1990–1999
Jesus der Messias
Oktober 1991


Jesus der Messias

„Christus wünscht sich von jedem von uns Hingabe und zwar voll und ganz - als freiwilliges Geschenk des Vertrauens, des Glaubens und der Liebe.”

Als Mormon seinen Auszug aus den Aufzeichnungen der Nephiten anfertigte, schrieb er: „Siehe, ich bin ein Jünger Jesu Christi, des Gottessohnes. Ich bin von ihm berufen worden, sein Wort unter diesem Volk zu verkünden, damit sie immerwährendes Leben haben können.” (3 Nephi 5:13.) Diese demütige, dabei gleichzeitig freimütige Aussage müßte auch jeder Heilige der Letzten Tage machen können - als Jünger Christi, der berufen ist, in seinem Werk zu dienen.

Christus: mehr als ein König

Wer ist dieser Jesus, den wir verehren? Vor allen anderen Menschen auf der Erde müssen wir Heiligen der Letzten Tage die große Bedeutung des Jesus von Nazaret kennen seine Rolle im Errettungsplan, die Jungfrauengeburt, sein makelloses Leben, seine eindrucksvollen Lehren, seinen selbstlosen Tod, seine herrliche Auferstehung, die Führung seiner Kirche.

In dem Buch The Robe von Lloyd Douglas wird fiktiv geschildert, wie Christus auf dem Esel in Jerusalem einreitet. Inmitten der aufgeregten Menschenmassen unterhalten sich zwei griechische Sklaven, die die Bedeutung des Ereignisses nicht verstehen und den Hauptbeteiligten gar nicht kennen:

„Siehst du den da vorn?” fragte der schwerfällige Athener. Demetrius nickte … und wandte sich ab.

„Verrückt?” fragte der Athener beharrlich weiter. …„Nein.”„König?”

„Nein”, murmelte Demetrius. … „Kein König.”

„Was ist er denn dann?” …

„Ich weiß es nicht”, murmelte Demetrius. … „Aber er ist etwas Wichtigeres als ein König.” (The Robe, Seite 74.)

Jesus Christus ist in der Tat mehr als ein König; er ist der Sohn Gottes, unser Erretter, unser Erlöser, der Urheber und Vollender unseres Glaubens, König der Könige, Herr der Herren, Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens (siehe Hebräer 12:2; Offenbarung 17:14; Jesaja 9:5).

Darum geht es im Evangelium. Ohne ihn, ohne seine Vermittlung wären wir angesichts von Adams Übertretung völlig hilflos. Wir werden tatsächlich aus Gnade „durch den Glauben” errettet (siehe Epheser 2:8) oder, wie Nephi schrieb: „Wir wissen, daß wir durch Gnade errettet werden - nach allem, was wir tun können.” (2 Nephi 25:23.)

„Alles andere, was mit unserer Religion zu tun hat, ist nur eine Zugabe dazu” nämlich zum Zeugnis von Jesus, von seinem Tod, seiner Grablegung, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. (Siehe Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 124.)

„Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.” (Psalm 23:1.) Was könnte uns auch sonst noch fehlen? Wir können uns gar nicht mehr wünschen. Was könnte wünschenswerter sein, als in jedem Gedanken auf Christus zu blicken? (Siehe LuB 6:36.)

Ich möchte, daß wir über die Beziehung zu unserem Erlöser nachdenken, und dazu will ich ein paar Skizzen von ihm zeichnen, die mir geholfen haben, ihn näher kennen zu lernen, und die mir als Maßstab dienen, an dem ich mein Leben messen will.

Seine Mutter war Maria - er konnte also sterben. Er war der Erstgeborene des Vaters, der Sohn Gottes - hatte also die Macht zu leben und die Fähigkeit, vollkommen zu leben. Wir wissen, Jesus „empfing zuerst nicht die Fülle, sondern beharrte von Gnade zu Gnade, bis er eine Fülle empfing” (LuB 93:13).

Über seine Kindheit heißt es: „Jesus aber wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.” (Lukas 2:52.) Während dieses Wachstumsprozesses erlitt er „Versuchungen …, körperliche Pein, Hunger, Durst und Erschöpfung - ja, mehr, als ein Mensch ertragen kann” (3:7). Er machte das alles durch, „auf daß sein Inneres von Barmherzigkeit erfüllt sei gemäß dem Fleische, damit er gemäß dem Fleische wisse, wie er seinem Volk beistehen könne gemäß dessen Schwächen” (Alma 7:12). Es gibt nichts, was wir erleben - kein Herzeleid, keine Freude - das er nicht noch intensiver erfahren hat; und er ist mit all seinen Erfahrungen auf vollkommene Weise umgegangen und hat uns damit gezeigt, wie wir leben sollen.

