Wie ich den Herrn durch das persönliche Studium und das Gebet höre


Elder Dale G. Renlund
Kollegium der Zwölf Apostel

 

15. Oktober 2020


 

Durch echte Herausforderungen in meinem Leben habe ich etwas Wichtiges über mich gelernt: Manchmal schrecke ich zunächst zurück, wenn ich etwas tun sollte, was meine Verpflichtung Gott gegenüber zeigt und meine Verbindung zum Himmel aufrechterhält. Doch habe ich erkannt, dass ich mich gerade in solchen Situationen nicht zurücklehnen sollte. Vielmehr sollte ich mich dann anstrengen, mein Bestes geben und mich um Führung vom Herrn bemühen. Ich möchte von einigen meiner ersten Erfahrungen als Familienvater erzählen. Sie haben mein Leben verändert und mir geholfen, diese Lektion zu lernen.

Schon bald nach unserer Hochzeit bekam meine Frau Ruth Krebs. Das Leben, das wir geführt hatten, war ein Scherbenhaufen. Es kam mir damals so vor, als sei der Himmel verschlossen. Ich wusste nicht, wie ich für unsere 14 Monate alte Tochter Ashley sorgen sollte. Ich wusste nicht, wie ich sie dazu bringen sollte, zu essen. Manchmal gab ich ihr Eiskrem und Limonade. Da so viele unserer Träume zerplatzt waren und ich mir so große Sorgen um Ruth machte, fiel es mir schwer, zu beten.

Als Ruth nach ihrer ersten Behandlung aus dem Krankenhaus kam, war sie so geschwächt, dass sie einfach nur im Bett lag. Wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, abends zusammen zu beten. Ich war feige und bat sie, an diesem Abend das Gebet zu sprechen. Nie werde ich die Worte vergessen, die sie sprach: „Lieber Vater im Himmel, wir danken dir für die Macht des Priestertums, durch die wir für immer zusammen sein können, ganz gleich, was geschieht.“

Es kam mir so vor, als wäre die Zimmerdecke aufgerissen worden. Der Heilige Geist erfüllte den Raum. Hatte ich zuvor noch das Gefühl gehabt, der Himmel wäre verschlossen, war es jetzt so, als stünde er weit offen. Friede, Freude und Trost erfüllten uns.

Wie wir uns geistig nähren können

Dieses Erlebnis und viele weitere haben mich gelehrt, wie wichtig es ist, dass ich mich geistig nähre. Wenn ich mit Schwierigkeiten zu kämpfen oder viel zu tun habe, muss ich mich anstrengen und mein Bestes geben, damit ich persönliche Offenbarung empfangen kann. In solchen Zeiten brauche ich die Hilfe des Himmels beim Setzen von Prioritäten am meisten.

Ein entsprechendes Erlebnis hatte ich während meiner Zeit als Assistenzarzt. Mein Praktikum war unheimlich stressig und anstrengend. Eines Sonntags hätte ich mich – und das wusste ich auch – nach der Arbeit auf dem Heimweg eigentlich beeilen müssen, wenn ich mit Ruth und Ashley in die Kirche gehen wollte. Sie machten sich gegen 14 Uhr auf den Weg, die Versammlungen unserer Gemeinde begannen um 14:30 Uhr. Doch ich beschloss, mir auf dem Heimweg Zeit zu lassen. Ich wollte einfach nur nach Hause gehen und ein Nickerchen machen. Und das tat ich auch.

Aber als ich nach Hause kam und mich hinlegte, konnte ich nicht einschlafen. Mir wurde klar, dass das Zeugnis und der Eifer, die mir stets zu eigen gewesen waren, nicht mehr da waren. Ich weiß noch, wie ich vom Sofa aufstand, niederkniete, um Vergebung bat und versprach, mich zu ändern.

