Ich bedanke mich bei Ihnen [den Würdenträgern] und besonders bei Ihnen, den Kadetten, dass Sie mich eingeladen haben, heute bei Ihnen zu sein. Obwohl ich beruflich als Lehrer tätig war, war es mir bis heute nie vergönnt gewesen, diese Akademie zu besuchen. Sie ist atemberaubend schön und so, wie mir jeder erzählt hat. Sie stehen für eine große Tradition in der Geschichte der USA, und ich fühle mich sehr geehrt, dass ich heute auf diesem Hochschulgelände sein, einige von Ihnen persönlich kennenlernen und Ihnen und der Geschichte dieser Nation, an der Sie Anteil haben, meine Achtung bekunden darf. Ich möchte Ihnen auch persönlich dafür danken, dass Sie zu so früher Stunde hierhergekommen sind!

Im Rahmen dieser Reihe von Morgenandachten mit Frühstück wurde ich zusammen mit Führungspersönlichkeiten anderer Glaubensgemeinschaften gebeten, über eines der Ideale zu sprechen, die die Grundlage für das moralische Selbstverständnis und den Auftrag der Akademie bilden. Andere Referenten haben bereits über Loyalität, Pflichtbewusstsein, Respekt, selbstloses Dienen, Ehre und Mut gesprochen oder werden dies noch tun. Ich freue mich, kurz über Integrität sprechen zu können – ein Ideal, das, wie das Wort ja schon aussagt, alle anderen mit einschließt.

Aus den Mathematikstunden in Ihrer Jugend werden Sie noch wissen, dass ein Integer eine ganze Zahl ist, eine Zahl ohne Bruchteile. In diesem Sinne möchte ich von ganzen Soldaten sprechen, von Soldaten, die charakterlich weder gebrochen noch zersplittert sind, Soldaten, die – wie ein Prophet aus den heiligen Schriften sagte – sich selbst, ihrem Land und ihrem Gott „allzeit und in allem und überall, wo auch immer [sie sich befinden mögen], selbst bis in den Tod“ treu sind (Mosia 18:9). Meine eigene, simple Definition für Integrität lautet: Das Richtige zur richtigen Zeit und aus dem richtigen Beweggrund tun, koste es, was es wolle.

Diesbezüglich halte ich es mit Thomas Jefferson, der einmal gesagt hat: „Ich bin mir sicher, wenn wir den Wert eines Mannes [oder einer Frau] im privaten oder öffentlichen Leben beurteilen wollen, ist absolute Integrität die Eigenschaft, auf die es zuallererst ankommt – Bildungsstand und Talente kommen erst an zweiter Stelle.“1

Und kein geringerer Absolvent dieser Akademie als Dwight D. Eisenhower hat gesagt: „Die wichtigste Eigenschaft eines Führers ist zweifellos Integrität. Ohne sie ist kein wirklicher Erfolg möglich, sei es in einem Gleisarbeitertrupp, auf einem Footballfeld, in einer Armee oder einem Büro.“2

Dieser Hinweis auf Football erlaubt uns, das Ganze hier ein wenig aufzulockern. Von Frank Szymanski, der in den Vierzigerjahren Mittelfeldspieler in der Footballmannschaft der Universität von Notre Dame war, wird erzählt, dass er einmal in einem Zivilprozess in South Bend als Zeuge aussagen musste und dafür in den Zeugenstand gerufen wurde.

„,Spielen Sie in diesem Jahr in der Footballmannschaft von Notre Dame?‘, fragte der Richter.

,Ja, euer Ehren.‘

,Welche Position?‘

,Ich bin Mittelfeldspieler, euer Ehren.‘

,Sind Sie ein guter Mittelfeldspieler?‘

Szymanski wand sich auf seinem Platz, sagte aber entschieden: ,Ich bin der beste Mittelfeldspieler, den Notre Dame jemals hatte.‘

Sein Trainer Frank Leahy, der im Gerichtssaal saß, war verblüfft. Szymanski war immer bescheiden und zurückhaltend gewesen. Als die Gerichtsverhandlung vorbei war, nahm er Szymanski daher beiseite und fragte ihn, warum er eine so kühne Aussage gemacht habe. Szymanski errötete.

