1990–1999
Geistig erwachsen werden
April 1994


Geistig erwachsen werden

Ich hoffe, daß ihr in diesen wichtigen Jahren … von einem abhängigen Kind zu einer rechtschaffenen, glaubensstarken Frau heranwachst, die Probleme lösen kann.

Vor ein paar Wochen bin ich nach New York City geflogen, um meine neue Enkelin zu besuchen. Als meine Tochter und ihr Mann mich an der Tür mit ihrem kleinen, drei Tage alten Baby begrüßten, war in dem Raum eine besondere Ausstrahlung zu spüren. Als sie mir Hannah, die sie nach meiner Mutter benannt hatten, in die Arme legten, sah sie aus wie eine eingerollte kleine Puppe mit dichtem dunklem Haar. Schon nach wenigen Tagen begann Hannah ihre langen Beine und ihre langen dünnen Füße auszustrecken, und ich dachte darüber nach, was sie alles erleben wird, wenn sie heranwächst. Vielleicht wird sie einige derselben Ängste haben wie ich - beispielsweise Angst davor, allein im Dunkeln zu sein, wenn sie sechs oder sieben ist. Oder mit dreizehn, vierzehn völlig sicher zu sein, wie ich es war, daß es nie einen Jungen geben wird, der so groß ist wie sie. Meine Sorge wurde im folgenden Jahr noch größer, als ich zu der Überzeugung gelangte, daß jemand mit so großen Füßen wie ich wohl niemals heiraten würde.

Solche Ängste sind ganz normal, und alles, worüber ihr euch Sorgen macht, macht auch mir Sorgen. Meine größte Sorge ist jedoch, daß jede von euch geistig wächst.

Ich habe große Achtung vor euch. Ich hoffe, daß ihr in diesen wichtigen Jahren zwischen zwölf und achtzehn von einem abhängigen Kind zu einer rechtschaffenen, glaubensstarken Frau heranwachst, die Probleme lösen kann. Das ist ein mächtiges Werk, das es in diesen Jahren zu vollbringen gilt, und wenn ihr eure Sache gut macht, baut ihr die Grundlage für ein verantwortungsbewußtes und rechtschaffenes Leben.

Wenn eure Leiterinnen euch im JD-Programm anspornen, mit dem Programm Mein Fortschritt zu arbeiten, dann hoffe ich, daß ihr versteht, daß es hier um viel mehr geht als nur darum, sich Ziele zu setzen und Anerkennung zu erlangen, auch wenn das sehr wichtig ist. Das größte Ziel ist jedoch, daß ihr ständig Erfahrungen auswählt, durch die ihr euren Glauben an unseren Erretter, Jesus Christus, ausübt und stärkt.

Im Buch Alma gibt es ein Kapitel - Kapitel 32 -, das meiner Meinung nach ganz speziell für Junge Damen geschrieben wurde. Alma lehrt uns, wie wir unseren Glauben ausüben und stärkeren Glauben an die Worte des himmlischen Vaters entwickeln können. Könnt ihr bitte zu Hause dieses Kapitel lesen und jedesmal, wenn es heißt das Wort, einen Kreis darum ziehen? Lest dann den ersten Vers im Evangelium nach Johannes, wo es heißt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.” (Johannes 1:1; Hervorhebung hinzugefügt.) Und in Vers 14: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.” (Johannes 1:14; Hervorhebung hinzugefügt.)

Im Evangelium nach Johannes bezieht sich das Wort auf unseren Erretter Jesus Christus. Der Prophet Alma, der uns über den Glauben belehrt, hilft uns zu verstehen, wie unser Glaube an Jesus Christus gestärkt werden kann. Alma vergleicht das Wort oder das Evangelium, das auch unseren Glauben an den Erretter umfaßt, mit einem Samenkorn. In seinen eigenen Worten:

„Wenn ihr nun Raum gebt, daß ein Samenkorn in euer Herz gepflanzt werden kann, siehe, wenn es ein wahres Samenkorn, ja, ein gutes Samenkorn ist, wenn ihr es nicht durch euren Unglauben ausstoßt, indem ihr dem Geist des Herrn Widerstand leistet, siehe, so wird es anfangen, in eurer Brust zu schwellen; und wenn ihr dieses Schwellen spürt, so werdet ihr anfangen, euch zu sagen: Es muß notwendigerweise ein gutes Samenkorn sein, nämlich das Wort ist gut, denn es fängt an, meine Seele zu erweitern; ja, es fängt an, mein Verständnis zu erleuchten; ja es fängt an, mir köstlich zu sein.

