Weihnachtserinnerungen

Präsident Thomas S. Monson

Der Weihnachtsspazierstock

Zu Hause in einem versteckten Winkel habe ich einen kleinen schwarzen Spazierstock mit silberfarbenem Griff. Er hat einmal einem entfernten Verwandten gehört. Warum bewahre ich ihn wohl seit mittlerweile über siebzig Jahren auf? Das hat einen besonderen Grund.

Als kleiner Junge bin ich nämlich einmal bei einem Weihnachtsschauspiel in unserer Gemeinde aufgetreten. Ich durfte einer der drei Sterndeuter sein. Mit einem Halstuch um den Kopf, Mutters edler Klavierbankdecke um die Schultern und dem schwarzen Spazierstock in der Hand sprach ich die mir zugedachten Zeilen:

„Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“ (Matthäus 2:2.)

Ich weiß nicht mehr den ganzen Text, den ich bei dem Stück aufsagen musste, aber ich kann mich noch lebhaft an die Gefühle erinnern, die ich im Herzen hatte, als wir – die drei Sterndeuter – nach oben blickten und den Stern sahen, die Bühne überquerten, Maria mit dem Jesuskind fanden und dann niederfielen und es anbeteten, unsere Schätze hervorholten und ihm die Geschenke überreichten: Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Vor allem gefiel es mir, dass wir nicht zu dem bösen Herodes zurückkehrten, um den kleinen Jesus zu verraten, sondern Gott gehorchten und auf einem anderen Weg zurückreisten.

Die Jahre sind wie im Flug vergangen, die Ereignisse eines bewegten Lebens nehmen in der heiligen Welt der Erinnerungen ihren gebührenden Raum ein – aber der Weihnachtsspazierstock hat in meinem Haus noch immer seinen besonderen Platz, und im Herzen trage ich die Verpflichtung gegenüber Christus. (Aus „Feelings of Heart Recalled“, Church News, 12. Dezember 2009, Seite 7; erneut abgedruckt als „The Christmas Cane“, Friend, Dezember 2010.)

Die Weihnachtseisenbahn

Man vergisst wohl nie das Weihnachtsfest, bei dem das Geben das Nehmen abgelöst hat. Ich habe diese Erfahrung in meinem zehnten Lebensjahr gemacht. Als Weihnachten nahte, wünschte ich mir so sehnlich, wie es nur ein Junge kann, eine elektrische Eisenbahn. Mir lag nichts an der günstigen Modelleisenbahn zum Aufziehen, die es überall gab, sondern ich wollte eine, die durch das Wunder der Elektrizität betrieben wurde. Es war in den Jahren der Wirtschaftskrise, und doch überreichten mir Mutter und Vater – wofür sie bestimmt Opfer gebracht hatten – am Weihnachtsmorgen eine wunderschöne elektrische Eisenbahn.

Stundenlang bediente ich den Trafo und sah zu, wie die Lok die Wagen erst auf den Schienen vorwärtszog und dann in umgekehrter Richtung schob. Da kam Mutter ins Wohnzimmer und erzählte mir, dass sie eine Eisenbahn zum Aufziehen für Frau Hansens Sohn Mark gekauft hatte, der in unserer Straße wohnte. Ich fragte, ob ich den Zug sehen dürfe. Die Lok war kurz und klobig, nicht so lang und schnittig wie die teure Ausführung, die ich bekommen hatte. Mir fiel jedoch ein Öltankwagen auf, der zu der günstigen Eisenbahn gehörte. Meine Bahn hatte keinen solchen Wagen, und in mir regte sich der Neid. Ich machte so ein Theater, dass Mutter schließlich meinem Betteln nachgab und mir den Öltankwagen reichte. „Wenn du ihn nötiger hast als Mark, dann nimm du ihn“, sagte sie. Ich stellte ihn zu meiner Eisenbahn und war zufrieden mit dem Ergebnis.

Mutter und ich brachten Mark Hansen die übrigen Wagen und die Lok. Der Junge war ein, zwei Jahre älter als ich. Er hätte solch ein Geschenk nie erwartet und war sprachlos vor Freude. Er zog seine Bahn auf, da sie ja nicht elektrisch war wie meine, und war überglücklich, als die Lok mit zwei Waggons und einem Schlusswagen die Schienen entlangfuhr.

Mutter war so klug, zu fragen: „Wie gefällt dir denn Marks Eisenbahn, Tommy?“

Ich hatte heftige Schuldgefühle und mir wurde sehr deutlich, wie selbstsüchtig ich war. Ich sagte zu Mutter: „Warte einen Augenblick. Ich komme gleich wieder.“

So schnell ich konnte, rannte ich nach Hause, nahm den Öltankwagen und einen weiteren Wagen von meiner Eisenbahn und rannte zurück zum Haus der Hansens. Freudestrahlend erklärte ich Mark: „Wir haben zwei Wagen vergessen, die noch zu deinem Zug gehören!“ Mark koppelte die beiden zusätzlichen Wagen an seine Eisenbahn an. Als ich zusah, wie die Lok sich die Schienen entlangkämpfte, verspürte ich eine übergroße Freude, die sich kaum beschreiben lässt und die ich nie vergessen werde. Der Geist der Weihnacht war mir mitten ins Herz gedrungen.

Die Weihnachtskaninchen

Dieses Erlebnis machte mir eine schwere Entscheidung ein wenig leichter, die ich gerade mal ein Jahr darauf zu treffen hatte: Die Weihnachtszeit war wieder einmal da. Wir machten gerade einen riesigen Truthahn für die Bratröhre bereit und freuten uns auf das herzhafte Festmahl, das uns erwartete. Da stellte mir ein Freund aus der Nachbarschaft eine erstaunliche Frage: „Wie schmeckt Truthahn eigentlich?“

Ich antwortete: „So ähnlich wie Hähnchen.“

Er fragte weiter: „Wie schmeckt denn Hähnchen?“

In dem Moment begriff ich, dass mein Freund wohl noch nie Hähnchen oder Truthahn gegessen hatte. Ich erkundigte mich bei ihm, was seine Familie an Weihnachten essen würde. Zuerst kam gar keine Antwort, dann schaute er nur zu Boden und sagte: „Ich weiß nicht. Wir haben nichts da.“

Ich überlegte, was sich dagegen machen ließe. Nichts war zu machen. Ich hatte keine Truthähne, keine Hühner und kein Geld. Doch dann fiel mir ein, dass ich ja zwei Kaninchen hatte. Sofort brachte ich sie meinem Freund. Ich gab ihm die Kiste mit den Worten: „Hier, nimm die beiden Kaninchen. Sie schmecken gut – so ähnlich wie Hähnchen.“

Da nahm er die Kiste, kletterte über den Zaun und ging nach Hause – das Weihnachtsessen war nun gesichert. Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich die Tür zum leeren Kaninchenstall schloss. Aber ich war nicht traurig. Wärme und unaussprechliche Freude erfüllten mich. Dieses Weihnachtsfest habe ich niemals vergessen. („Christmas Gifts, Christmas Blessings“, Liahona, Dezember 1995.)