1990–1999
„Stemmt die Schulter an das Rad“
April 1998


„Stemmt die Schulter an das Rad“

Tatsächlich, Brüder, ist die Arbeit immer eine geistige Notwendigkeit, auch wenn sie für einige Menschen keine wirtschaftliche Notwendigkeit ist.

Brüder, im Alter des Aaronischen Priestertums war ich Schweinehirt! Bei einem Projekt des landwirtschaftlichen Jugend-Clubs ­ es ging um reinrassige Duroc-Schweine ­ habe ich viel gelernt, was das Arbeiten betrifft. Als Beweis dafür, daß das Folgende nicht nur aufgedunsene Erinnerungen sind, möchte ich Ihnen ganz kurz dieses Tuch mit fast 100 Auszeichnungen zeigen, die meine preisgekrönten Schweine bei verschiedenen Ausstellungen im Laufe der Jahre gewonnen haben.

Oben neben Elder Nelsons Hand ist eine rosa Schleife zu sehen, die ich vor 60 Jahren gewonnen habe. Es war die erste Schleife, die ich je gewonnen habe. Ich glaube, der Preisrichter war sehr gütig, und das Schwein war eigentlich nicht so toll, aber er wußte, daß ich Ansporn brauchte, daher der vierte Preis. Die violetten Schleifen waren für Champions, die ich später ausstellte!

Danke, Elder Nelson.

Brüder, ich habe durch harte Erfahrung gelernt, daß es wichtig ist, die schwankenden Preise für Schweinefleisch bei der örtlichen Fleisch-Packanlage zu verfolgen. Mit Hilfe meines Vaters, der Buchhalter war, führte ich sorgfältig Aufzeichnungen über Gewinne und Verluste. Wie in allem, so übernahmen meine stets hilfsbereiten Eltern sogar einen Teil der anfallenden schweißtreibenden Arbeiten. Auch meine Mutter tat das, die heute vor 95 Jahren geboren wurde. Sie hat mir gezeigt, wie man arbeitet, und sie hat mich genug geliebt, um mich zurechtzuweisen.

Um billiges Schweinefutter zu bekommen, kaufte ich regelmäßig Dutzende von drei Tage alten Broten, das Stück für nur einen Penny. Wenn ich mich zur rechten Zeit bei der örtlichen Molkerei einfand, konnte ich außerdem etwa 70 Gallonen Magermilch gratis bekommen! Jetzt zahle ich 2,50 Dollar pro Gallone ­ das ist schon irgendwie seltsam. Durch solche Einsparungen konnte ich von meinem wenigen Bargeld das nötige Getreide für die Schweine kaufen.

Es kam oft vor, daß eine trächtige Sau nach Mitternacht ferkelte. Das und alles andere machte mich müde, wirklich müde. Aber bei all dem hatte ich auch das Gefühl, etwas zu leisten; beispielsweise trug ich etwas zu den Mahlzeiten der Familie bei. Seinerzeit hatten die meisten jungen Männer in meinem Alter eine ähnliche Arbeit. Wir waren damals alle arm, nur wußten wir es nicht. Arbeit gehörte zu den normalen Gegebenheiten. Heute gehört für einige das Nehmen zu den normalen Gegebenheiten.

Die Aufzucht von Schweinen hatte allerdings auch ihre gesellschaftlichen Schattenseiten. Ich war damals ohnehin schüchtern, und ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie der Leiter meiner Schule in die Klasse kam und vor aller Ohren laut und vernehmlich sagte: „Neal, deine Mutter hat angerufen. Deine Schweine sind los.“ Ich wäre am liebsten unter meinen Tisch gekrochen, aber ich rannte doch los und half mit, die Schweine einzufangen.

