1990–1999
Hoffnung durch das Sühnopfer Jesu Christi
Oktober 1998


Hoffnung durch das Sühnopfer Jesu Christi

Wirkliche Hoffnung ist viel mehr als bloßes Wunschdenken. Sie stärkt das geistige Rückgrat, statt es zu schwächen.

Brüder und Schwestern, ich bin sehr dankbar, heute bei Ihnen zu sein. Mein Schädel glänzt immer noch etwas, aber nicht weil meine Freunde, die Friseure, ihre Berufung groß gemacht haben. Ich habe weitere Behandlungen hinter mir, die ermutigend sind ­ trotz der wechselnden Konferenzfrisuren.

Ich bin nach wie vor dankbar ­ in erster Linie dem Herrn, dann meiner außergewöhnlichen Frau und meinen Kindern, den fähigen und fürsorglichen Ärzten und dem Pflegepersonal und den vielen Freunden und Mitgliedern, die für mich beten.

Aus vielen Gründen, Brüder und Schwestern, strengt sich die heutige Gesellschaft sehr an, hoffnungsfroh zu sein. Ursache und Wirkung vermischen sich dabei unmerklich.

So wie wir in der Alltagssprache das Wort Hoffnung verwenden, bringt es auch zum Ausdruck, daß wir zu einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Ziel zu erreichen „hoffen“. Wir „hoffen“, daß sich die Weltwirtschaftslage bessert. Wir hoffen, daß uns ein geliebter Mensch besucht. Das ist typisch für unsere aufrichtige, aber nur annähernde Hoffnung.

Unsere Enttäuschungen sind oft die Scherben unserer zunichte gemachten annähernden Hoffnungen. Allerdings spreche ich davon, daß wir unbedingt höchste Hoffnung brauchen.

Diese höchste Hoffnung ist etwas anderes, denn sie bezieht sich auf Jesus und die Segnungen seines großen Sühnopfers. Diese resultieren in der allgemeinen Auferstehung und in der kostbaren Möglichkeit, durch Umkehr frei zu werden, wodurch, wie die heiligen Schriften es ausdrücken, der „Glanz der Hoffnung“ ermöglicht wird (siehe2 Nephi 31:20).

Moroni hat bestätigt: „Was ist es, was ihr erhofft? Siehe, ich sage euch, durch die Sühne Christi und die Macht seiner Auferstehung werdet ihr Hoffnung haben.“ (Moroni 7:40,41; siehe auch Alma 27:28.) Wirkliche Hoffnung bezieht sich also nicht auf das Vergängliche, sondern vielmehr auf das Unsterbliche und Ewige!

Es ist also keine Überraschung, daß Hoffen mit anderen Evangeliumslehren, besonders mit Glauben und Geduld verflochten ist.

So wie Zweifel, Hoffnungslosigkeit und Gefühllosigkeit Hand in Hand gehen, gilt das auch für Glauben, Hoffnung, Nächstenliebe und Geduld. Diese letzten Eigenschaften müssen sorgfältig und beständig genährt werden, während Zweifel und Mutlosigkeit gleich dem Löwenzahn wenig Zuspruch brauchen, um zu wachsen und zu gedeihen. Ja, die Mutlosigkeit befällt den natürlichen Menschen leicht!

Die Geduld erlaubt es uns, die Schlaglöcher der Lebenserfahrungen besser abzufedern.

Zwischen Glauben und Hoffnung gibt es eine ständige Wechselwirkung, und die beiden lassen sich nicht immer leicht und genau unterscheiden. Dennoch sind die Erwartungen, die sich aus der höchsten Hoffnung ergeben, „mit Gewißheit“ wahr (siehe Ether 12:4; Römer 8:24; Hebräer 11:1; Alma 32:21). Doch entspricht in der Geometrie der wiederhergestellten Theologie die Hoffnung dem Glauben, nur hat sie manchmal einen größeren Umfang. Seinerseitsbegründet der Glaube das „Feststehen in dem, was man erhofft“, und den Beweis von „Dingen, die man nicht sieht“ (siehe Hebräer 11:1; Ether 12:6). Somit geht die Hoffnung über die gegenwärtigen Grenzen des Glaubens hinaus, sie geht aber immer von Jesus aus.

