2000–2009
Drei Handtücher und eine Zeitung für 25 Cent
Oktober 2006


Drei Handtücher und eine Zeitung für 25 Cent

Wenn wir den heiligen Grundsätzen Ehrlichkeit und Lauterkeit treu sind, dann sind wir unserem Glauben treu und auch uns selbst treu.

Vor einem derart gewaltigen Publikum in aller Welt ist mir schon ein wenig bang, wenn ich nun etwas bekenne. Ich möchte damit aber ein Thema einleiten, über das ich mir schon seit einiger Zeit viele Gedanken mache. Nach meinem ersten Jahr am College arbeitete ich 1955 den Sommer über in einem neu eröffneten Ferienhotel am Jackson Lake in Moran in Wyoming. Ich besaß damals ein 14 Jahre altes Auto der Marke Hudson, das eigentlich seine Lebensdauer schon um 10 Jahre überschritten hatte. Das Bodenblech dieses Autos war so schlimm verrostet, dass ich buchstäblich meine Füße über die Straße hätte schleifen lassen können, wenn nicht ein Stück Sperrholz darüber gelegen hätte. Das Gute an diesem Auto war, dass es im Gegensatz zu den meisten 14 Jahre alten Autos jener Zeit so gut wie kein Öl verbrauchte – viel Wasser für die Kühlung, aber kein Öl. Ich habe nie herausfinden können, wohin das Wasser verschwand und warum das Öl immer dünner und durchsichtiger wurde.

Am Ende des Sommers brachte ich zur Vorbereitung auf die 300 km lange Fahrt nach Hause das Auto zum einzigen Mechaniker in Moran. Nach einem kurzen Blick erklärte er mir, dass der Motorblock einen Riss habe und dass Wasser ins Öl sickere. Das erklärte das Rätsel um Wasser und Öl. Ich fragte mich, ob ich es nicht irgendwie schaffen könnte, Wasser in den Benzintank durchsickern zu lassen, denn dann hätte ich einen geringeren Benzinverbrauch!

Nun das Geständnis: Nachdem ich wunderbarerweise heil zu Hause angekommen war, kam mein Vater heraus und begrüßte mich freudig. Nach einer Umarmung und ein paar lieben Worten sah er auf dem Rücksitz meines Autos drei Handtücher aus dem Ferienhotel liegen – solche, die man nirgendwo kaufen kann. Mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck sagte er bloß: „Von dir hätte ich etwas anderes erwartet.“ Ich hatte das, was ich getan hatte, nicht für so furchtbar falsch gehalten. Für mich waren diese Handtücher einfach ein Zeichen dafür, dass ich den ganzen Sommer in einem Luxushotel gearbeitet hatte – ein Andenken, das mir sozusagen zustand. Trotzdem fühlte ich, dass ich dadurch, dass ich sie genommen hatte, das Vertrauen meines Vaters verloren hatte, und ich fühlte mich elend.

Am folgenden Wochenende legte ich das Sperrholz-Bodenbrett meines Autos zurecht, befüllte den Kühler mit Wasser und machte mich auf die 600 km lange Fahrt zur Jackson Lake Lodge und zurück, um die drei Handtücher zurückzubringen. Mein Vater fragte nie, warum ich wieder dorthin fuhr, und ich habe es nie erklärt. Es brauchte nicht ausgesprochen werden. Das war eine teure und schmerzhafte Lektion in Sachen Ehrlichkeit, die mir bis heute im Gedächtnis haften geblieben ist.

Leider mangelt es der heutigen Welt insbesondere an Ehrlichkeit und Lauterkeit. In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Geschäftsleute mit unredlichen Machenschaften und anderen Formen von Fehlverhalten einen Namen gemacht. In der Folge haben zehntausende redliche, langjährige Mitarbeiter Existenzgrundlage und Altersversorgung verloren. Das hat bei einigen dazu geführt, dass sie ihr Haus verloren haben, sich umschulen lassen oder sonstige Lebenspläne ändern mussten. Wir lesen und hören davon, dass in den Schulen ziemlich viel geschummelt wird und dass es mehr um die Note bzw. den Abschluss geht als um Bildung und Lernen. Wir hören von Studenten, die sich durch das Medizinstudium gemogelt haben und nun komplizierte Behandlungen an ihren Patienten durchführen. Ältere Leute und andere werden Opfer von Trickbetrügern, was oft zum Verlust ihres Zuhauses oder ihrer Ersparnisse führt. Solche Unehrlichkeit und mangelnde Lauterkeit basieren immer auf Gier, Anmaßung und Respektlosigkeit.