Mein Vater war liebevoll aber sehr genau. Er stellte fest, daß ich zwar schwer arbeitete, daß meine Arbeit aber nicht immer sehr sorgfältig ausgeführt war. Vortrefflichkeit war mir fremd. An einem Sommertag wollte ich Vater einen Gefallen tun und eine Anzahl Zaunpfosten setzen, und zwar fest eingegraben und gut befestigt. Den ganzen Tag arbeitete ich schwer, und dann beobachtete ich erwartungsvoll die Straße, auf der Vater nach Hause kam. Als er kam, sah ich gespannt zu, wie er die Zaunpfosten gründlich inspizierte und sie sogar mit einer Wasserwaage prüfte, bis er sie schließlich als völlig annehmbar befand. Dann kam das Lob, das mir so viel bedeutete. Der Schweiß auf meiner Stirn hatte sich das Lob meines Vaters verdient, und das wiederum ließ mir das Herz schmelzen.

Bitte verzeihen Sie mir diesen kurzen Abstecher in meine Vergangenheit. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, wie dankbar ich dafür bin, daß ich schon in jungen Jahren arbeiten gelernt habe. Ich habe bestimmt nicht immer „mit Gesang“ die Schulter an das Rad gestemmt; was ich aber über Schultern und Räder lernte, hat mir im späteren Leben geholfen, als nämlich die Räder größer wurden. Einige der ansonsten guten jungen Männer meinen irrtümlicherweise, daß „die Schulter ans Rad stemmen“ das gleiche sei, wie die Hände ans Lenkrad legen!

Unser himmlischer Vater hat seinen großen Plan für seine Kinder mit den Worten umschrieben: „Siehe, es ist mein Werk und meine Herrlichkeit, die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen.“ (Mose 1:39.) Bedenken Sie bitte, wie bezeichnend es ist, daß der Herr das Wort „Werk“ verwendet. Was er so voller Liebe zur Erlösung tut, ist trotz allem Arbeit ­ selbst für ihn! Wir sprechen gleichermaßen davon, „uns um unsere Errettung zu bemühen“, vom „Evangelium der Arbeit“, vom „Gesetz der Ernte“ und vom „Schweiß des Angesichts“. (Siehe Mose 5:1.) Das sind keine leeren Phrasen. Sie unterstreichen den Wert der Arbeit. Tatsächlich, Brüder, ist die Arbeit immer eine geistige Notwendigkeit, auch wenn sie für einige Menschen keine wirtschaftliche Notwendigkeit ist.

Und so spreche ich zu euch guten jungen Männern, darunter auch zu meinen sieben großartigen Enkeln, die heute abend zuhören, unter ihnen zwei Missionare und drei kürzlich ordinierte Diakone. Ich erinnere euch daran, daß das Evangelium der Arbeit Bestandteil der „Fülle des Evangeliums“ ist. Missionsarbeit macht zwar Freude, aber es ist Arbeit. Tempelarbeit macht zwar Freude, aber es ist Arbeit. Leider arbeiten einige unserer unterforderten Jugendlichen zwar, aber hauptsächlich zu ihrem Vergnügen.

Leider sind einige unserer ansonsten guten Jugendlichen unterfordert und scheinen geradezu eine Freikarte zu haben. Vergünstigungen werden ihnen gewährt, beispielsweise ein Auto komplett mit Benzin und Versicherung ­ alles von den Eltern bezahlt, und gerade einige dieser Eltern warten vergebens auf ein paar höfliche Worte der Wertschätzung.

Ihr jungen Männer, im Einzelfall unterscheidet sich eure Arbeit vermutlich in bezug auf die Stunden, die ihr mit Hausaufgaben, Arbeiten in der Familie, Kirchenarbeit, Teilzeitarbeit und Arbeit an Dienstprojekten verbringt; aber jede Art von Arbeit kann eure Zeit und eure Talente fordern. Achtet aber auch auf die Warnsignale. Wenn ihr beispielsweise einen Teilzeitjob habt, gebt ihr dann alles Geld für euch selbst aus? Zahlt ihr den Zehnten? Legt ihr etwas für eure Mission zurück? Präsident Spencer W. Kimball hat uns den folgenden treffenden Rat gegeben: „[Wird es einem jungen Mann] gestattet, sein ganzes Einkommen für sich selbst auszugeben, dann wird ihm dieser Egoismus vielleicht bis ans Grab anhaften.“ (Teachings of Spencer W. Kimball [1982], 560.)

