2000–2009
Dienen – eine heilige Berufung
April 2005


Dienen – eine heilige Berufung

Wenn wir unsere Pflicht erfüllen, werden wir mit Glück und Frieden belohnt.

Auch ich möchte alle begrüßen, die bei dieser Konferenz neue Aufgaben übertragen bekommen haben, und wünsche all denen, die ehrenhaft aus ihren Ämtern entlassen wurden, von Herzen Glück. Das Werk geht voran. Wir sind Ihnen allen sehr verbunden.

Liebe Brüder, ich fühle mich geehrt, dass ich heute Abend zu Ihnen sprechen darf. Es ist eine Freude zu sehen, dass hier in diesem herrlichen Konferenzzentrum alle Plätze belegt sind, von Jung und Alt – und alle tragen das Priestertum Gottes. Das Bewusstsein, dass in aller Welt ähnliche Gruppen versammelt sind, überwältigt mich und macht mir meine große Verantwortung bewusst. Ich bete, dass der Geist des Herrn meine Gedanken führt und meine Worte inspiriert.

Präsident Joseph F. Smith hat folgende Feststellung über das Priestertum getroffen. Er sagte: „Das heilige Priestertum ist die den Menschen von Gott übertragene Vollmacht, mit der sie den Willen Gottes kundtun können. … Es ist heilig und muss von den Mitgliedern heilig gehalten werden. Es sollte von ihnen geehrt und geachtet werden, wer auch immer diese Vollmacht innehat.“1

Der Eid und Bund des Priestertums gilt für uns alle. Jedem, der das Melchisedekische Priestertum trägt, wird damit gesagt, dass es ihm obliegt, Gottes Gesetze treu zu befolgen und die Berufungen groß zu machen, die ihm übertragen werden. Jedem Träger des Aaronischen Priestertums wird gesagt, welche Pflichten und Aufgaben auf ihn warten, damit er sich hier und jetzt darauf vorbereiten kann.

Präsident Marion G. Romney, der früher einmal der Ersten Präsidentschaft angehörte, hat gesagt: „Jeder Träger des Melchisedekischen Priestertums muss eifrig und ernsthaft das, was mit dem empfangenen Eid und Bund zusammenhängt, einhalten. Wer versäumt, die damit einhergehenden Verpflichtungen zu beachten, kann sicher sein, dass ihm dies Enttäuschung, Kummer und Leid bringt.“2

Präsident Spencer W. Kimball sagte außerdem: „Den Priestertumsbund bricht man, indem man Gebote übertritt – aber auch, indem man seinen Pflichten nicht nachkommt. Man kann diesen Bund also auch brechen, indem man gar nichts tut.“3

Ein bekannter Geistlicher bemerkte: „Für Geld verrichten Menschen schwere Arbeit. Noch schwerer arbeiten sie für andere Menschen. Aber am meisten strengen sie sich an, wenn sie sich einer Sache geweiht haben. … Nie wird die Pflicht anständiger erfüllt, als wenn jemand gern noch viel mehr tun würde, wenn er nur könnte.“4

Wenn wir unsere Pflicht erfüllen, werden wir mit Glück und Frieden belohnt. Ein Dichter schrieb:

Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude.

Ich erwachte und sah, das Leben ist Pflicht.

Ich tat etwas – und siehe,

die Pflicht ward zur Freude.5

Der Ruf der Pflicht kann still und leise kommen, wenn wir Priestertumsträger uns daran begeben, unseren Auftrag auszuführen. Präsident George Albert Smith, dieser bescheidene und doch so tüchtige Führer, hat gesagt: „Ihre Pflicht besteht vor allem darin zu erfahren, was der Herr will, und dann Ihre Berufung vor Ihren Mitmenschen mit der Macht und Kraft Ihres heiligen Priestertums so groß zu machen, dass die Leute Ihnen gern folgen.“6

Was heißt es, eine Berufung groß zu machen? Das heißt, dass man sie in würdiger und bedeutsamer Weise aufbaut, sie in den Augen aller Menschen ehrenhaft und lobenswert macht, dass man sie ausweitet und stark macht und das Licht des Himmels hindurchscheinen lässt, bis die Menschen es sehen.

Und wie macht man eine Berufung groß? Dadurch, dass man die Pflichten erfüllt, die zu der Berufung gehören. Der Älteste macht die Berufung als Ältester dadurch groß, dass er lernt, was einem Ältesten obliegt, und es dann tut. Und so, wie das für den Ältesten gilt, gilt es auch für den Diakon, den Lehrer, den Priester und den Bischof – für jeden, der ein Amt im Priestertum innehat.