,Es war mir äußerst unangenehm‘, meinte er, ,aber schließlich stand ich unter Eid.‘“3

Ich weiß, dass die Armee im Laufe der Jahre ein paar Footballspiele gegen Notre Dame ausgetragen hat. Einige von Ihnen wollen vielleicht nicht glauben, dass ein Spieler von Notre Dame tatsächlich in der Lage war, Integrität an den Tag zu legen. Aber so wird es zumindest erzählt. Nun, die Marineakademie – das ist wieder eine andere Geschichte, aber ich höre jetzt lieber auf, bevor ich noch etwas Falsches sage.

In den wenigen Minuten, die wir hier zusammen haben, möchte ich gern auf meine eigene, simple Definition von Integrität aufbauen, die ich bereits genannt habe, und drei weitere Aspekte des Wortes betrachten. Einer ist „sich genau an einen … Wertekodex halten: Unbestechlichkeit“. Der zweite ist „ein einwandfreier Zustand: Zuverlässigkeit“ und der dritte „Ganzheitlichkeit als Eigenschaft oder Zustand“.4 Ich möchte gern jede dieser Definitionen dahingehend untersuchen, wie sie Ihren Erfolg als Kadetten, Soldaten und Menschen mit moralischen Werten betreffen.

Sich an einen Kodex halten

Erstens, sich an einen Kodex halten. In West Point haben Sie einen Kodex, der schlicht besagt: „Ein Kadett lügt, betrügt und stiehlt nicht und duldet niemanden, der das tut.“ Von allen, die hierherkommen, wird erwartet, dass sie sich an diesen Kodex halten. Es ist also ein Fremdkodex – in anderen Worten, er wird einem von der Einrichtung auferlegt, und diejenigen, die dagegen verstoßen, werden seitens dieser Einrichtung streng diszipliniert.

Aber ehrenvolle Männer und Frauen haben einen eigenen Verhaltenskodex, der ihre Entscheidungen beeinflusst, was ihnen sehr viel mehr abverlangt, als alles, was diese Akademie ihnen auferlegen kann. Wenn dieser eigene Kodex auf den richtigen Grundsätzen beruht, macht ein Soldat in jeder Situation das Richtige, auch wenn es große persönliche Opfer seinerseits erfordert.

Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die ich als Kind gehört habe, die für Integrität im Kleinen plädiert, damit sie im Großen selbstverständlich ist.

In einem Märchen rief der Kaiser eines Tages alle jungen Leute in seinem Reich zusammen. Er sagte: „Für mich ist die Zeit gekommen, abzutreten und den nächsten Kaiser auszuwählen. Einer von euch wird es sein. Um meine Wahl zu treffen, gebe ich heute jedem von euch ein Samenkorn. Kommt in einem Jahr mit dem, was ihr daraus gezüchtet habt, wieder hierher.“

Ein kleiner Junge namens Ling war unter den vielen Kindern. Er ging nach Hause und erzählte seiner Mutter aufgeregt die ganze Geschichte. Sie half ihm, einen Topf und ein wenig Pflanzerde zu besorgen. Er pflanzte das Samenkorn, das er erhalten hatte. Jeden Tag goss er es und schaute nach, ob es gewachsen war.

Nach ungefähr drei Wochen fingen einige der anderen jungen Leute an, von ihrer Saat und den Pflanzen zu sprechen, die allmählich wuchsen. Ling prüfte seinen Topf weiterhin, aber nie wuchs etwas darin.

Schließlich sprachen alle anderen über ihre Pflanzen. Ling war offensichtlich der einzige Versager. Jeder sprach von kleinen Bäumen und hohen Pflanzen, aber er hatte nichts.