Während seines irdischen Lebens hat Jesus uns das Evangelium gegeben und seine Kirche gegründet. Er hat seine Jünger gelehrt, wie sie das Leben in Fülle haben konnten, und uns den Weg gezeigt, wie wir in diesem Leben glücklich werden und im Jenseits ewiges Leben haben können.

Wunder

Er hat viele Wunder gewirkt. Sie waren „ein wichtiges Element des Werkes Jesu Christi, da es nicht nur um göttliches Handeln ging, sondern auch um die Vermittlung göttlicher Lehre. … Sie sollten den Juden beweisen, daß Jesus der Messias war. … Die Wunderheilungen zeigen auch, wie das Gesetz der Liebe auf das wirkliche Leben zu beziehen ist. Wunder waren und sind Erwiderungen auf den Glauben und sein bester Ansporn.” (Bible Dictionary, Seite 732.)

Denken Sie daran, wie ergreifend die Auferweckung des Lazarus von den Toten war eines der größten Wunder Christi. Teilnahmsvoll ging der Herr auf die flehentlichen Bitten seiner Freunde ein, verzögerte aber sein Kommen, um die Gelegenheit wahrzunehmen, sie etwas zu lehren. „Ich freue mich für euch”, sagte er, „daß ich nicht dort war; denn ich will, daß ihr glaubt.” (Johannes 11:15.)

Die trauernde Marta sagte voll kindlichem Glauben:

„Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.

Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.

Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.

Marta sagte zu ihm: Ich weiß, daß er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag.

Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.” (Johannes 11:21-25.)

Maria brachte etwas ähnliches zum Ausdruck: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.” (Johannes 11:32.) Und als Jesus sah, wie sie und die anderen weinten, da „war er im Innersten erregt und erschüttert” und weinte auch (siehe Johannes 11:33,35). Die Innigkeit seiner Anteilnahme geht zu Herzen. Jesus sagte einfach mit Glauben und Macht: „Lazarus, komm heraus!” Und Lazarus kam heraus. Ein Mensch lebte wieder, und es war ein für allemal der Beweis für die göttliche Herkunft Christi angetreten - als Grundlage für den Glauben.

Jünger des lebendigen Messias

Ich jubele mit Paulus: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?” (l Korinther 15:55.) Christus hat den Sieg errungen. Der Tod ist besiegt; das Leben - ewiges Leben hat triumphiert. Wir sind Jünger des lebendigen Messias. Sein Leib wurde zwar in ein geborgtes Grab gelegt, aber er ist am dritten Tag auferstanden und danach vielen erschienen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären am Auferstehungstag mit den Jüngern und anderen Gläubigen zusammen. Es sind erst wenige Stunden vergangen, seit Sie die entsetzliche Kreuzigung des sanften Nazareners miterlebt haben. Sie haben hoffnungslose Augenblicke tiefsten Kummers miteinander geteilt, sind verwirrt und wissen nicht, wohin Sie sich wenden, was Sie tun sollen. Ihr Verstand ist von Wolken der Verzweiflung verfinstert. Da kommen zwei Jünger, die berichten, sie hätten auf dem Weg nach Emmaus mit dem Herrn geredet. Wagen Sie es, denen zu glauben, die sagen: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen”? (Lukas 24:34.)

Lukas hat auch dieses erstaunliche Ereignis festgehalten:

„Während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!

Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen.

Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum laßt ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen?

Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Faßt mich doch an, und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht.” (Lukas 24:36-39.)

Diese Szene lebt in meinem Herzen, denn sie kündigt uns allen die Unsterblichkeit an. Sie versichert uns, daß das Leben nach dem Tod weitergeht - frei von irdischen Schmerzen und irdischem Kummer der Erde.

Sein Sühnopfer

Jesus nahm in Getsemani und am Kreuz die Sünden von uns allen auf sich. Er ist gestorben, damit wir leben. Wer von uns hat noch nicht den Schmerz der Sünde erfahren? Wer braucht nicht dringend den Balsam göttlicher Vergebung, um seine verwundete Seele zu heilen? Lehi hat seinem Sohn Jakob erklärt:

„Darum kommt die Erlösung im heiligen Messias und durch ihn; denn er ist voller Gnade und Wahrheit.

