungen. Es war eine besonders spannende und glückliche Zeit für uns.

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Schwester Held und Elder Held

Während ich mich auf meine Arbeit konzentrierte, hatte Irene das Gefühl, wir würden demnächst eine Art Botschaft vom Himmel erhalten, ohne zu wissen, wie oder wann. Also begann sie, alle erdenklichen Vertreter für Lexika, Staubsauger, Kochbücher, Küchengeräte und so weiter ins Haus zu lassen – immer in Erwartung dieser einzigartigen Botschaft.

Eines Abends erzählte sie mir, zwei junge Männer in dunklen Anzügen hätten an unsere Tür geklopft, und sie habe ganz klar und unmissverständlich das Gefühl gehabt, sie solle sie hereinbitten. Sie hätten gesagt, sie wollten mit ihr über Gott sprechen, würden aber wiederkommen, wenn auch ich zuhause wäre. Sollte das die erwartete Botschaft sein?

Von da an besuchten sie uns. Unter ihrer Anleitung lasen wir in den heiligen Schriften und erkannten, wie überaus wichtig Jesus Christus als unser Erretter und Erlöser ist. Bald schon bedauerten wir, dass wir als Babys getauft worden waren – was ja kein bewusst eingegangener Bund gewesen war. Ließen wir uns aber erneut taufen, würde das bedeuten, dass wir Mitglieder dieser neuen Kirche würden. Wir mussten also erst einmal alles verstehen, was damit zusammenhing.

Doch woran könnten wir erkennen, ob das, was die Missionare uns über das Buch Mormon, über Joseph Smith und über den Erlösungsplan sagten, tatsächlich der Wahrheit entsprach? Immerhin hatten wir dank der Worte des Herrn verstanden, dass wir sie „an ihren Früchten … erkennen“2 könnten. Also begannen wir, die Kirche ganz systematisch zu prüfen, und betrachteten diese Früchte mit unserem äußerst rationalen Verstand. Und was sahen wir da? Wir sahen dies:

  • freundliche und glückliche Menschen und wunderbare Familien, denen klar war, dass wir in diesem Leben Freude haben sollen und nicht nur Leid und Elend,

  • eine Kirche, in der es keine bezahlten Geistlichen gibt, sondern in der die Mitglieder Aufgaben und Verantwortung übernehmen,

  • eine Kirche, in der Jesus Christus und die Familie bei allem im Mittelpunkt stehen, in der die Mitglieder einmal im Monat fasten und Geld spenden, um Armen und Bedürftigen zu helfen, wo gesunde Gewohnheiten gefördert werden und man uns beibringt, uns von schädlichen Substanzen fernzuhalten.

Außerdem:

  • gefiel uns, dass man auf persönlichen Fortschritt, Bildung und Ausbildung, harte Arbeit und Eigenständigkeit Wert legt,

  • erfuhren wir von dem beachtlichen humanitären Hilfsprogramm

  • und waren von den Generalkonferenzen mit ihrer herrlichen Musik und den dort vermittelten gewichtigen geistigen Grundsätzen beeindruckt.

Mit all dem vor Augen hatten wir an der Kirche nichts auszusetzen. Im Gegenteil: Alles, was wir sahen, gefiel uns sehr. Dennoch konnten wir uns noch immer nicht zur Taufe durchringen, denn vorher wollten wir einfach alles wissen.

Doch selbst in unserer Unentschlossenheit bereitete der Herr uns geduldig vor. Er formte uns und zeigte uns, dass wir lernen mussten, die Wahrheit nicht nur mit dem rationalen Verstand, sondern auch durch die sehr leise und sanfte Stimme des Geistes zu erkennen, die besonders das Herz anspricht.

Eines Abends, als wir uns bereits zehn Monate lang mit dem Evangelium bekanntgemacht hatten, stellten sich jene Stimme und das damit sogleich einhergehende Gefühl ein, als wir in Mosia 18 lasen: „Da ihr den Wunsch habt, … des anderen Last zu tragen … und diejenigen zu trösten, die des Trostes bedürfen, … wenn das euer Herzenswunsch ist, was habt ihr dann dagegen, euch im Namen des Herrn taufen zu lassen?“3

Dieser Abschnitt aus dem Buch Mormon drang uns tief ins Herz. Plötzlich war uns emotional wie rational klar, dass es wirklich keinen Grund gab, uns nicht taufen zu lassen. Wir erkannten, dass die in diesen Versen erwähnten Wünsche auch unsere Herzenswünsche waren und dass es eben genau darauf ankam. Das war weit wichtiger, als dass wir alles verstanden, denn wir wussten bereits genug. Wir hatten immer darauf vertraut, dass ein liebevoller Vater im Himmel uns mit seiner Hand leitet, und waren sicher, er würde uns weiterhin leiten.

Daher legten wir noch am selben Tag das Datum für unsere Taufe fest und ließen uns bald darauf – endlich! – taufen.

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Die Taufe von Elder Held und Schwester Held

Was haben wir daraus gelernt?