Schließlich war ein Jahr vergangen und alle jungen Leute brachten ihre Pflanzen zum Kaiser, damit er sie begutachten konnte. Ling sagte seiner Mutter, dass er keinen leeren Topf mitnehmen würde. Aber sie ermutigte ihn, hinzugehen, zu berichten, wie sehr er sich bemüht hatte, und ehrlich zu sagen, was geschehen war. Ling war ganz elend zumute, aber er wusste, dass seine Mutter Recht hatte. Er brachte seinen leeren Topf zum Palast.

Er stellte ihn zwischen schönen Pflanzen und Blumen jeder Art und Größe auf den Boden. Als der Kaiser kam, versuchte Ling, sich hinten im Raum zu verstecken. Aber der Kaiser erblickte Ling und seinen leeren Topf. Er befahl seinen Wachen, ihn nach vorn zu bringen. Dann sagte der Herrscher: „Seht, euer neuer Kaiser!“

Einer jetzt sehr stillen Zuhörerschaft erklärte der ältere Mann: „Heute vor einem Jahr habe ich jedem hier ein Samenkorn gegeben. Ich habe euch gesagt, dass ihr es nehmen, einpflanzen, gießen und heute zu mir zurückbringen sollt. Ich habe aber allen von euch gekochte Samenkörner gegeben, die nicht wachsen würden. Doch ihr alle, bis auf einen, habt mir prachtvolle Bäume, Pflanzen und Blumen gebracht. Als ihr bemerktet, dass das Samenkorn, das ich euch gab, nicht wuchs, habt ihr es offenbar durch ein anderes ersetzt. Anscheinend war nur ein junger Mann unter euch integer genug, sich an meine Regeln zu halten. Ihm kann ich vertrauen, dass er meinen Platz einnimmt und mein Volk führt.“

Ich nehme an, ich war erst sechs oder sieben, als meine Mutter mir die Geschichte zum ersten Mal vorlas. Verzeihen Sie mir dieses einfache Beispiel, aber Tatsache ist, dass es mir seit über sechzig Jahren in Erinnerung geblieben ist und mich beeinflusst. Der Kodex in dieser Geschichte und der Kodex hier an der Akademie sind im Wesentlichen identisch. In einem Wort: Er macht einen Mann oder eine Frau unbestechlich. Und die Welt braucht heute unbestechliche Männer und Frauen so dringend wie eh und je in der Geschichte. Danke, dass Sie dies an der Militärakademie der Vereinigten Staaten glauben.

John J. Baxter hat über Sie gesagt:

„Jede Organisation, jede Gesellschaft, jede Familie ist auf Ehrlichkeit und Moral gebaut. Jede dieser Gruppen hat ein Fundament, das die Grundlage für all ihre Tätigkeiten und ihr Handeln bildet. … Integrität bringt einen starken Charakter hervor und … schafft die Voraussetzungen für Erfolg. Nur durch [sie] kann eine militärische Einheit ihre Aufgabe erfüllen. …

Integrität hält das Militär im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Integrität ist das, worauf ein Soldat baut, wenn [alle Stricke reißen]. Daran hält er sich fest, wenn man ihn von höherer Stelle zur Verantwortung zieht. … Dank Integrität kann er sich seinen Fehlern stellen und die Konsequenzen akzeptieren. … Die Organisation kann [dann] Probleme feststellen und Lösungen entwickeln, andere können sehen, wie wichtig Maßstäbe und Regeln sind, und der Einzelne hält seinen Namen, die Organisation und das Land in Ehren.“5

In jungen Jahren sagt die Jungfrau von Orléans in Mawell Andersons Theaterstück: „Wir haben nur ein Leben, und wir leben es so, wie es uns gut erscheint. Aber aufzugeben, was man ist, und ohne Glauben zu leben, ist ein schrecklicheres Schicksal als der Tod.“6 Auch ich glaube: Ein schrecklicheres Schicksal als der Tod ist es, in Bezug auf eine Sache, die man als heiliger erachtet als das Leben selbst, keine Integrität an den Tag zu legen. Somit bedeutet Integrität, dass man sich an einen Kodex hält und sich durch nichts und niemanden davon abbringen lässt.