Kein Wunder also, daß die Seele vom Signal der wirklichen Hoffnung bewegt und aufgemuntert werden kann wie sonst von keiner Musik. Auch wenn einige Gefährten schlummern oder desertieren, so steht doch „lebendige Hoffnung“ vor uns (siehe 1 Petrus 1:3). Die Hoffnung veranlaßte niedergeschlagene Jünger dazu, voller Erwartung zum leeren Felsengrab zu eilen (siehe Markus 16:1-8; Lukas 24:8-12). Die Hoffnung half einem Propheten, den rettenden Regen in einer weit entfernten Wolke zu sehen, die nicht größer schien alsdie Hand eines Menschen (siehe1 Könige 18:41-46).

Diese höchste Hoffnung begründet den „Anker der Seele“ und wird durch die Gabe des Heiligen Geistes und den Glauben an Christus erlangt (siehe Hebräer 6:19; Alma 25:16; Ether 12:9). Im Gegensatz dazu kann ein Blick auf das Leben ohne die Aussicht auf Unsterblichkeit nicht nur die Hoffnung schwinden lassen, sondern auch das Verantwortungsbewußtsein (siehe1 Korinther 5:19; Alma 30:18). Darum brauchen wir die höchste Hoffnung so sehr.

Zugegebenermaßen kennt das Erdenleben viele Menschen, die anständig ihr Leben leben, ohne sich von starken religiösen Gefühlen berühren zu lassen oder sie auszudrücken, die aber dennoch, ohne es zu wissen, vom „Licht Christi“ zehren, das in einem bestimmten Maß jeden Menschen erleuchtet (siehe LuB 84:46; Moroni 7:16; Johannes 1:9). Anderen sind lobenswerterweise angeborene deutliche Ahnungen zu eigen, die ihnen Halt geben.

Da die annähernden Hoffnungen allerdings auf Ironie und Unerwartetes so empfindlich reagieren, nimmt die Lebensangst auf der Welt zu. Ein unleidlicher Zynismus durchdringt die Politik. Viele fühlen die Last der übrigen wachsenden Ängste der Gesellschaft.

Auch diejenigen, die selbst geistig sicher sind, können dennoch einen eisigen Windhauch in der Luft spüren. Zum Teil verursacht der kalte Säkularismus dieses Frösteln, da viele dem nachgeben, was Senator Patrick Moynihan das „Herunterdiskutieren der sittlichen Kriterien“ nennt(siehe Daniel Patrick Moynihan, Defining Deviancy Down, The American Scholar, Winter 1993, 17). Hoffnungslosigkeit ist wirklich häufig auf Übeltun zurückzuführen­ aber auf Übeltun, wie Gott es definiert (siehe Moroni 10:22).

Es gibt soviel Unruhe und Streit. Kein Wunder also, daß der sich daraus ergebende Verlust von Hoffnung fast unweigerlich zu größerer Selbstsucht führt, da viele resigniert dem eigenen Vergnügen nachgehen.

Wenn die Hoffnung vergeht, so stellt Paulus es fest, neigen manche dazu, zu essen und zu trinken und sich mit den Worten zu rechtfertigen: „Denn morgen sind wir tot.“ (1 Korinther 15:32.) Sie meinen fälschlich, „wenn der Mensch erst tot sei, dann sei es mit ihm aus“ (Alma 30:18).

So sehr ich auch über die sich zusammenbrauenden Stürme klage, so sind sie auch zu manchem gut. Die Ereignisse werden erneute Aufmerksamkeit auf die höheren Wege Gottes und seines Reiches lenken, das so „makellos … wie die Sonne und klar wie der Mond“ werden soll (LuB 105:31).

Die Menschen und die Nationen werden sich weiterhin für das entscheiden, was sie wollen, aber sie können letztlich die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht ändern.

Seien wir darum in diesem beschleunigten Reifeprozeß nicht überrascht, daß das Unkraut immer mehr nach Unkraut aussieht. In dieser Zeit, wo die Völker bestürzt und ratlos sind, wird es tatsächlich auch zu erlösender Unruhe kommen. „Denn das Reich des Teufels muß erbeben, und die dazugehören, müssen notwendigerweise zur Umkehr aufgestachelt werden.“ (2 Nephi 28:19.)

Dieses Aufgestacheltsein wird Wirklichkeit werden, auch wenn wir nur spekulieren können, wie das erreicht wird.

Inzwischen akzeptieren diejenigen, die höchste Hoffnung haben, daß dieser kurze Vers wahr ist: „Aber alles muß zu seiner Zeit geschehen.“ (LuB 64:32.)