Nun siehe, würde dies nicht euren Glauben vermehren? Ich sage euch: Ja; und doch ist er noch nicht zu einem vollkommenen Wissen herangewachsen.” (Alma 32:28,29; Hervorhebung hinzugefügt.)

Das Programm Mein Fortschritt entspricht einem Experiment mit dem Wort. Es gibt Erfahrungen mit dem Gebet, mit dem Schriftstudium, damit, die Beziehung in der Familie zu stärken und anderen zu dienen. Wenn wir unseren Glauben ausüben, entwickeln wir stärkeren Glauben. Wenn wir uns die Leistungen großer Sportler vor Augen führen, überrascht es mich, daß jemand der Meinung sein kann, geistiges Wachstum käme ohne jede Anstrengung, wenn doch für körperliche Leistungen so viel Übung und Training erforderlich sind.

Hört euch jetzt die wunderbare Verheißung an, die denen gegeben wird, die ihren Glauben ausüben - die das Wort weiterhin nähren:

„Wenn ihr aber das Wort nährt, ja, den Baum nährt, wenn er zu wachsen anfängt, indem ihr mit großem Eifer und mit Geduld euren Glauben ausübt und nach seiner Frucht ausschaut, wird er Wurzel fassen; und siehe, es wird ein Baum sein, der zu immerwährendem Leben empor sproßt.” (Alma 32:41; Hervorhebung hinzugefügt.)

Geistig erwachsen werden erfordert Glauben, großen Eifer und Geduld. Es erfordert Reife, uns auf das zu freuen, was von ewiger Bedeutung ist.

Als Baby reagiert die kleine Hannah auf Essen, wenn sie hungrig ist. Sie reagiert auf freundliche Stimmen und trockene Windeln. Es wird einige Zeit dauern, bis sie merkt, daß ihre Mutter ihr aus der heiligen Schrift vorliest, während sie sie füttert. Es wird viele, viele Monate dauern, bis sie weiß, warum man vor dem Essen den Kopf neigt und ein Gebet gesprochen wird. Und doch wird ihr Glaube in dieser vertrauensvollen Umgebung Wurzeln fassen. Ein kleines Kind kann lernen, auf gute Gefühle zu reagieren, ihr aber lernt jetzt, für euren Glauben selbst verantwortlich zu sein. Hört euch nun drei Junge Damen an, die von Erfahrungen berichten, die ihnen die Möglichkeit gegeben haben, ihren Glauben auszuüben.

[An dieser Stelle wurde ein Video gezeigt, in dem drei Junge Damen von Ereignissen und Herausforderungen in ihrem Leben erzählten und was für Auswirkungen sie auf ihren Glauben hatten.]

Jedes dieser Mädchen machte eine ganz andere Erfahrung, doch jedes entschied sich, seinen Glauben auszuüben und zu stärken. Sarah achtete nicht auf das Gefühl, daß das, was sie tat, falsch war, weil sie unbedingt Auto fahren lernen wollte. Nach einem schlimmen Erlebnis gab ihr der Glaube die Motivation oder den Mut, ihr erschreckendes Erlebnis kritisch zu beurteilen und Änderungen vorzunehmen. Habt ihr bemerkt, daß sie sich zunächst unwürdig und ungeliebt gefühlt hat, weil sie eine unkluge Entscheidung getroffen hatte? Sie sagte, sie habe sich irgendwie wertlos gefühlt. Solche Gefühle sind normal, wenn wir einen Fehler gemacht haben, aber sie war klug genug, über alles, was geschehen war und warum es so geschehen war, nachzudenken. Sie rief sich ins Gedächtnis, daß der himmlische Vater sie liebte und was er gewünscht hätte. Sie lernte, auf ihre Eltern zu hören und die warnende innere Stimme zu beachten. Sie erkannte, wie sie dieses neue Wissen in einer anderen Situation anwenden konnte. Auf diese Weise kann jede Erfahrung uns helfen zu wachsen. Unser himmlischer Vater möchte, daß wir schlechte Erfahrungen überwinden und uns nicht dem Gefühl hingeben, unwürdig zu sein.