Am nächsten Tag nahm ich eine Taschenbuchausgabe des Buches Mormon mit ins Krankenhaus, damit ich jeden Tag in den heiligen Schriften lesen konnte – komme, was da wolle. An manchen Tagen war es zwar nicht sehr viel, aber ich las jeden Tag. Ich machte mir eine To-Do-Liste. Dazu gehörte, wenigstens zweimal am Tag zu beten sowie in die Kirche zu gehen, sofern mein Terminplan dies zuließ. Innerhalb weniger Wochen waren der Eifer und die wärmende Kraft meines Zeugnisses wieder da. Ich erschaudere bei dem Gedanken daran, was wohl geschehen wäre, wenn ich so weitergemacht hätte – wenn ich eingeschlafen wäre und es gut gefunden hätte, nicht zur Kirche zu gehen. Ich glaube, unser Leben hätte ganz anders ausgesehen.

Wie ich den Herrn tagtäglich höre

Ich habe herausgefunden, dass ich den Herrn im Alltag am besten höre, wenn ich eine Frage formuliert habe. Und ich höre ihn deutlicher, wenn sich die Frage mit Ja oder Nein beantworten lässt und ich zu einer dieser Antwortmöglichkeiten mehr neige als zu der anderen. Oft höre ich den Herrn am deutlichsten, wenn die Antwort Nein lautet, also zum Beispiel „Tu das nicht“ oder „Nein, das ist nicht die richtige Richtung“.

Die Antworten, die ich erhalte, sind immer kurz und knapp, also keine lange, breite Erklärung. Wenn der Heilige Geist mir etwas zuflüstert, macht er das – wenn überhaupt – fast nie mit einer langen, breiten Erklärung. Die Antwort ist normalerweise kurz, knapp und prägnant – ein Eindruck oder Gedanke. Gelegentlich höre ich eine Stimme, doch ist sie stets voller Frieden und schenkt mir Ruhe und Zuspruch.

Außerdem kann ich den Herrn eher dann hören, wenn ich mich auf jemand anderen konzentriere – wenn ich eine Frage habe, die sich darauf bezieht, wie ich jemand anderem helfen kann. Auch habe ich erkannt, dass man es nie unterdrücken sollte, wenn man sich zu Freigiebigkeit angehalten fühlt. Ich habe erkannt: Wenn mir so ein Gedanke in den Sinn kommt, nämlich jemandem etwas Gutes zu tun, sollte ich es einfach tun. Dann stellt sich heraus, dass es ein inspirierter Gedanke war.

Eine wichtige Lektion für uns alle

Als ich erfuhr, dass 2020 das übergeordnete Thema der Kirche „Ihn höre“ sein würde, kam mir sogleich dieser Gedanke in den Sinn: Das Wichtigste, was wir alle lernen können, ist, wie wir den Vater im Himmel und Jesus Christus durch den Heiligen Geist zu uns sprechen hören können.

Ich glaube, dass die Schriftstelle in Jakobus 1:5 heute wichtiger denn je ist. Dort heißt es: „Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben, denn er gibt allen gern und macht niemandem einen Vorwurf.“

Aufgrund der derzeitigen COVID-19-Pandemie befinden wir uns in einer noch nie dagewesenen Situation. Es gibt kein Regelbuch, das uns durch diese schwierigen Zeiten führen kann. Jeder von uns muss um persönliche Offenbarung bitten und dann entsprechend handeln. Sobald wir die gewünschte Offenbarung empfangen haben, wissen wir, was zu tun ist. Die Offenbarungen, die wir empfangen, werden immer mit den heiligen Schriften, den Worten der lebenden Propheten und den Weisungen, die wir von unseren örtlichen Führern erhalten, im Einklang sein. Es bleibt jedoch jede Menge Spielraum, wie wir von Gott inspiriert unser Leben führen können und sollen.

Ich glaube, dass persönliche Offenbarung für unser Leben nie wichtiger war als 2020. Ich hoffe, dass wir alle dieses Jahr Erlebnisse mit persönlicher Offenbarung haben können – Erlebnisse, die uns zeigen, wie wir den Herrn hören können.