Siehe, er bringt sich selbst als Opfer für Sünde dar, um dem Zweck des Gesetzes Genüge zu leisten für alle, die ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist haben; und für niemanden sonst kann dem Zweck des Gesetzes Genüge geleistet werden.” (2 Nephi 2:6,7.)

Sein Opfer war das große und letzte, es war ein „unbegrenztes und ewiges Opfer”, das niemand als der sündenlose Sohn Gottes bringen konnte (siehe Alma 34:10).

Er ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben” (Johannes 14:6), und er hat uns den Weg zum ewigen Leben eröffnet. Warum sollten wir die Einladung zur Errettung nicht annehmen, die Petrus folgendermaßen formuliert: „Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch”? (l Petrus 5:7.)

Sein Auftrag

„Wie wichtig ist es daher, daß den Bewohnern der Erde all dies verkündet wird.” (2 Nephi 2:8.) Jesus hat missionarischen Eifer an den Tag gelegt, den inständigen Wunsch, daß alle Kinder Gottes die Segnungen des Evangeliums erfahren. Ist es nicht interessant, daß in jedem der Evangelien das letzte Kapitel den Aufruf des auferstandenen Herrn enthält, das Evangelium zu verkünden?

Im Erdgeschoß des Verwaltungsgebäudes der Kirche in Salt Lake City befindet sich ein herrliches Wandgemälde, das den auferstandenen Jesus darstellt, der den elf Aposteln den mitreißenden Auftrag gibt, aller Welt Missionare zu sein:

„Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,

und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.” (Matthäus 28:19,20.)

Die Apostel, die dort beim Gottessohn standen, kamen dieser Berufung voll Glauben und Kraft und unerschrocken nach. Wir lesen über sie: „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt, und sie verkündeten freimütig das Wort Gottes.” (Apostelgeschichte 4:31.) Sie hatten ein auferstandenes Wesen gesehen, hatten mit ihm gegessen, hatten seine Hände und Füße berührt. Sie wußten es, und mit diesem Wissen bezeugten sie: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.” (Apostelgeschichte 4:20.)

Erstreckt sich dieser Auftrag auch auf uns als seine Jünger? Wir haben den auferstandenen Herrn vielleicht nicht selbst gesehen. Aber das Zeugnis seiner erwählten Zeugen ist uns durch den Heiligen Geist ins Herz gebrannt. Wir wissen es, und mit diesem Wissen müssen wir Zeugnis geben. Kann einer von uns in Frage stellen, daß dies eine unserer wichtigsten Aufgaben ist, da wir doch Mitglieder seiner Kirche sind? Ich habe mit dieser Aussage Mormons begonnen: „Ich bin von ihm berufen worden, sein Wort unter diesem Volk zu verkünden, damit sie immerwährendes Leben haben können.” (3 Nephi 5:13.) Diese Berufung gilt jedem von uns.

Völlige Hingabe an Christus Christus wünscht sich von jedem von uns Hingabe - und zwar voll und ganz - als freiwilliges Geschenk des Vertrauens, des Glaubens und der Liebe. C. S. Lewis hat diese Hingabe so beschrieben:

„Christus sagt:, Gib mir alles. Ich will nicht soundsoviel von deiner Zeit und soundsoviel von deinem Geld und soundsoviel von deiner Arbeit: Ich will Dich. Ich bin nicht gekommen, um dein natürliches Ich zu quälen, sondern um es zu töten. Halbe Maßnahmen bringen gar nichts. Ich will nicht hier und da einen Zweig abschneiden, sondern den ganzen Baum umhauen. … Liefere mir dein ganzes natürliches Ich aus, alle Wünsche, die du für unschuldig hältst, und alle, die du für schlecht hältst - einfach alles. Dafür schenke ich dir ein neues Ich. Ich schenke dir mich: mein Wille wird der deine sein.” (Mere Christianity, Seite 167.)

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt. Als Jünger Jesu Christi, des Sohnes Gottes, bekunde ich, daß ich bereit bin, mich meinem Erlöser zu unterwerfen, weil ich ihm vertraue. Ich glaube ihm, und ich liebe ihn. Mit Ijob sage ich: „Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt.” (Ijob 19:25.) Im Namen Jesu Christi. Amen.