Es ist darum gut, über den Stand der Hoffnung in seinem gegenwärtigen irdischen Kontext nachzudenken, wo die Gebote Gottes vielen unwichtig erscheinen. „Nun ist es nicht üblich, daß die Stimme des Volkes etwas begehrt, was nicht dem entspricht, was recht ist.“ (Mosia 29:26.) Aber wenn dies geschieht und massiven Wandel in der Einstellung der Gesellschaft nach sich zieht, dann kommt Gottes Strafgericht (siehe Mosia 29:26,27). Nur wenn die Offenbarungen Gottes angenommen werden, kann dies den nötigen Kurswechsel mit sich bringen und damit den „Glanz der Hoffnung“ (siehe 2 Nephi 31:20).

Wirkliche Hoffnung bewegt uns dazu, daß wir uns „voll Eifer“ einer guten Sache widmen, auch wenn sie nach irdischen Maßstäben als Verlierer gilt (siehe LuB 58:27). Und so ist wirkliche Hoffnung viel mehr als bloßes Wunschdenken. Sie stärkt das geistige Rückgrat, statt es zu schwächen. Hoffnung ist gelassen, nicht ausgelassen, eifrig, ohne naiv zu sein, und angenehm beständig, ohne selbstgefällig zu sein. Hoffnung ist realistische Erwartung, die die Form der Entschlossenheit annimmt ­ nicht nur, um die widrigen Umstände zu überdauern, sondern vielmehr um sie bis zum Ende „gut zu bestehen“ (LuB 121:8).

Wenngleich die Hoffnung sonst eine „lebendige“ Eigenschaft ist, steht sie bei Begräbnissen still an unserer Seite. Unsere Tränen sind genauso naß, aber nicht aufgrund von Hoffnungslosigkeit. Es sind vielmehr Tränen der verstärkten Wertschätzung, die durch die herzzerreißende Trennung bewirkt sind. Diese Tränen der Trennung wandeln sich aber bald in Tränen herrlicher Erwartung.

Hoffnung bewegt zu stillem christlichem Dienst, nicht zu auffälligem öffentlichem Fanatismus. Finley Peter Dunne hat verschmitzt festgestellt: „Ein Fanatiker ist jemand, der das tut, was der Herr täte, wenn der nur die Fakten kennen würde.“ (Zitiert in The Third ­ And Possibly the Best ­ 637 Best Things Anybody Ever Said, Hg. Robert Byrne, New [1986], Nr. 549.)

Ja, wenn wir unangemessen ungeduldig sind, was den Zeitplan des allwissenden Gottes betrifft, sagen wir damit eigentlich, wir wüßten, was am besten ist. Eigenartig … wir, die wir Armbanduhren tragen, trachten danach, dem zu raten, der die kosmischen Uhren und Kalender steuert.

Da Gott möchte, daß wir nach Hause zurückkehren, nachdem wir ihm und seinem Sohn ähnlicher geworden sind, gehört es zu diesem Entwicklungsprozeß, daß uns unsere Schwächen vor Augen geführt werden. Wenn wir also höchste Hoffnung haben, werden wir fügsam, denn mit dieser Hilfe können unsere Schwächen sogar zu Stärken werden (siehe Ether 12:27).

Es ist allerdings nicht leicht, sich diese Schwächen, die sich ja regelmäßig in den Umständen des Lebens präsentieren, vor Augen führen zu lassen. Dennoch gehört es dazu, wenn man zu Christus kommen will, und es ist ein wichtiger, wenn auch schmerzhafter Teil in Gottes Plan des Glücklichseins. Außerdem gilt, was Elder Henry B. Eyring weise festgestellt hat: „Wenn einem das Lob lieber ist als die Unterweisung, bekommt man vielleicht weder das eine noch das andere.“ („To Choose and Keep a Mentor“, Addresses Delivered at the 1993 Annual University Conference, Brigham Young University [1993], 42.)

Indem wir voll Hoffnung vorwärtsstreben, können wir wiederholt und voller Freude dort stehen, wo sich der gestrige ferne Horizont befand, und dadurch aus unseren Erfahrungen wieder Hoffnung schöpfen. Darum sagt Paulus: „Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung.“ (Römer 5:4.) Darum singen wir zu Recht von Gott: „Wir zweifeln nicht an deiner Güte.“ (Gesangbuch, Nr. 11.)