Zunächst haben wir gelernt, dass wir uns voll und ganz auf den liebevollen Vater im Himmel verlassen können. Er hilft uns fortwährend dabei, der Mensch zu werden, den er in uns sieht. Wir fanden die tiefgründige Wahrheit seiner Worte auch in dieser Aussage des Herrn bestätigt: „Ich werde den Menschenkindern Zeile um Zeile geben, Weisung um Weisung, hier ein wenig und dort ein wenig; und gesegnet sind, die auf meine Weisungen hören[,] denn sie werden Weisheit lernen; denn dem, der empfängt, werde ich mehr geben.“4

Außerdem haben wir gelernt, dass uns neben dem rationalen Verstand eine weitere Dimension des Wissenserwerbs Führung und Erkenntnis schenken kann. Es ist die leise, sanfte Stimme seines Heiligen Geistes, die uns in Herz und auch Verstand anspricht.

Diesen Grundsatz vergleiche ich gern mit unserem Sehvermögen: Der Vater im Himmel hat uns nicht nur ein physisches Auge gegeben, sondern zwei. Mit einem Auge kann man hinreichend sehen, doch das zweite Auge verleiht uns einen zusätzlichen Blickwinkel. Wenn beide Blickwinkel im Gehirn zusammengeführt werden, erzeugen sie ein dreidimensionales Bild unserer Umgebung.

Ebenso sind uns dank unserer physischen und geistigen Fähigkeiten zwei Informationsquellen gegeben: Unser Verstand erzeugt durch unsere körperlichen Sinne und unsere Denkfähigkeit eine bestimmte Wahrnehmung. Aber mit der Gabe des Heiligen Geistes hat der Vater im Himmel auch für eine zweite Sichtweise gesorgt, die tatsächlich wichtigste und wahre, denn sie kommt direkt von ihm. Doch weil die Einflüsterungen des Geistes oft sehr leise sind, sind sich viele Menschen dieser zusätzlichen Quelle nicht bewusst.

Wenn diese beiden Blickwinkel in unserer Seele miteinander verbunden werden, zeigt sich in einem vollständigen Bild alles so, wie es wirklich ist. Tatsächlich lassen sich dank dem zusätzlichen Blickwinkel des Heiligen Geistes bestimmte „Realitäten“, die wir uns ausschließlich mit dem Verstand erschließen, sogar als Täuschung oder schlichtweg falsch entlarven. Denken Sie an Moronis Worte: „Durch die Macht des Heiligen Geistes könnt ihr von allem wissen, ob es wahr ist.“5

In meinen 31 Jahren als Mitglied der Kirche habe ich dies oft erlebt: Wenn wir uns allein auf unseren Verstand verlassen und das geistige Verständnis, das wir durch die Einflüsterungen und Eingebungen des Heiligen Geistes erlangen können, bestreiten oder außer Acht lassen, ist es so, als gingen wir nur einäugig durchs Leben. Doch bildlich gesprochen haben wir ja „zwei Augen“ erhalten. Nur durch das Zusammenspiel beider Blickwinkel kann sich uns das wahre und vollständige Bild von aller Wahrheit und all unserem Erleben zeigen, und nur dadurch können wir auch unsere Identität und Bestimmung als Kinder eines lebenden himmlischen Vaters voll und ganz erfassen.

Das erinnert mich daran, was Präsident Nelson uns vor einem Jahr gesagt hat: „Es wird in künftigen Tagen nicht möglich sein, ohne den führenden, leitenden, tröstenden und steten Einfluss des Heiligen Geistes geistig zu überleben.“6

Mit absoluter Gewissheit habe ich erkannt:

  • Wir haben einen liebevollen Vater im Himmel und waren alle damit einverstanden, im Rahmen seines göttlichen Plans auf diese Erde zu kommen.

  • Jesus ist der Messias, er lebt und ist mein Erretter und Erlöser.

  • Joseph Smith, ein einfacher Farmersjunge, wurde berufen und wurde zu dem mächtigen Propheten, der diese Evangeliumszeit, die Fülle der Zeiten, mit all ihren Schlüsseln und mit der Macht und Vollmacht des heiligen Priestertums Gottes eingeleitet hat.

  • Das Buch Mormon ist ein zweiter Zeuge für Jesus Christus, und Familien sollen für immer zusammenbleiben.

  • Unser Herr, Jesus Christus, leitet heute diese, seine wiederhergestellte Kirche durch unseren lebenden Propheten, Präsident Russell M. Nelson.

Diese und viele weitere kostbare Wahrheiten sind zu geistigen Bausteinen für den Menschen geworden, zu dem ich mich mit Gottes Hilfe entwickle. Und ich freue mich auf die vielen neuen Lehren, die er mir – und Ihnen – zukommen lassen möchte, während wir durch dieses wunderbare Leben gehen und „durch Studium und auch durch Glauben“ lernen.

Ich weiß, dass dies alles wahr ist, und gebe Zeugnis dafür im Namen Jesu Christi. Amen.