Hausaufgaben für die Schule sind sicher notwendig, aber verdrängt diese Arbeit des Gehirns die Arbeit des Geistes? Euer Notendurchschnitt ist sehr wichtig, aber welche Note bekämt ihr wohl für christlichen Dienst?

Die Kirchenarbeit entwickelt lebensnotwendige Reflexe, und diese Art von Arbeit wird nie aufhören; aber geht ihr nur die Routinen durch, ohne wirklich darüber nachzudenken oder euch Mühe zu geben?

Auch die Arbeit in der Familie ist lebenswichtig, aber gehört da nicht noch mehr dazu als das eigene Zimmer sauber zu halten und eure Kleidung wegzuräumen?

Wie eure Arbeit auch aussieht, die schwerste Arbeit, die wir alle verrichten müssen, besteht darin, unseren Egoismus abzulegen. Das ist wirklich Schwerstarbeit!

Man muß sich die Arbeit gut einteilen, da manche Arten von Arbeit so raumgreifend sein können, daß sie andere Arten untergehen lassen. Das betrifft zum Beispiel die Väter, die allzu oft abends spät noch im Büro sitzen. Zu unserer Lieblingsarbeit brauchen wir kaum Ansporn, so wie in Elder Spencer Condies Umschreibung einer Anweisung, die Strauß einmal anderen Dirigenten gegeben hat: „Gönne den Bläsern nicht einmal ein aufmunterndes Kopfnicken, sonst bekommst du die Streicher nie wieder zu hören!“

Gebt acht, Väter, wenn ihr euch zu sehr wünscht, daß eure Kinder es besser haben als ihr früher. Macht es ihnen nicht, auch unabsichtlich, schwerer, indem ihr ihnen vernünftige Arbeit vorenthaltet, womit ihr eure Kinder von dem isoliert, was euch geholfen hat, so zu werden, wie ihr heute seid!

Zugegeben, einige Rahmenbedingungen haben sich geändert! Die meisten Jungen brauchen keine Kühe zu melken oder Schweine zu füttern usw. Es ist ja auch kein Wunder, daß manche der heutigen Arbeiten künstlich und konstruiert sind. Junge Männer, habt Geduld mit euren Eltern, wenn sie versuchen, euch zu sinnvoller Arbeit zu verhelfen. Es wäre ein großer Segen für uns, wenn mehr Söhne an der Seite ihres Vaters arbeiten könnten. Wenn es nicht ohnehin schon so ist, wie wäre es dann, wenn sich Vater und Sohn in den nächsten drei Monaten nur eine einzige anspruchsvolle Sache aussuchen, an der sie gemeinsam arbeiten?

Ihr jungen Männer, ich weiß nicht genau, welche besonderen Gaben jeder einzelne besitzt, aber die Gaben sind da! Bitte wendet diese Gaben an, und erweitert eure Talente ­ ganz nebenbei, während Ihr den Müll hinaustragt, Laub recht oder für eine Witwe, einen Witwer oder einen kranken Nachbarn Schnee schaufelt.

Wenn Ihr wißt, was Arbeit ist, gibt euch das einen Vorteil im Leben, und Erfahrungen mit Vortrefflichkeit sind ein besonderer Vorteil!

Loben wir unsere Jugendlichen immer bereitwillig für die Arbeit, die sie leisten, vor allem, wenn sie sie gut machen!

