2000–2009
Der Sonntag kommt gewiss
Oktober 2006


Der Sonntag kommt gewiss

Aufgrund des Lebens und des ewigen Opfers des Erretters der Welt werden wir mit denen vereint werden, die uns teuer waren.

Ich bin dankbar, dass ich heute bei Ihnen sein und aus Ihrem Zeugnis Kraft schöpfen kann. Mit Worten lässt sich gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich für Ihre freundlichen, ermutigenden Worte bin, für Ihr liebevolles Interesse und Ihre Gebete.

Heute möchte ich ein wenig in Erinnerungen schwelgen.

Ich stamme von guten Eltern. Von meinem Vater, Joseph L. Wirthlin, habe ich gelernt, wie wertvoll harte Arbeit und Mitgefühl sind. Er war während der Weltwirtschaftskrise Bischof unserer Gemeinde. Er war aufrichtig besorgt um alle, die in Not waren. Er kümmerte sich nicht um die Bedürftigen, weil es seine Pflicht war, sondern weil es sein aufrichtiger Wunsch war.

Unermüdlich sorgte er für all diejenigen, die litten, und tat ihnen Gutes. Für mich war er der ideale Bischof.

Jeder, der meinen Vater kannte, wusste, wie tatkräftig er war. Jemand sagte mir einmal, dass er für drei arbeiten konnte. Nur selten verlangsamte er das Tempo. 1938 führte er ein erfolgreiches Geschäft, da erhielt er eine Berufung vom Präsidenten der Kirche, Heber J. Grant.

Präsident Grant teilte ihm mit, dass sie an diesem Tag die Präsidierende Bischofschaft neu bildeten und er meinen Vater als Ratgeber von LeGrand Richards berufen wollte. Das kam für meinen Vater völlig überraschend, und er fragte, ob er erst einmal darüber beten könne.

Präsident Grant sagte: „Bruder Wirthlin, ich habe nur dreißig Minuten bis zur nächsten Konferenzversammlung und möchte mich gern ein wenig ausruhen. Wie lautet Ihre Antwort?”

Natürlich stimmte mein Vater zu. Er war 23 Jahre lang in der Präsidierenden Bischofschaft, neun davon als Präsidierender Bischof der Kirche.

Mein Vater war 69 Jahre alt, als er starb. Ich war gerade bei ihm, als er plötzlich zusammenbrach. Kurz darauf ging er von uns.

Ich denke oft an meinen Vater. Ich vermisse ihn.

Meine Mutter, Madeline Bitner, hatte ebenfalls großen Einfluss auf mein Leben. In ihrer Jugend war sie eine gute Sportlerin und eine ausgezeichnete Sprinterin. Sie war immer freundlich und liebevoll, aber es war sehr anstrengend, mit ihr Schritt zu halten. Sie sagte oft: „Beeil dich!“ Wenn sie dann schneller ging, passten wir unser Tempo an. Vielleicht hatte ich deshalb beim Footballspielen diesen schnellen Antritt.

Meine Mutter stellte große Erwartungen an ihre Kinder, sie erwartete von ihnen das Beste. Ich weiß noch, dass sie manchmal sagte: „Sei nicht so armselig. Das kannst du noch besser.“ Armselig war Ihre Bezeichnung für jemand, der faul war und sein Potenzial nicht ausschöpfte.

Meine Mutter starb, als sie 87 Jahre alt war. Ich denke oft an sie und vermisse sie mehr, als ich sagen kann.

Meine jüngere Schwester, Judith, war Autorin, Komponistin und Erzieherin. Vieles lag ihr am Herzen – das Evangelium, Musik und Archäologie. Judith hatte ein paar Tage vor mir Geburtstag. Jedes Jahr gab ich ihr einen druckfrischen Ein-Dollar-Schein als Geburtstagsgeschenk. Drei Tage später schenkte sie mir 50 Cent zum Geburtstag.

