1990–1999
„Weide meine Lämmer”
Oktober 1997


„Weide meine Lämmer”

Die Heiligen Gottes sind seit jeher mit einem Bund verpflichtet, einander geistig zu nähren, vor allem jene, die im Evangelium noch neu sind.

Der Erretter erklärte Petrus und den übrigen Aposteln und Jüngern, warum und wie sie ihre Mitmenschen nähren sollten. Sie erinnern sich, daß er ihnen zu essen gab, ehe er sie unterwies. Er war gekreuzigt worden und dann auferstanden. Seine Diener waren nach Galiläa gegangen. Sie hatten die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen. Als sie in der Morgendämmerung wieder ans Ufer kamen, erkannten sie ihn erst nicht. Er rief ihnen zu und sagte ihnen, wo sie die Netze auswerfen sollten, und als sie das taten, wurden ihre Netze voll. Da eilten sie ans Ufer, um ihn zu begrüßen.

Sie fanden ein Kohlenfeuer mit Fischen und Brot vor. Ich habe mich, wie Sie vielleicht auch, schon oft gefragt, wer das Feuer in Gang gebracht und den Fisch gefangen und wer das Essen zubereitet hatte, aber der Herr bereitete seine Jünger darauf vor, mehr Nahrung zu sich zu nehmen als Fisch und Brot. Zuerst ließ er sie essen. Dann unterwies er sie über geistige Nahrung. Und er gab ihnen ein Gebot, das heute noch für einen jeden von uns gilt. „Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer!” (Johannes 21:15.)

Die Heiligen Gottes sind seit jeher mit einem Bund verpflichtet, einander geistig zu nähren, vor allem jene, die im Evangelium noch neu sind. Es ist ein Segen, daß wir in einer Zeit leben dürfen, wo diese Fähigkeit, die neuen Mitglieder der Kirche zu nähren, gebraucht wird und wo sie deshalb über die treuen Heiligen ausgegossen wird. Diese Macht hatte das Volk des Herrn auch früher schon. Hier wird geschildert, wie das Volk des Herrn es einmal tat, in einer Zeit, von der das Buch Mormon berichtet. In einer Schriftstelle, die wir heute schon gehört haben, heißt es, wie Sie wissen: „Ihr Name wurde aufgenommen, damit ihrer gedacht würde und sie durch das gute Wort Gottes genährt würden, um sie auf dem rechten Weg zu halten, um sie beständig wachsam zu halten im Beten, sich allein auf die Verdienste Christi verlassend, des Urhebers und Vollenders ihres Glaubens.” (Moroni 6:4.)

Wir haben alle schon einmal versucht, den Glauben eines anderen zu nähren. Die meisten von uns spüren, daß unser Glaube auch anderen wichtig ist, und dabei spüren wir ihre Liebe. Nicht wenige von uns haben schon erlebt, wie ein Kind zu ihnen aufgeblickt und gesagt hat: „Möchtest du mit mir zur Kirche gehen?” oder „Kannst du mit mir beten?” Und wir haben auch unsere Enttäuschungen erlebt. Jemand, den wir lieben, hat unsere Versuche, seinen Glauben zu nähren, vielleicht nicht angenommen. Wir wissen aus schmerzlicher Erfahrung, daß Gott die Entscheidung seiner Kinder, sich nicht nähren zu lassen, respektiert. Aber jetzt ist es an der Zeit, neuen Optimismus und neue Hoffnung zu spüren, daß unsere Kraft zu nähren zunimmt.

Der Herr hat uns durch seinen lebenden Propheten gesagt, daß er die reiche Ernte an neuen Mitgliedern, die überall auf der Erde ins Wasser der Taufe steigen, bewahren wird. Und das wird der Herr durch uns tun. Wir können also zuversichtlich sein, daß wir dadurch, daß wir einfache Dinge tun, die sogar ein Kind tun kann, schon bald größere Macht erhalten, den schwachen Glauben zu festigen.

Es beginnt in unserem Herzen. Von dem, was wir uns von ganzem Herzen wünschen, hängt es in hohem Maße ab, ob wir unser Recht auf den Heiligen Geist als Begleiter in Anspruch nehmen können. Ohne ihn kann es schließlich kein geistiges Nähren geben. Wir können heute anfangen, uns zu bemühen, diejenigen, die wir nähren sollen, so zu sehen, wie der himmlische Vater sie sieht, und so etwas von dem empfinden, was er für sie empfindet.