Der Dichter und Autor Robert Louis Stevenson gibt uns Folgendes zu bedenken: „Ich weiß, was Freude ist, denn ich habe gute Arbeit geleistet.“

Brüder, denken wir an die Worte König Benjamins: „Wenn ihr im Dienste eurer Mitmenschen seid, [seid] ihr nur im Dienste eures Gottes.“7

Wir wollen auf diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, zugehen und sie retten, und sie auf eine höhere Straße und einen besseren Weg führen. Wir wollen unsere Gedanken auf das konzentrieren, was Priestertumsträger, Frauen und Kinder, die nicht mehr aktiv sind, brauchen. Mögen wir auf das hören, was sie zwar nicht aussprechen, aber ihr Herz uns sagt (es wird Ihnen bekannt vorkommen): „Führet, leitet und begleitet, dass den Weg ich find; lehrt mich, alles das zu tun, was mich zu ihm einst bringt.“8

Die Reaktivierung ist keine Aufgabe für Müßiggänger oder Tagträumer. Kinder wachsen heran, Eltern werden alt, und die Zeit wartet auf niemanden. Ignorieren Sie eine Eingebung nicht, sondern handeln Sie entsprechend, und der Herr wird den Weg bereiten.

Oft ist die himmlische Tugend Geduld gefordert. Als Bischof hatte ich eines Tages das Gefühl, ich solle einen Mann anrufen, dessen Frau und auch dessen Kinder einigermaßen aktiv waren. Dieser Mann hat jedoch nie darauf reagiert. Eines heißen Sommertags klopfte ich an die mit Fliegengitter versehene Eingangstür von Harold G. Gallacher. Ich konnte ihn drinnen sitzen und die Zeitung lesen sehen. „Wer ist da?“, fragte er, ohne aufzublicken.

„Ihr Bischof“, antwortete ich. „Ich bin gekommen, um Sie kennen zu lernen und Sie zu bitten, mit ihrer Familie unsere Versammlungen zu besuchen.“

„Dazu habe ich keine Zeit“, lautete seine verächtliche Antwort. Er sah nicht einmal auf. Ich dankte ihm fürs Zuhören und verließ die Türschwelle.

Kurz danach zog die Familie Gallacher nach Kalifornien. Viele Jahre vergingen. Mittlerweile war ich Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel und saß eines Tages in meinem Büro, als meine Sekretärin mir mitteilte: „Bruder Gallacher, der früher in Ihrer Gemeinde gewohnt hat, ist hier und möchte mit Ihnen sprechen.“

Ich antwortete: „Fragen Sie ihn, ob er Harold G. Gallacher heißt und mit seiner Familie am Vissing Place gewohnt hat, an der Ecke West Temple und Fünfte Süd.“

Sie antwortete: „Es ist der Mann.“

Ich bat sie, ihn hereinzuschicken. Wir führten ein angenehmes Gespräch über seine Familie. Er sagte zu mir: „Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen, dass ich damals an dem einen Sommertag vor vielen Jahren nicht aus meinem Sessel aufgestanden bin und Sie hereingelassen habe.“ Ich fragte ihn, ob er aktiv in der Kirche sei. Lächelnd antwortete er: „Ich bin jetzt Ratgeber in der Bischofschaft meiner Gemeinde. Ihre Einladung, mit in die Kirche zu kommen, und meine Ablehnung haben mich so lange verfolgt, bis ich beschloss, etwas in der Sache zu unternehmen.“

Harold und ich haben uns noch einige Male getroffen, ehe er starb. Die Gallachers und ihre Kinder haben viele Berufungen in der Kirche erfüllt.

Präsident Stephen L. Richards, der ein Ratgeber von Präsident David O. McKay gewesen war, hat erklärt: „Priestertum wird gewöhnlich ganz einfach definiert, nämlich als, die dem Menschen verliehene Vollmacht Gottes‘.“ Er fährt fort: „Diese Definition ist meiner Meinung nach richtig. Aber aus praktischen Überlegungen heraus definiere ich das Priestertum lieber im Sinne von Dienst und bezeichne es daher oft als, den vollkommenen Plan für das Dienen‘. Es handelt sich ja um ein Werkzeug des Dienens, und wer es nicht gebraucht, wird es wohl verlieren; denn durch Offenbarung ist uns deutlich gemacht, dass derjenige, der es vernachlässigt,, nicht würdig erachtet werden wird zu stehen‘.“9

Im vergangenen Januar durfte ich erleben, wie einer Frau, die in meiner Gemeinde lebte, als ich vor vielen Jahren Bischof war, ein immenser Dienst erwiesen wurde. Ihr Name ist Adele, und sie und ihre zwei erwachsenen Töchter – von denen eine behindert ist – leben seit vielen Jahren im Salzseetal, in der Gegend um Rose Park. Adele, eine Witwe, hatte finanziell zu kämpfen, und ihr Leben war oft nicht leicht.