Ein einwandfreier Zustand

Ich möchte jetzt auf die zweite Definition zu sprechen kommen: die Zuverlässigkeit, die sich aus einem einwandfreien Zustand ergibt.

Herzchirurgen sprechen im Zusammenhang mit dem Herzen von struktureller Integrität. Wenn das Herz in einwandfreiem Zustand ist, schlägt es gleichmäßig und zuverlässig Jahr um Jahr. Die Mitralklappe allein öffnet und schließt sich am Tag etwa 100.000-mal und 36 Millionen mal im Jahr. Wenn das Herz jedoch durch irgendeinen anatomischen Fehler beeinträchtigt ist, kann es versagen. Und wenn das Herz versagt, sterben wir. Ziel jeder Herzoperation ist es, die strukturelle Integrität des Herzens wiederherzustellen.7

In ähnlicher Weise sprechen Ingenieure von der strukturellen Integrität beim Flugzeug. Selbst kleine Schwachstellen, verursacht durch Fehler in der Konstruktion, Metallermüdung, Wetterbedingungen oder eine beliebige Anzahl anderer Bedingungen, können dazu führen, dass eine Tragfläche versagt, der Rumpf aufreißt oder das Heck abbricht – und das mit katastrophalen Folgen.

Der menschliche Körper ist von Natur aus fehlerhaft. Er ist strukturellem Versagen ausgesetzt. Schwieriger, als mit körperlichen Mängeln fertig zu werden, ist es aber, die geistigen Schwachstellen zu behandeln, die dazu führen, dass die Integrität der Seele versagt.

Innere Konflikte, die aus einer Unstimmigkeit zwischen dem, was wir als richtig ansehen, und dem, was wir tatsächlich tun, resultieren, können uns sogar noch mehr schwächen, als wenn die körperliche Gesundheit versagt. Der griechische Dramatiker Sophokles gewährte vor alters etwas Einblick in dieses Problem und seine Lösung.

In Sophokles‘ Drama Antigone verfügt Kreon, der Herrscher von Theben, dass kein Bürger, der im Kampf gegen seine Stadt stirbt, beerdigt werden darf. Der Leichnam musste liegenbleiben, wo er war. Leider wird Kreons Neffe Polyneikes zum Feind und wird in dem Konflikt getötet. Antigone, Polyneikes Schwester, widersetzt sich den Anweisungen ihres Onkels und begräbt ihn, wie die Liebe zu ihm und zu ihrer Kultur es ihr gebieten. Kreon ist außer sich vor Zorn und lässt Antigone in eine Höhle sperren. Später bereut er seine Entscheidung und lässt die Höhle wieder öffnen, muss aber feststellen, dass Antigone sich erhängt hat. Die Tragödie wird noch schlimmer, als Kreons Sohn Haimon, der mit Antigone verlobt ist, versucht, seinen Vater aus Rache zu töten und stattdessen selbst das Leben lässt. Verzweifelt angesichts des Todes ihres Sohnes begeht Kreons Frau Eurydike Selbstmord. (Die alten Griechen verstanden es wirklich, ein Chaos anzurichten, nicht wahr?)

Hier kommt die Frage der Integrität ins Spiel. Zu einem unglaublich hohen Preis hielt Kreon an seinem Erlass fest – ungeachtet der Zuneigung, die er für seinen Neffen empfand. Antigone blieb in ihrem offenen Ungehorsam gegenüber Kreon ihrem Herzen und den traditionellen Werten ihrer Kultur treu, und dies ebenfalls zu einem hohen Preis. Wer besaß hier die größere Integrität? Und was tun wir, wenn die Integrität des einen im Widerspruch zu der Integrität eines anderen Menschen steht?