Von der heranwachsenden Generation hängt es ab, ob die Heiligen der Letzten Tage auch weiterhin für ihre Arbeitsmoral bekannt sein werden. Vor langer Zeit hat Präsident Brigham Young gesagt: „Ich möchte erleben, daß unsere ältesten so erfüllt von Rechtschaffenheit sind, daß man sie allen anderen vorzieht… . Wenn wir nach unserer Religion leben und es wert sind, Heilige der Letzten Tage zu heißen, dann sind wir genau die Menschen, denen man derartige Geschäfte mit völliger Sicherheit anvertrauen kann; wenn es nicht so ist, dann zeigt das, daß wir nicht nach unserer Religion leben.“ (Discourses of Brigham Young [1954], 232f.)

Wählt euch eine berufliche Laufbahn, wenn es an der Zeit ist, und seid euch dessen bewußt: ob man nun Neurochirurg, Förster, Mechaniker, Landwirt, Lehrer oder sonst etwas wird, ist eine Frage der Neigung und nicht des Prinzips. Sicher ist der Beruf, für den ihr euch entscheidet, sehr wichtig, aber er stellt nicht eure wirkliche Karriere dar. In Wirklichkeit, Brüder, seid ihr doch Söhne Gottes auf der Reise, die aufgefordert sind, den Weg zu gehen, der sie nach Hause führt. Dort werden die Leichenbestatter feststellen, daß ihr Beruf nicht der einzige ist, den es nicht mehr gibt. Aber die Fähigkeit zu arbeiten und klug zu arbeiten, wird immer gefragt sein. Ebenso die Fähigkeit zu lernen. Nebenbei, meine jungen Brüder, habe ich keine schweißfreie Abkürzung ins celestiale Reich gefunden; es führt keine einfache Rolltreppe dorthin.

Ihr jungen Männer im Aaronischen Priestertum und ihr Männer im Melchisedekischen Priestertum, noch nie war es für Sie so wichtig, zu wissen, wer Sie sind, wie in der Welt von heute. Seit langer, langer Zeit ist jeder von Ihnen Teil eines großen und andauernden Schauspiels. Sie waren am Anfang wirklich bei Gott (siehe LuB 93:29). Sie waren im großen vorirdischen Rat anwesend, wo Sie als Gottes Geistsöhne vor Freude über die Aussichten der Erfahrung dieses irdischen Lebens, durch das der Plan des himmlischen Vaters zur Errettung vorangebracht werden sollte, jubelten.

Weitere Akte des Schauspiels stehen uns noch bevor, unter anderem der eine Tag, an dem jedes Knie sich beugen und jede Zunge bekennen wird, daß Jesus der Messias ist, und alle erkennen werden, daß Gott Gott ist und daß er in seiner Gerechtigkeit und Gnade vollkommen ist. Diejenigen, die den Herrn lieben, werden sein celestiales Reich ererben, und kein Auge hat gesehen und kein Ohr gehört, was der Herr dort für sie bereitet hat (siehe 1 Korinther 2:9). Jesus hat bereits gearbeitet, um uns diesen herrlichen Platz zu bereiten.

Meine Brüder, alt und jung, mitreißend ist der einzige Ausdruck, mit dem sich Ihre geistige Geschichte und Ihre mögliche Zukunft beschreiben lassen! Und es wird immer reichlich Arbeit geben, besonders für diejenigen, die das Werk des Herrn tun! Ich stimme dem, was Präsident Hinckley über unsere Jugendlichen gesagt hat, gern zu, nämlich: „Ich habe immer wieder gesagt, daß wir die beste Generation junger Leute haben, die es in der Geschichte dieser Kirche gegeben hat.“ (Teachings of Gordon B. Hinckley [1997], 714. Siehe auch ensign, April 1992, 96.)

Ich glaube an eure zukünftigen Möglichkeiten. Ihr seid besondere Geister, die für besondere Arbeiten hierher geschickt worden sind. Auf diese Arbeiten wollte ich euch heute Abend freundschaftlich hinweisen!

Ich liebe euch! Möge Gott euch segnen und euch auf dem Weg halten, der euch nach Hause führt. Darum bete ich im heiligen Namen Jesu Christi, amen!