Judith ist vor einigen Jahren gestorben. Ich vermisse sie und denke oft an sie.

Und damit komme ich zu meiner Frau, Elisa. Ich weiß noch, wie ich ihr das erste Mal begegnete. Um einem Freund einen Gefallen zu tun, fuhr ich zu ihrem Haus, um ihre Schwester, Frances, abzuholen. Elisa öffnete die Tür, und es war, zumindest für mich, Liebe auf den ersten Blick.

Sie muss wohl auch etwas empfunden haben, denn die ersten Worte, die ich je von ihr hörte, waren: „Ich wusste, wer du war.“

Elisa studierte Englisch als Hauptfach.

Bis zum heutigen Tag gehören diese fünf Wörter für mich zu den schönsten der menschlichen Sprache.

Sie spielte gern Tennis und hatte einen blitzschnellen Aufschlag. Ich versuchte, mit ihr Tennis zu spielen, aber ich gab schließlich auf, nachdem mir klar wurde, dass ich unmöglich etwas treffen konnte, was ich gar nicht sah.

Sie war meine Kraft und meine Freude. Durch sie bin ich ein besserer Mensch, ein besserer Ehemann und Vater. Wir haben geheiratet, acht Kinder bekommen und sind 65 Jahre lang gemeinsam durchs Leben gegangen.

Ich verdanke meiner Frau mehr, als ich sagen kann. Ich weiß nicht, ob es jemals eine vollkommene Ehe gegeben hat, aber unsere war es aus meiner Sicht.

Als Präsident Hinckley auf der Beerdigung meiner Frau sprach, sagte er, es sei erschütternd und verzehrend, einen geliebten Menschen zu verlieren. Es nagt an der Seele.

Er hatte Recht. So, wie Elisa meine größte Freude war, ist ihr Verlust mein größter Kummer.

In manch einsamer Stunde habe ich lange über das nachgedacht, was ewig ist. Ich habe über die tröstende Lehre vom ewigen Leben nachgedacht.

Im Lauf meines Lebens habe ich viele Predigten über die Auferstehung gehört. Wie Sie kann ich die Ereignisse jenes ersten Ostersonntags erzählen. Ich habe in meinen heiligen Schriften Schriftstellen markiert, die von der Auferstehung handeln, und habe jederzeit viele der wichtigsten Aussagen von neuzeitlichen Propheten zu diesem Thema zur Hand.

Wir wissen, was die Auferstehung ist: die Vereinigung von Geist und Leib in ihrer vollkommenen Gestalt.1

Präsident Joseph F. Smith hat gesagt, „dass wir diejenigen, von denen wir uns hier trennen müssen, wiedersehen werden, und zwar so, wie sie sind. Wir werden sie genau so wiedersehen, wie wir sie hier im Fleisch gesehen haben.“2

Präsident Spencer W. Kimball hat das noch weiter ausgeführt: „Wenn wir uns in jeder Hinsicht, körperlich, mental und geistig, in Bestform vorstellen können, dann entspricht das sicher dem, wie wir zurückkommen werden.“3

Wenn wir auferstehen, wird „dieser sterbliche Leib … zu einem unsterblichen Leib auferweckt, … [wir können] nicht mehr sterben“.4

Können Sie sich das vorstellen? Die Blüte unseres Lebens? Niemals krank, nie Schmerzen erleiden, nie belastet von den Übeln, die uns im Erdenleben so oft bedrängen?

Die Auferstehung steht im Mittelpunkt unseres christlichen Glaubens. Ohne sie ist unser Glaube bedeutungslos. Der Apostel Paulus sagt: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und [unser] Glaube sinnlos.“5

In der gesamten Weltgeschichte hat es viele große und weise Wesen gegeben, von denen viele Gott sehr gut kannten. Aber als der Erretter sich vom Grab erhob, tat er etwas, was niemand zuvor getan hatte. Er tat etwas, was niemand sonst tun konnte. Er zerriss die Bande des Todes, nicht nur für sich selbst, sondern für alle, die je gelebt haben – die Gerechten und die Ungerechten.6

Als Christus vom Grab auferstand, als Erstlingsfrucht der Auferstehung, machte er allen diese Gabe zugänglich. Mit dieser erhabenen Tat linderte er den erschütternden, verzehrenden Kummer, der an der Seele derer nagt, die einen geliebten Menschen verloren haben.