Was Sophokles angeht, muss der Punkt an Antigone gehen. Das hat etwas mit der Tatsache zu tun, dass Kreon sich zwar an einen Kodex hält, doch zeigt, dass eben dieser Kodex unausgegoren, kurzsichtig und letztendlich selbstsüchtig ist. Im Grunde schenkt Kreon in dem Drama den Folgen seiner Taten wenig Beachtung. Antigone dagegen verbringt sehr viel Zeit damit, über die moralische Seite und die Folgen ihres Handelns nachzudenken und darüber, was alles zu den bedeutenderen Aspekten ihres Kodexes gehört. All ihre Überlegungen bilden den Kern dieses Dramas und sind der Grund dafür, dass ihr Name als Titel für die Tragödie verwendet wurde. Als Antigone handelte, gründete sie ihr Verhalten auf Werte, die sie gründlich untersucht und die sie im Herzen als Werte erkannt hatte, für die sie leben oder – wenn nötig – sterben musste.

Ich hoffe, Sie nutzen Ihre Zeit hier in West Point dazu, eingehend und gründlich darüber nachzudenken, was Sie am meisten schätzen. Was hört sich für Sie tief im Herzen wahr, rein und richtig an? Wenn Sie es herausgefunden haben, dann bauen Sie Ihr Leben darauf auf und seien Sie bereit, nötigenfalls dafür zu sterben.

Wenn Sie Ihre Seele nach diesen Wahrheiten durchforsten, werden Sie es nützlich finden, Rat von denjenigen einzuholen, die diesen Weg vor Ihnen beschritten haben – vertrauenswürdige Freunde, geachtete Führer, Menschen, die Sie bewundern, die Verfasser guter Bücher, darunter auch die heilige Schrift. Vor allem aber empfehle ich Ihnen, im Stillen zu beten, Gott zu verehren und dort in sich zu gehen, wo das Flüstern der Stimme Gottes nicht unter den Misstönen unserer Kultur untergeht. Gehen Sie in Ihr Gotteshaus oder in den nahegelegenen Wald oder irgendwohin, wo Sie der Hektik Ihres Lebens entfliehen können. Und spüren Sie den Geist der Liebe, die der Himmel Ihnen entgegenbringt. „Lasst ab“ (Psalm 46:11), heißt es in den heiligen Schriften, und spürt erneut, warum der Name Gottes, der mit der größten Ehrfurcht betrachtet wird, „Vater“ lautet.

Gestern hatten wir in diesem Land den nationalen Gebetstag. Und dieser Morgen ist einer in einer ganzen Reihe von Morgenandachten. Als jemand, der alt genug ist, um Ihr Großvater zu sein, hoffe ich von ganzem Herzen, dass Sie das Gebet zu Gott miteinbeziehen, wenn Sie Ihren Charakter formen, und dass Sie erkennen, dass ein Mann oder eine Frau dann am größten sind, wenn sie sich im demütigen, sehnlichen Gebet niederknien.

Sie gehören nicht alle dem gleichen Glauben an, aber welche Glaubensansichten Sie auch haben mögen, ich bin mir sicher, dass ehrfürchtiges Beten Teil Ihrer Tradition ist. Das ist bei allen Religionen so. Als Christ singe ich mit meiner Familie in unserer Gemeinde das Lied:

O du, durch den wir Gott uns nahn,
der unser Herz versteht,
du gingst vor uns die gleiche Bahn;
Herr, leit uns im Gebet!8

Ganzheitlichkeit

Abschließend meine dritte Definition von Integrität: die Eigenschaft, vollständig oder ungeteilt zu sein.

Wir haben bereits über strukturelle Integrität im Hinblick auf die Herztätigkeit und die Sicherheit von Flugzeugen gesprochen. Politische und militärische Führer sprechen auch von der territorialen Integrität und bemühen sich, diese Integrität intakt zu halten. Das beste Beispiel dafür in unserer eigenen Geschichte ist der Sezessionskrieg.

Was war das doch für ein entsetzlicher, blutiger Krieg – wir müssen seine Schrecken hier nicht noch einmal erzählen. Aber wir sind alle froh darüber, dass die territoriale Integrität der Vereinigten Staaten bewahrt worden ist. Und zumindest ein Grund für diesen Sieg war die persönliche Integrität des Oberbefehlshabers Abraham Lincoln.