Das zweite Mädchen, Carly, erlebte schwierige Umstände in der Familie, da ihr Vater die Arbeitsstelle wechseln mußte und ein Umzug in einen anderen Bundesstaat notwendig wurde. Ihr wurde bewußt, wie wertvoll die Familie ist und was es bedeutet, zusammenzusein. Durch vereinten Glauben und Gebete wurde sie dadurch gesegnet, daß sie die Liebe des himmlischen Vaters erfuhr und seine Unterstützung dabei, die Familie wieder zusammenzubringen. Ihr Glaube wurde gestärkt.

Das dritte Mädchen, Paillette, machte eine ganz andere Erfahrung. Sie lernte, eine Situation zu akzeptieren, die nicht die erhoffte war. Sie kannte die große Macht des Glaubens, eine Macht, die Berge versetzen kann, als aber die Mutter ihrer Freundin starb, übte sie ihren Glauben aus, indem sie auf den Plan des himmlischen Vaters, den er für uns hat, vertraute. Geistig erwachsen zu werden erfordert von uns, daß wir über unsere eigenen Wünsche hinaussehen und unseren Horizont erweitern. Wir müssen nicht nur unsere Selbstsucht aufgeben, sondern manchmal auch Dinge, die wir uns sehnlich wünschen, um dahin zu gelangen, den Standpunkt unseres himmlischen Vaters zu verstehen.

Es ist heutzutage so wichtig, daß wir einen inneren Kern an Geistigkeit aufbauen. Wenn ihr euren Glauben ausübt und spürt, daß eure Geistigkeit zunimmt, fangt ihr an, euch sicherer zu fühlen. Ihr gewinnt mehr Selbstvertrauen. Mit der Zeit verstehen wir dann besser, was es bedeutet, dem himmlischen Vater bedingungslos zu vertrauen und als Zeuge Gottes aufzutreten (siehe Mosia 18:9). Wenn wir zu einer rechtschaffenen, glaubensstarken Frau werden, die Probleme lösen kann, dann lernen wir, ihn und sein Werk zu repräsentieren.

Vor drei Jahren bekam ich eine andere kleine Enkelin, die nach mir benannt wurde - Emily Janette. An dem Tag, als sie gesegnet wurde, wünschte ich mir inständig, daß es ihr Wohlergehen würde, und ich erhoffte für sie alle guten Dinge des Lebens. In dem Augenblick dachte ich daran, was es bedeutet, wenn jeder von uns den Namen Jesu Christi durch das Taufbündnis auf sich nimmt. Ich dachte daran, wie sehr er unser Wohlergehen wünscht. Ich spüre die Liebe, die er für die Jungen Damen in der Kirche empfindet. Ich habe auch an seine Liebe und Dankbarkeit für Sie, die Führerinnen, gedacht - Sie, die Sie wahre Lehre unterrichten, ein Vorbild an rechtschaffenem Verhalten sind, eine vertrauensvolle Umgebung schaffen, in der andere Glauben entwickeln und sich in einer rechtschaffenen Lebensweise üben können.

Ich habe ein Zeugnis von der Liebe, die der Erretter für uns hat. Er kennt unsere Herausforderungen. Er wird uns helfen. Es war vorgesehen, daß wir Erfahrungen machen, die uns helfen, Gut von Böse zu unterscheiden. Die meisten von uns machen Fehler. Wir können allein nicht vollkommen sein. Das Sühnopfer Jesu Christi ermöglicht es uns, unsere Schwächen aufzugeben und durch seine Vollkommenheit gestärkt zu werden. Ich gebe Zeugnis von seinem Sühnopfer, das er für uns dargebracht hat. Im Namen Jesu Christi. Amen.