Ich muss daran denken, wie finster der Freitag war, an dem Christus auf das Kreuz emporgehoben wurde.

An jenem schrecklichen Freitag bebte die Erde, und es wurde finster. Schreckliche Stürme tobten über die Erde.

Die bösen Menschen, die Jesus nach dem Leben getrachtet hatten, freuten sich. Nun, da er gestorben war, würden sich seine Jünger sicherlich zerstreuen. An jenem Tag triumphierten sie.

An jenem Freitag riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei.

Maria aus Magdala und Maria, die Mutter Jesu, wurden von Kummer und Verzweiflung übermannt. Der großartige Mann, den sie geliebt und geehrt hatten, hing leblos am Kreuz.

An jenem Freitag waren die Apostel am Boden zerstört. Jesus, ihr Erretter – der Mann, der über das Wasser gegangen war und Tote auferweckt hatte –, war nun selbst schlechten Menschen ausgeliefert. Hilflos sahen sie zu, wie er von seinen Feinden überwältigt wurde.

An jenem Freitag wurde der Erretter der Menschheit gedemütigt und geschlagen, misshandelt und verhöhnt.

Jener Freitag war erfüllt von dem erschütternden, verzehrenden Kummer, der an der Seele derer nagte, die den Sohn Gottes liebten und ehrten.

Von allen Tagen seit dem Beginn der Geschichte dieser Welt war dieser Freitag sicher der finsterste.

Aber es blieb nicht beim Verhängnisvollen dieses Tages.

Die Verzweiflung war nur von kurzer Dauer, denn am Sonntag zerriss der auferstandene Herr die Bande des Todes. Er erhob sich aus dem Grab und erschien herrlich und siegreich als der Erretter aller Menschen.

Augenblicklich hörten die Tränen, die zuvor nicht enden wollten, auf zu fließen. Die Lippen, die zuvor verzweifelte, kummervolle Gebete geflüstert hatten, erfüllten nun die Luft mit Lobpreis, denn Jesus, der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, stand vor ihnen als Erstlingsfrucht der Auferstehung, als Beweis, dass der Tod nur der Beginn eines neuen und wunderbaren Daseins ist.

Jeder von uns erlebt Freitage – Tage, an denen das Universum erschüttert scheint und die Welt um uns in Scherben liegt. Wir alle erleben solche Zeiten, in denen wir wie zerschlagen sind und es so aussieht, als könne nichts uns wieder heilen. Wir alle erleben unsere Freitage.

Aber ich bezeuge Ihnen im Namen des Einen, der den Tod besiegt hat: Der Sonntag kommt gewiss! So finster unser Kummer auch ist – der Sonntag kommt gewiss.

Wie verzweifelt wir auch sein mögen, wie sehr wir uns auch grämen – der Sonntag kommt gewiss. Sei es in diesem Leben oder im nächsten – der Sonntag kommt gewiss.

Ich bezeuge Ihnen, dass die Auferstehung kein Märchen ist. Wir haben das persönliche Zeugnis derer, die den Herrn gesehen haben. Tausende in der Alten und der Neuen Welt erlebten den auferstandenen Erretter. Sie fühlten die Wunden in seinen Händen, seinen Füßen und seiner Seite. Sie vergossen Tränen unendlicher Freude, als sie ihn umarmten.

Nach der Auferstehung waren die Jünger neu belebt. Sie reisten in die Welt, um die herrliche Botschaft des Evangeliums zu verkünden.