In einem Buch mit dem Titel „The Integrity Advantage“ (dank Integrität im Vorteil) findet man folgende Aussage über Lincoln:

„Zum Erbe unserer amerikanischen Nation gehört auch eine tiefe Achtung vor Integrität. … In einer Ansprache, die auch charakteristisch für seine anderen Reden war, vertrat Abraham Lincoln einen Standpunkt, der ihn im Wahlkampf um einen Sitz im Senat letztlich eine Niederlage gegen Stephen A. Douglas einbrachte. [Er sagte kühn,] ,das Land könne … als geteiltes Haus – ‚zur Hälfte versklavt, zur Hälfte frei‘ – nicht überleben. Er war sich der [möglichen] Folgen seiner Worte [zu einem so emotionalen Thema] bewusst, [aber er sagte]: ,Ich stecke lieber mit [dieser Aussage in meiner] Rede eine Niederlage ein …, als ohne sie zu siegen.‘ [Und die Niederlage kam.]

[Doch] die Integrität, die ihn den Senatssitz gekostet hatte, brachte ihm [später] die [US-]Präsidentschaft ein. Sie … gab dem Land auch die Zuversicht, sich [in seinem schonungslosesten Krieg] zu behaupten und [letztendlich befreite sie auch die Sklaven, von denen er sprach]. Lincolns Integrität hat [in hohem Maße] die Werte unserer jungen Nation geprägt und [beschreibt noch heute wie auch damals in dieser entscheidenden Epoche], was es bedeutet, ein Amerikaner zu sein.“9

Dieses gleiche Bestreben, die territoriale Integrität unseres Landes zu bewahren, ist grundlegend für Ihre Bemühungen als Kadetten und zukünftige Offiziere der Armee der Vereinigten Staaten. Ihr Erfolg wird weitgehend von Ihrer Integrität als Mensch abhängen.

Integrität. Werte. Verhaltenskodexe. Frieden. Krieg. Freiheit. Leben. Ich muss sagen, dass sind sehr ernste Themen, mit denen Sie sich hier an dieser Akademie schon mit sehr jungen Jahren auseinandersetzen. Das, was Sie in der Welt, die auf Sie wartet und Sie braucht, leisten können und werden, erfüllt mich mit Bewunderung.

Ich möchte diesen gemeinsamen Morgen mit einem Rat aus dem schwülen Dschungel Vietnams schließen. Sie stammt aus einer Zeit, als ich und andere aus meiner Generation so alt waren wie Sie heute. Ich habe sie von einem meiner engsten Freunde, der jetzt, nach einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn als Rechtsanwalt, als Generalautorität der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage an meiner Seite steht.

Er hat mir die Geschichte einmal erzählt, und jetzt erzähle ich sie Ihnen weiter.

„Im November 1966 war ich schon fast zehn Monate im Kampfgebiet von Vietnam. Ich war Zugführer bei der Infanterie und hatte viele der Gefahren, der Prüfungen und die allgegenwärtige Angst im Kampf erlebt. Unser Bataillon war nach mehreren Wochen im Dschungel und in den Reisfeldern gerade ins Basislager zurückgekehrt, um sich ein wenig auszuruhen … Es war Samstagabend. Wir hatten seit langem endlich wieder geduscht und saßen auf unseren Betten, reinigten unsere Gewehre und hörten über das Rundfunknetz der Streitkräfte Musik. Plötzlich knisterte eine dringende Nachricht über das Funknetz unseres Bataillons. Ein anderes Bataillon in unserer Brigade, das noch im Dschungel war, wurde von einer zahlenmäßig weit überlegenen feindlichen Streitmacht überrannt. Wir wurden gebraucht. Wir mussten sofort zu Hilfe eilen.