Die neuen Mitglieder der Kirche sind seine Kinder. Er hat sie schon in der Welt vor dieser gekannt, und sie haben ihn gekannt. Er und sein Sohn, der Herr Jesus Christus, möchten, daß sie zu ihm zurückkehren. Sie wollen ihnen ewiges Leben schenken, wenn sie sich dafür entscheiden. Er hat seine Missionare durch den Heiligen Geist geführt und unterstützt, damit sie sie finden und unterweisen und taufen konnten. Er hat zugelassen, daß sein Sohn den Preis für ihre Sünden zahlte. Unser Vater und der Erretter sehen diese neuen Mitglieder als zarte Lämmer, die für einen Preis erkauft sind, den wir nicht einmal erahnen können.

Sterbliche Eltern können vielleicht, ein klein wenig nur, nachempfinden, was der liebende himmlische Vater empfindet. Wenn unsere Kinder in das Alter kommen, wo sie unsere direkte Obhut verlassen müssen, sind wir um ihre Sicherheit besorgt und wünschen uns, daß diejenigen, die ihnen helfen sollen, sie nicht im Stich lassen. Wir können wenigstens zum Teil nachempfinden, wie sehr der Vater und der Erretter die neuen Mitglieder der Kirche lieben und welches Vertrauen sie in uns setzen, die wir sie nähren sollen.

Die Gefühle für die neuen Mitglieder, die wir im Herzen empfinden, tragen sehr viel dazu bei, daß wir uns der Hilfe des Geistes würdig machen und dadurch die Ängste, die uns vielleicht von unserer heiligen Aufgabe abhalten, überwinden. Es ist weise, zu befürchten, daß unser Können nicht ausreicht, um den Auftrag, den Glauben anderer zu nähren, zu erfüllen. Unsere Fähigkeiten, so groß sie auch sein mögen, sind nicht genug. Aber diese realistische Betrachtung unserer Grenzen erzeugt eine Demut, die dazu führt, daß wir uns auf den Geist verlassen, wodurch wir an Macht gewinnen.

Brigham Young hat gesagt, daß wir trotz unserer Schwächen mutig sein sollen. Seine Ausdrucksweise ist so typisch für ihn: „Wenn jemand zu einer Versammlung spricht und er auch unfähig ist, mehr als ein halbes Dutzend Sätze zu sagen und die auch noch unbeholfen - wenn sein Herz vor Gott rein ist, so sind diese paar gebrochenen Sätze doch wertvoller als die größte Beredsamkeit ohne den Geist des Herrn und in den Augen Gottes, der Engel und aller guten Menschen von größerem wahren Wert. Wenn jemand betet und sein Herz rein ist vor Gott, so wird sein Beten mehr ausrichten als die Beredsamkeit eines Cicero, auch wenn er nur wenige Worte macht und sich unbeholfen ausdrückt. Was interessiert den Herrn, der unser aller Vater ist, unsere Ausdrucksweise? Das einfache, aufrichtige Herz richtet beim Herrn mehr aus als aller Pomp und Stolz, alle Pracht und Beredsamkeit der Menschen. Wenn er auf ein Herz voll Aufrichtigkeit, Redlichkeit und kindlicher Einfachheit blickt, so sieht er einen Grundsatz, der für immer bestehen wird, nämlich -, Das ist der Geist meines Reichs - der Geist, den ich meinen Kindern gegeben habe/” (Discourses of Brigham Young, Hg. John A. Widtsoe, Seite 169.)

Ein Kind kann all das tun, was uns die Kraft verleiht, den Glauben anderer zu nähren. Ein Kind kann ein neues Mitglied einladen, zu einer Versammlung mitzukommen. Ein Kind kann lächeln und ein neues Mitglied, das gerade in die Kapelle oder ins Klassenzimmer kommt, begrüßen. Wir können es auch. Und sobald wir es tun, ist der Heilige Geist unser Begleiter. Die Angst, wir könnten nicht wissen, was wir sagen sollen, oder wir könnten abgelehnt werden, wird uns genommen. Der Neuling wird uns nicht mehr als Fremdling vorkommen. Und der Heilige Geist wird anfangen, ihn zu nähren, noch ehe wir über die Wahrheiten des Evangeliums gesprochen haben.

Wir brauchen keine weitere Berufung als die, ein Mitglied zu sein, um zu nähren, indem wir freundlich auf andere zugehen. Und selbst diejenigen, die keine Berufung haben, zu lehren oder zu predigen, können mit dem guten Wort Gottes nähren, wenn wir uns darauf vorbereiten. Wir können das jedesmal tun, wenn wir mit einem neuen Mitglied sprechen, auch jedesmal wenn wir uns am Unterricht beteiligen. Jedes Wort, das wir sprechen, kann den Glauben festigen oder schwächen. Wir brauchen die Hilfe des Geistes, um solche Worte zu sprechen, die nähren und stärken.