Hätten sie gewollt, sie hätten von der Bildfläche verschwinden und in ihr früheres Leben und zu ihren früheren Tätigkeiten zurückkehren können. Mit der Zeit hätte man vergessen, dass sie mit ihm zusammen waren.

Sie hätten die Göttlichkeit Christi leugnen können. Doch das taten sie nicht. Ungeachtet von Gefahren, Spott und Morddrohungen gingen sie in die Paläste, Tempel und Synagogen und verkündeten kühn: Jesus ist der Christus, der auferstandene Sohn des lebendigen Gottes.

Viele von ihnen gaben als letztes Zeugnis ihr wertvolles Leben hin. Sie erlitten den Märtyrertod, das Zeugnis des auferstandenen Christus auf den Lippen, als sie starben.

Die Auferstehung veränderte das Leben derer, die sie miterlebt hatten. Sollte sie nicht auch unser Leben verändern?

Wir alle werden vom Grab auferstehen. An diesem Tag wird mein Vater meine Mutter in die Arme schließen. An diesem Tag werde ich meine geliebte Elisa wieder in die Arme schließen.

Aufgrund des Lebens und des ewigen Opfers des Erretters der Welt werden wir mit denen vereint werden, die uns teuer waren.

An diesem Tag werden wir wissen, dass der himmlische Vater uns liebt. An diesem Tag werden wir große Freude darüber empfinden, dass der Messias alles überwunden hat, damit wir für immer leben können.

Aufgrund der heiligen Handlungen, die wir im Tempel empfangen, kann unser Abschied aus diesem kurzen Leben auf Erden nicht lange die Beziehungen trennen, die mit einer Schnur aus ewigen Bindungen gefestigt wurden.

Ich bezeuge feierlich, dass der Tod nicht das Ende unserer Existenz ist. „Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen.“7 „Verschlungen ist der Tod vom Sieg“8, weil Christus auferstanden ist.

Wegen unseres geliebten Erlösers können wir selbst an einem unserer finstersten Freitage die Stimme erheben und verkünden: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“9

Als Präsident Hinckley von der schrecklichen Einsamkeit sprach, die diejenigen erleben, die einen geliebten Menschen verlieren, verhieß er auch, dass in der Stille der Nacht eine leise, unhörbare Stimme unserer Seele Frieden zuflüstert: „Alles wohl!“

Ich bin unendlich dankbar für die erhabenen, wahren Lehren des Evangeliums und für die Gabe des Heiligen Geistes, der meiner Seele die tröstenden, friedlichen Worte zugeflüstert hat, wie unser geliebter Prophet es verheißen hat.

In den Tiefen meines Kummers habe ich Freude über das herrliche Evangelium empfunden. Ich freue mich, dass der Prophet Joseph Smith auserwählt wurde, das Evangelium in dieser letzten Evangeliumszeit auf der Erde wiederherzustellen. Ich freue mich, dass wir einen Propheten haben, Präsident Gordon B. Hinckley, der die Kirche des Herrn in unserer Zeit leitet.

Mögen wir die unschätzbaren Gaben verstehen, die wir als Söhne und Töchter des liebenden himmlischen Vaters erhalten, auch die Verheißung jenes hellen Tages, an dem wir alle herrlich auferstehen, und unsere Dankbarkeit dafür zeigen.

Mögen wir uns stets bewusst sein, dass auch auf den finstersten Freitag immer der Sonntag folgt. Darum bete ich im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Siehe Alma 11:43

  2. Lehren der Präsidenten der Kirche: Joseph F. Smith, Seite 91f.

  3. The Teachings of Spencer W. Kimball, Hg. Edward L. Kimball, 1982, Seite 45

  4. Alma 11:45

  5. 1 Korinther 15:14

  6. Siehe Johannes 5:28,29

  7. 1 Korinther 15:19

  8. 1 Korinther 15:54

  9. 1 Korinther 15:55