Zugegeben, auch wer wahre Hoffnung hat, sieht seine Lebensumstände manchmal dennoch durcheinandergeschüttelt wie ein Kaleidoskop. Dennoch kann er ­ „mit gläubigem Auge“ ­ in seinen geänderten, unmittelbaren Umständen ein göttliches Muster und eine göttliche Absicht erkennen (siehe Alma 5:15).

Wer wirklich voller Hoffnung ist, bemüht sich inmitten des Verfalls um eine starke und glückliche Familie. Wie Josua sagt er standhaft: „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen.“ (Josua 24:15.)

Wir mögen nicht die ganze Welt in Ordnung bringen können, aber wir können uns bemühen, das in Ordnung zu bringen, was in unserer Familie verkehrt ist. Tolkien sagt uns: „Es ist nicht unsere Aufgabe, alle Stürme der Welt zu meistern, sondern das zu tun, was wir können, um in der Zeit, in der wir leben, zu helfen und das Böse, das wir kennen, auf den Feldern auszumerzen. Dann können diejenigen, die nach uns kommen, eine saubere Erde bebauen. Welches Wetter sie haben, können wir nicht bestimmen.“ (The Return of the King, [1965], 190.)

Auf unseren kleinen Beeten können wir kommenden Generationen eine saubere Erde zum Bebauen hinterlassen. So beginnt also nicht nur die Nächstenliebe zu Hause, sondern auch die Hoffnung!

Welche Furche wir auch immer pflügen mögen, wir können mit den Worten des Paulus unsere Arbeit in der Erwartung eines Lohnes tun, ohne zurückzublicken und zuzulassen, daß die Vergangenheit die Zukunft als Geisel nimmt (siehe1 Korinther 9:10).

Die wahre, höchste Hoffnung hilft uns, mehr Liebe zu haben, auch wenn die Liebe bei vielen erkaltet (siehe Matthäus 24:12). Wir müssen heiliger werden, auch wenn die Welt im Übeltun

reif wird; höflicher und geduldiger in der immer rauheren und schrofferen Welt und tapfer, auch wenn den anderen das Herz aussetzt (siehe Moroni 10:22).

Hoffnung kann ansteckend sein, besonders, wenn wir bereit sein wollen, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die [uns] erfüllt“ (1 Petrus 3:15). Wie Brigham Young sagte, werden wir „in unseren Ansichten und Gefühlen engstirnig“, wenn wir unsere Mitmenschen nicht an unserem Wissen teilhaben lassen und ihnen nicht Gutes tun (siehe Deseret News Weekly, 9. Mai 1855, 68).

Wenn wir nach bestimmten Dingen, die wir tun können, Ausschau halten, führt uns der Heilige Geist und zeigt uns alles, was wir tun sollen, denn das ist eine seiner inspirierenden Aufgaben (siehe 2 Nephi 32:5). Die Gelegenheit, anderen, die die Hoffnung verloren haben, zu helfen, mag sich schon in unserer Verwandtschaft bieten, bei einem mutlosen Nachbarn nebenan oder bei jemandem, der um die Ecke wohnt. Indem wir einem Kind beim Lesenlernen oder einem älteren Patienten in einem Pflegeheim helfen oder indem wir einfach eine Besorgung für vielbeschäftigte, aber überforderte Eltern machen, können wir anderen schon viel geben. Machen Sie sich vorerst keine Gedanken darüber, daß in der Welt derzeit zwischen denen, die weltlich und freizügig sind, und denen, die an geistigen Werten festhalten, eine zunehmende Polarisierung stattfindet.

Da wir mit Hoffnung gesegnet sind, wollen wir, als Jünger, nicht engstirnig sein, sondern auf unsere Mitmenschen zugehen, auch auf diejenigen, die sich, aus welchem Grund auch immer, „von der Hoffnung [haben] abbringen lassen“ (siehe Kolosser 1:23).

Wie mit den Worten von Charles Wesleys Lied „An des Herren Hand“ vergeht unser Leben und enteilt, und keine Stunde verweilt. Wer aber durch die Geduld der Hoffnung und das Werk der Liebe obsiegt, wird die herrlichen Worte hören: „Du warst standhaft mein Sohn, gehe ein zu meiner Freude und lobsing an meinem Thron.’“ (Gesangbuch, Nr. 144.)

Mögen wir eines Tages durchdas Evangelium der Hoffnung auf diesen herrlichen Augenblick Anspruch erheben können. Im Namen Jesu Christi, amen.