Es gibt zwei wichtige Schlüssel dafür, wie wir den Geist einladen, uns in den Worten, die wir sprechen, um andere zu nähren, zu führen. Das sind das tägliche Studium der heiligen Schriften und das gläubige Beten.

Der Heilige Geist führt uns in dem, was wir sagen, wenn wir jeden Tag die heiligen Schriften studieren und darüber nachsinnen. Die Worte der heiligen Schriften laden den Heiligen Geist ein. Der Herr hat das so gesagt: „Trachte nicht danach, mein Wort zu verkünden, sondern trachte zuerst danach, mein Wort zu erlangen, und dann wird deine Zunge sich lösen; und dann, wenn du es wünschst, wirst du meinen Geist und mein Wort haben, ja, und die Macht Gottes, um Menschen zu überzeugen.”

(LuB 11:21.) Wenn wir täglich die heiligen Schriften studieren, können wir uns auch im entspannten Gespräch oder im Unterricht, wenn ein Lehrer uns eine Frage stellt, auf diesen Segen verlassen. Wir erfahren die Macht, die der Herr verheißen hat: „Sorgt auch nicht im voraus, was ihr sagen sollt; sondern häuft in eurem Verstand beständig die Worte des Lebens auf wie einen Schatz, dann wird euch zur selben Stunde das eingegeben werden, was davon einem jeden zugemessen werden soll.” (LuB 84:85.)

Wir häufen das Wort Gottes nicht wie einen Schatz auf, wenn wir bloß die Worte in den heiligen Schriften lesen, sondern wenn wir sie studieren. Wir werden vielleicht mehr genährt, wenn wir über einige wenige Worte nachsinnen und zulassen, daß der Heilige Geist daraus für uns einen Schatz macht, als wenn wir rasch und oberflächlich ganze Kapitel in den heiligen Schriften überfliegen.

So wie das Nachsinnen über die heiligen Schriften den Heiligen Geist einlädt, tut das auch das tägliche Flehen im Gebet. Wenn wir nicht im Gebet darum bitten, wird er nur selten kommen, und ohne unser Flehen bleibt er wahrscheinlich auch nicht. „Und der Geist wird euch durch das Gebet des Glaubens gegeben; und wenn ihr den Geist nicht empfangt, sollt ihr nicht lehren.” (LuB 42:14.) Beständiges, von Herzen kommendes Flehen um den Heiligen Geist als Begleiter, in der reinen Absicht, die Kinder unseres Vaters zu nähren, wird uns und denen, die wir lieben, sicher Segnungen bringen.

Das gute Wort Gottes, mit dem wir nähren müssen, ist die einfache Lehre des Evangeliums. Wir brauchen uns weder vor der Einfachheit noch vor Wiederholungen zu fürchten. Der Herr selbst hat geschildert, wie diese Lehre den Menschen ins Herz dringt und sie nährt: „Siehe, wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich will euch meine Lehre verkünden.

Und dies ist meine Lehre, und es ist die Lehre, die der Vater mir gegeben hat; und ich gebe Zeugnis vom Vater, und der Vater gibt Zeugnis von mir, und der Heilige Geist gibt Zeugnis vom Vater und von mir; und ich gebe Zeugnis, daß der Vater allen Menschen überall gebietet, umzukehren und an mich zu glauben.

Und wer an mich glaubt und sich taufen läßt, der wird errettet werden; und diese sind es, die das Reich Gottes ererben werden.

Und wer nicht an mich glaubt und sich nicht taufen läßt, der wird verdammt werden.Wahrlich, wahrlich, ich sage euch,dies ist meine Lehre, und ich gebe davon Zeugnis vom Vater; und wer an mich glaubt, der glaubt auch an den Vater; und ihm wird der Vater Zeugnis geben von mir, denn er wird mit Feuer und mit dem Heiligen Geist zu ihm kommen.” (3 Nephi 11:31-35.)

Dann beschreibt der Herr diejenigen, die durch diese einfache Lehre genährt werden und ausharren, diejenigen, die das celestiale Reich ererben, als diejenigen, die wie ein Kind sind. Man braucht ein kindliches Herz, um die Eingebungen des Geistes zu spüren, um sich diesen Geboten zu unterwerfen und zu gehorchen. Das braucht es, damit man durch das gute Wort Gottes genährt wird.

Und darum können wir den Auftrag, die neuen Mitglieder der Kirche zu nähren, so optimistisch angehen. So viel oder so wenig sie auch von der Lehre wissen mögen, sie haben sich gerade demütig der Taufe unterzogen und das Recht erhalten, den Heiligen Geist zum Begleiter zu haben. Und so ist ihr Glaube zwar noch schwach, weshalb der Erretter sie auch als Lämmer bezeichnet, aber sie haben bereits bewiesen, daß sie bereit sind, das zu tun, was der Erretter von ihnen verlangt.