Ich erhielt einen Anruf von jemandem, der beim Gingerbread House Project, einer Wohlfahrtseinrichtung, tätig ist, und mich zur Einweihung von Adeles Haus einlud. Dessen Renovierung war innerhalb von nur drei Tagen und Nächten durch viele gute und großzügige Menschen zustande gebracht worden, die alle ehrenamtlich arbeiteten, und das Material war von zahlreichen örtlichen Firmen gespendet worden. In der Zeit, in der ihr Haus erneuert wurde, waren Adele und ihre beiden Töchter in einer anderen Stadt, einige Meilen entfernt, als Gäste untergebracht und wurden liebevoll verwöhnt.

Ich war dabei, als die Limousine, in der Adele und ihre Töchter saßen, am Haus ankam. Die Gruppe, die auf sie wartete, bestand nicht nur aus Angehörigen und Freunden, sondern auch aus vielen Handwerkern, die Tag und Nacht an dem Projekt gearbeitet hatten. Es war offensichtlich, dass sie mit dem Ergebnis zufrieden waren und gespannt auf die Reaktion von Adele und ihren Töchtern warteten.

Die Frauen stiegen mit verbundenen Augen aus dem Auto. Es war ein aufregender Moment, als die Augenbinden entfernt wurden und Adele und ihre Töchter sich umwandten und ihr neues Zuhause sahen. Sie waren völlig überwältigt, als sie das herrliche Ergebnis des Projektes sahen, darunter auch die neu gestaltete Hausfront, ein Anbau und ein neues Dach. Von außen sah alles neu und unberührt aus. Sie konnten die Tränen nicht zurückhalten.

Ich begleitete Adele und andere, als wir das Haus betraten, und war erstaunt über das, was geleistet worden war, um das Haus zu verschönern und aufzuwerten. Die Wände waren gestrichen, neue Bodenbeläge verlegt worden. Es gab neue Möbel, neue Vorhänge und Gardinen. Die Schränke in der Küche waren ausgewechselt worden, es gab neue Arbeitsflächen und Geräte. Das ganze Haus war von oben bis unten bearbeitet worden, jeder Raum war makellos und schön. Adele und ihre Töchter waren buchstäblich überwältigt. Doch auch im Gesicht derer, die so fieberhaft gearbeitet hatten, um das Haus zu erneuern, spiegelten sich Rührung und Ergriffenheit. Tränen traten ihnen in die Augen, als sie sahen, wie viel Freude sie Adele und ihren Töchtern bereitet hatten. Nicht nur war einer Witwe ihre Last leichter gemacht worden, sondern auch zahllose weitere Menschen waren bei dieser Aktion berührt worden. Alle waren durch ihre Teilnahme an diesem Projekt zu besseren Menschen geworden.

Präsident Harold B. Lee, einer der großen Lehrer in der Kirche, fasste seinen Rat hinsichtlich des Priestertums in leicht verständliche Worte: „Wenn jemand das Priestertum bekommt, so wird er ein Beauftragter des Herrn. Er sollte sich seine Berufung so vorstellen, als ob er im Auftrag des Herrn handelte.“10

Einige von Ihnen sind nun vielleicht von Natur aus schüchtern, halten sich möglicherweise für ungeeignet, eine Berufung anzunehmen. Aber denken Sie daran: Dieses Werk gehört nicht Ihnen oder mir allein. Es ist das Werk des Herrn, und wenn wir im Auftrag des Herrn arbeiten, Brüder, haben wir auch Anspruch auf seine Hilfe. Denken Sie daran, dass der Herr die Schultern so formt, dass sie die Last tragen können, die ihnen auferlegt wird.