Es ist schwer, hinreichend die Beklommenheit zu beschreiben, die in diesem Augenblick mein Herz erfasste …

Wie gern hätte ich [mehr] Zeit gehabt. [Zeit auszuruhen. Zeit,] mich vorzubereiten! Zeit, über inspirierende Schriftstellen nachzudenken. Zeit, zu beten … Zeit, ,mich zu gürten‘ [um es mit Worten aus der heiligen Schrift auszudrücken]. Doch es blieb keine Zeit. Ich konnte nur meinen Helm und mein Gewehr nehmen, meinen Männern ein paar knappe Befehle geben und ausrücken. Was ich aber tun konnte, war still im Herzen beten. Und als ich das tat, erging an meinen Sinn – buchstäblich – eine ,sanfte, leise Stimme‘. Die Stimme sagte die Worte einer Schriftstelle auf, die ich … als Missionar auswendig gelernt hatte. Worte, die aus den ganzen heiligen Schriften zu meinen liebsten wurden: ,Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit; such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade.‘ (Sprichwörter 3:5,6.) Als mir diese Worte in den Sinn kamen, zog mir Frieden ins Herz ein. Die unguten Vorahnungen schwanden.

… Wir blieben nach diesem nächtlichen SOS-Ruf im Rahmen dieses Einsatzes [viele Wochen lang] im Dschungel. Schließlich war der letzte Tag des Einsatzes gekommen. Ich fuhr in einem bewaffneten Mannschaftstransporter im Dschungel durch ein wenig bewaldetes Gebiet. Plötzlich [hob] eine gewaltige Explosion unter dem Fahrzeug den Wagen [buchstäblich] vom Boden. … Feindliche Soldaten in der Nähe hatten eine riesige Landmine gezündet. Der Motor wurde weggesprengt. Die Ketten und Räder wurden weggeblasen. Jeder im Fahrzeug war verletzt, ich auch. Aber keiner starb.

Und in diesem … Augenblick kamen mir die gleiche sanfte, leise Stimme und die gleiche Schriftstelle in den Sinn. ,Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit; such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade.‘“10

Sei es im Leben oder Sterben – ich erkläre als Ausdruck meiner Integrität, dass Gott lebt und uns liebt, dass er immer bei uns sein wird und dass er uns individuell alle Pfade ebnen wird, wenn wir ihm nur vertrauen.

In diesem Sinne sage ich, was einer sagte, dessen Pfad ganz gewiss von Gott geebnet wurde, nämlich Jesus von Nazaret:

„Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“ (Johannes 16:33.)

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ (Johannes 14:27.)

An einem Tag des Gebets bete ich darum, dass Gott Sie immer segnen möge, im Namen dessen, der Integrität verkörpert hat wie kein anderer und der uns allen Frieden verkündet und Mut zugesprochen hat, ja, im Namen Jesu Christi. Amen.


Anmerkungen

  • 1. Papers of Thomas Jefferson, Hg. Julian Parks Boyd und Lyman Henry Butterfield (1950), Band 24, Seite 82
  • 2. Dwight D. Eisenhower, zitiert unter successmethods.org/leadership-quotes.html
  • 3. David Casstevens, „Nothing but the Truth!“ aus: Chicken Soup for the Soul, Hg. Jack Canfield und Mark Victor Hansen, 1993, Seite 72
  • 4. Merriam-Webster’s Collegiate Dictionary, 11. Auflage, 2003, „Integrity“
  • 5. John J. Baxter, zitiert unter churchboy316.com/story.htm
  • 6. Maxwell Anderson, Joan of Lorraine, 1974, Seite 80
  • 7. Siehe Russell M. Nelson, „Integrity of Heart“, Ensign, August 1995, Seite 19
  • 8. „Der Seele Wunsch ist das Gebet“, Gesangbuch, Nr. 94
  • 9. Mitt Romney, aus: Adrian Gostick and Dana Telford, The Integrity Advantage, 2003, Seite XIIf.
  • 10. Lance B. Wickman, „Confidence Tests“, Andacht an der BYU Idaho, 25. September 2007, Seite 9f., byub.org/talks/Talk.aspx?id=2888