Wenn alle Bedingungen ihrer jungen Mitgliedschaft deutlich und liebevoll erklärt werden, wenn ihnen weise die Möglichkeit gegeben wird, in der Kirche zu dienen, und wenn ihr Dienst mit Nächstenliebe beurteilt wird und sie mit geduldigem Ansporn genährt werden, werden sie durch die Begleitung des Heiligen Geistes gestärkt und werden sie durch eine Macht, die über die unsrige hinausgeht, genährt. Und wenn sie ausharren, werden die Pforten der Hölle nicht gegen sie obsiegen.

Brigham Young hat mit den folgenden Worten verheißen, wie ihre Stärke zu stehen zunimmt: „Wer sich vor dem Herrn demütigt und mit vollkommenem Herzen und willigem Sinn auf ihn hofft, der empfängt immer wieder ein wenig, Zeile um Zeile, Weisung um Weisung, hier ein wenig und da ein wenig., Hin und wieder’, wie Bruder John Taylor sagt, bis er eine bestimmte Menge erhält. Dann muß er das, was er erhalten hat, nähren und hegen, und es zu seinem ständigen Begleiter machen und jeden guten Gedanken, jede gute Lehre und jeden guten Grundsatz bestärken und soviel Gutes tun, wie er nur kann, bis der Herr nach einer Weile in ihm wie ein Brunnen ist, dessen Wasser immerwährendes Leben schenkt.” (Journal of Discourses, 4:286f.)

Das ist gemeint, wenn in Moroni gesagt wird: „Sich allein auf die Verdienste Christi verlassend, des Urhebers und Vollenders ihres Glaubens.” (Moroni 6:3.) Der Erretter hat es durch sein Sühnopfer möglich gemacht, daß wir rein werden, wenn wir seinen Geboten gehorsam sind. Und der Erretter nährt diejenigen, die im Glauben ins Wasser der Taufe hinabsteigen und die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Er sichert ihnen zu: wenn sie immer an ihn denken und wenn sie im kindlichen Gehorsam verbleiben, werden sie seinen Geist immer mit sich haben.

Wir können schon durch Kleinigkeiten Teil eines großen Werks sein und sind es auch. Wir studieren und beten und dienen, um würdig zu sein, daß der Heilige Geist unser Begleiter sein kann. Wir dürfen dann die neuen Mitglieder als kostbare, geliebte Kinder des himmlischen Vater sehen, und wir möchten sie gern mit Liebe, mit der Möglichkeit zu dienen und mit dem guten Wort Gottes nähren. Und wir werden zu unserer Zeit sehen, was der große Missionar Ammon seinen Mitarbeitern auf Mission beschrieben hat, so wie wir jetzt Mitarbeiter der Missionare sind, die in der ganzen Welt wirken:

„Siehe, das Feld war reif, und gesegnet seid ihr - denn ihr habt die Sichel eingeschlagen und mit aller Macht geerntet, ja, den ganzen Tag lang habt ihr euch

gemüht; und nun seht, wie viele Garben ihr habt! Und sie werden in die Speicher gesammelt werden, damit sie nicht verlorengehen. Ja, sie werden am letzten Tag vom Sturm nicht umgeworfen werden; ja, sie werden auch von den Wirbelstürmen nicht zerrissen werden; sondern wenn der Sturm kommt, dann werden sie an ihrem Ort versammelt sein, so daß der Sturm nicht bis zu ihnen eindringen kann; ja, sie werden auch nicht von grimmigem Wind gejagt, wohin auch immer sie zu schleppen es den Feind gelüstet.

Sondern siehe, sie sind in den Händen des Herrn der Ernte, und sie sind sein; und er wird sie am letzten Tag erheben.” (Alma 26:5-7.)

Wir können dem Herrn durch einfachen Gehorsam helfen, die Lämmer, seine Lämmer, in die Hände zu nehmen und sie in seinen Armen zu ihrem Vater und unserem Vater heimzutragen. Ich weiß, daß Gott die Himmelskräfte über uns ausgießt, wenn wir daran mitwirken, diese heilige Ernte an Menschen einzubringen.

Ich weiß, daß Jesus der Messias ist. Ich weiß, daß er lebt. Und ich weiß, daß er seine Missionare führt und daß er uns in diesem Werk, seinem Werk, führt, das darin besteht, das ewige Leben der Kinder seines Vaters zustande zu bringen. Im Namen Jesu Christi, amen.