Eine Klasse zu unterrichten kann mitunter Furcht einflößen, aber die wirksamste Unterweisung findet manchmal anderswo als in der Kapelle oder in der Klasse statt. Ich weiß noch sehr gut, wie vor einigen Jahren im Frühling die Mitglieder meiner Gemeinde und einer Nachbargemeinde sämtliche Träger des Aaronischen Priestertums, die sich schon sehr darauf freuten, auf den jährlichen Ausflug zur Feier der Wiederherstellung dieses Priestertums mitnahmen. Bei dieser Gelegenheit fuhren wir mit Bussen 150 Kilometer nach Norden, zum Friedhof von Clarkston in Utah. In dieser schönen, stillen Umgebung versammelten wir uns um das Grab von Martin Harris, einem der drei Zeugen des Buches Mormon. Während wir rings um den schönen Grabstein aus Granit standen, sprach Elder Glen L. Rudd, der damals Bischof der anderen Gemeinde war, über das Leben von Martin Harris und las dessen Zeugnis und das von Oliver Cowdery und David Whitmer aus dem Buch Mormon vor. Die jungen Männer hörten gespannt zu – ihnen wurde klar, dass sie am Grab eines Mannes standen, der einen Engel gesehen hatte und tatsächlich die Platten mit eigenen Augen gesehen hatte. Sie berührten andächtig das Grabmal aus Granit, dachten über das Gehörte nach und gingen in sich.

Dann begaben wir uns ein kleines Stück weiter zu einem Pioniergrab. Auf dem Grabstein stand der Name John P. Malmberg und folgender Vers:

Bei uns zu Hause ist ein Licht erloschen,

eine geliebte Stimme ist verstummt.

In unserem Herzen ist ein Platz jetzt leer,

und leer bleibt er für immer.

Wir sprachen mit den Jungen über Opfer und über absolute Wahrheitsliebe. Pflicht, Ehre, Dienen und Liebe – von all dem zeugte dieser Grabstein. Ich sehe es noch richtig vor mir, wie die Jungen ihr Taschentuch herausholten und eine Träne wegwischten. Ich höre noch immer das Schniefen, das bezeugte, dass ihr Herz berührt worden war und sie eine Verpflichtung eingegangen waren. Ich glaube, dass jeder Jugendliche beschlossen hatte, ein Pionier zu sein – der vorneweg geht und anderen den Weg weist.

Dann ging die ganze Gruppe zu einem nahe gelegenen Park, wo wir ein Picknick machten. Vor unserer Heimfahrt machten wir an dem schönen Tempel in Logan Halt. Es war ein warmer Tag. Ich forderte die Jungen auf, sich auf der großen Rasenfläche auszustrecken und zusammen mit mir den blauen Himmel zu betrachten, über den eine stete Brise weiße, bauschige Wolken trieb. Wir bewunderten die Schönheit dieses Pioniertempels. Wir sprachen über heilige Handlungen und ewige Bündnisse. So manche Lektion wurde gelernt, so manches Herz berührt. Bündnisse und Verheißungen waren auf einmal viel mehr als bloße Worte. Der Wunsch, würdig zu sein, den Tempel zu betreten, verfestigte sich im Herzen der Jugendlichen. Die Gedanken wandten sich dem Meister zu, er war uns nahe. Seine sanfte Aufforderung „Folgt mir“, war irgendwie zu hören und zu spüren.

Allen, die bereitwillig die heilige Berufung zum Dienen annehmen, sagt der Herr: „Ich, der Herr, bin barmherzig und gnädig zu denen, die mich fürchten, und es freut mich, die zu ehren, die mir in Rechtschaffenheit und in Wahrheit bis ans Ende dienen.

Groß wird ihr Lohn sein, und ewig wird ihre Herrlichkeit sein.“11

Es ist mein aufrichtiges Gebet, dass wir uns alle dieser göttlichen Verheißung würdig erweisen. Im Namen Jesu Christi, unseres Erretters. Amen.

  1. Gospel Doctrine, 5. Auflage, 1939, Seite 140

  2. Bericht von der Gebietskonferenz Mexiko-Stadt, 1972

  3. The Teachings of Spencer W. Kimball, Hg. Edward L. Kimball, 1982, Seite 497

  4. Harry Emerson Fosdick, in Vital Quotations, Hg. Emerson Roy West, 1968, Seite 38

  5. Rabindranath Tagore (1861–1941)

  6. Generalkonferenz, April 1942

  7. Mosia 2:17

  8. Naomi W. Randall, „Ich bin ein Kind von Gott“, Gesangbuch, Nr. 202

  9. Generalkonferenz, April 1937

  10. Im Bericht von der Gebietskonferenz Mexiko-Stadt, 1972

  11. LuB 76:5,6