In den Sprichwörtern lesen wir: „Lügnerische Lippen sind dem Herrn ein Gräuel, doch wer zuverlässig ist in seinem Tun, der gefällt ihm.“ (Sprichwörter 12:22.)

Mormon schreibt über die bekehrten Lamaniten, die man als das Volk Anti-Nephi-Lehi kannte: „Und sie waren unter dem Volk Nephi und wurden auch zu dem Volk gezählt, das der Kirche Gottes angehörte. Und sie zeichneten sich auch durch ihre Hingabe an Gott und auch an die Menschen aus; denn sie waren völlig ehrlich und untadelig in allem; und sie waren fest im Glauben an Christus, ja, bis ans Ende.“ (Alma 27:27; Hervorhebung hinzugefügt.)

Als ich vor ungefähr 30 Jahren in der Wirtschaft arbeitete, gingen ein paar Geschäftspartner und ich einmal durch den Flughafen O’Hare in Chicago. Einer dieser Männer hatte gerade seine Firma für viele Millionen Dollar verkauft – er war also nicht arm.

Als wir an einem Zeitungsautomaten vorbeigingen, warf er ein 25-Cent-Stück in das Gerät, öffnete die Klappe zum Zeitungsstapel in der Maschine und reichte jedem von uns eine unbezahlte Zeitung. Als er mir die Zeitung gab, warf ich einen Vierteldollar in den Automaten und sagte scherzend, um niemandem zu nahe zu treten: „Jim, für 25 Cent kann ich mir meine Integrität bewahren. Vielleicht nicht für einen Dollar, aber für 25 Cent – doch, für 25 Cent schon.“ Sie sehen, ich erinnerte mich gut an die Erfahrung mit den drei Handtüchern und dem kaputten Hudson, Baujahr 1941. Ein paar Minuten später kamen wir nochmals am gleichen Zeitungsautomaten vorbei. Ich bemerkte, wie Jim hinter der Gruppe zurückblieb und etliche Vierteldollarmünzen in den Automaten einwarf. Ich erzähle Ihnen davon nicht, um mich als besonderes Beispiel für Ehrlichkeit hinzustellen, sondern nur, um die Lektion der drei Handtücher und der Zeitung für 25 Cent hervorzuheben.

Es wird niemals Ehrlichkeit im Geschäftsleben, in der Schule, zu Hause oder wo auch immer sonst herrschen, wenn sie nicht im Herzen vorhanden ist.

Wichtige und einprägsame Lektionen lernen wir oft durch ganz einfache Beispiele – drei Handtücher vielleicht oder eine Zeitung für 25 Cent. Ich frage mich, wie die Welt wäre, wenn diese einfachen Lektionen in Ehrlichkeit im frühen Alter daheim gelehrt würden – einfache Lektionen wie „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (vgl. Matthäus 22:39; Markus 12:31) oder „handle an anderen so, wie auch an dir gehandelt werden soll“ (vgl. Matthäus 7:12; Lukas 6:31). Ich frage mich, wo tausende entlassene Arbeitnehmer mit ihrer verlorenen Altersversorgung heute wären, wenn ein paar Geschäftsleute in hohen Positionen schon früh Erfahrungen mit drei Handtüchern oder einer Zeitung für 25 Cent gemacht hätten.

Ehrlichkeit ist die Grundlage eines wirklich christlichen Lebens. Für Heilige der Letzten Tage ist Ehrlichkeit eine grundlegende Bedingung, um in die heiligen Tempel des Herrn gehen zu können. Ehrlichkeit ist Bestandteil der Bündnisse, die wir im Tempel eingehen. Jeden Sonntag nehmen wir von den heiligen Symbolen des Fleisches und Blutes des Erlösers und erneuern unsere grundlegenden und heiligen Bündnisse, zu denen auch die Ehrlichkeit gehört. Als Heilige der Letzten Tage haben wir die heilige Pflicht, die Grundsätze der Ehrlichkeit nicht nur zu lehren, sondern auch nach ihnen zu leben – vielleicht anhand so einfacher Beispiele wie dem der drei Handtücher oder der Zeitung für 25 Cent. Ehrlichkeit muss zu den grundlegenden Werten gehören, die unser tägliches Leben bestimmen.

Wenn wir den heiligen Grundsätzen Ehrlichkeit und Lauterkeit treu sind, dann sind wir unserem Glauben treu und auch uns selbst treu.

Ich bete darum, dass wir als Heilige der Letzten Tage zu den ehrlichsten Menschen der Welt zählen – und dass von uns gesagt werden kann, wie vom Volk Anti-Nephi- Lehi, dass wir „völlig ehrlich und untadelig in allem [sind], … fest im Glauben an Christus, ja, bis ans Ende“. (Alma 27:27.) Im Namen Jesu Christi. Amen.