2010–2019
Eine Herzenshaltung wie die der Witwe
Herbst-Generalkonferenz 2017


Eine Herzenshaltung wie die der Witwe

Tun wir, was erforderlich ist, um eine Herzenshaltung wie die der Witwe zu haben. Dabei dürfen wir uns der Segnungen erfreuen, die unsere aus dieser Haltung entstehenden Bedürfnisse stillen.

Es ist mir ein großer Segen, dass ich als Erwachsener den Großteils meines Lebens damit zubringen durfte, unter den Heiligen im Pazifikraum zu dienen. Der Glaube, die Liebe und die erstaunlichen Opfer dieser treuen Heiligen erfüllen mich mit Inspiration, Dankbarkeit und Freude. Ihre Geschichten sind ganz ähnlich wie Ihre.

Mir kam der Gedanke, dass diese Heiligen viel mit der Witwe gemein haben, die der Erretter beobachtete, als er einmal dasaß und zusah, „wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel.

Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein.

Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern.

Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“1

Obwohl die zwei kleinen Münzen nur ein spärlicher Beitrag waren, war das, was sie gab, für den Erretter von höchstem Wert, weil sie alles gegeben hatte. In diesem Moment erkannte der Erretter ganz und gar, was die Witwe als Mensch ausmachte, denn in ihrer Gabe zeigte sich ihre Herzenshaltung. Ihre Liebe und ihr Glaube waren so erlesen und tief, dass sie beim Geben wusste, dass sie alles bekommen würde, was sie brauchte.

Genau diese Herzenshaltung habe ich auch bei den Heiligen im Pazifikraum erlebt. In einem kleinen Dorf auf einer dieser Inseln nahmen ein älterer Herr und seine Frau die Aufforderung der Missionare an, den Herrn aufrichtig zu fragen, ob die Lektionen, die sie sich anhörten, wahr sind. Dabei bedachten sie auch die Folgen der Verpflichtungen, die sie einzugehen hätten, wenn die Antwort, die sie erhalten würden, dazu führen würde, dass sie das wiederhergestellte Evangelium annahmen. Sie fasteten und beteten, um zu erfahren, ob die Kirche und das Buch Mormon wahr sind. Die Antwort auf ihr Gebet erhielten sie in Form einer beruhigenden, aber doch eindringlichen Bestätigung: „Ja! Es ist wahr!“

Weil sie dieses Zeugnis empfangen hatten, beschlossen sie, sich taufen zu lassen. Diese Entscheidung hatte durchaus auch negative Folgen für sie. Für ihre Entscheidung, das Evangelium anzunehmen und sich taufen zu lassen, zahlten sie einen hohen Preis. Sie verloren ihre Arbeit, sie gaben ihre gesellschaftliche Stellung auf, wichtige Freundschaften zerbrachen und ihre Angehörigen entzogen ihnen ihre Unterstützung, Liebe und Achtung. Sie gingen jetzt jeden Sonntag zur Kirche und wechselten dabei mit Freunden und Nachbarn, die in die Gegenrichtung gingen, unbehagliche Blicke.

Inmitten dieser schwierigen Umstände wurde dieser gute Bruder gefragt, was er über die Entscheidung dachte, sich der Kirche anzuschließen. Seine schlichte und unerschrockene Antwort lautete: „Es ist doch wahr, oder? Unsere Entscheidung war eindeutig.“

Diese beiden neubekehrten Heiligen hatten wahrhaftig eine Herzenshaltung wie die der Witwe. Genau wie die Witwe gaben sie alles, was sie geben konnten, in dem Wissen, dass sie von dem Wenigen gaben, was sie für sich selbst hatten. Der beständige Glaube in ihrem Herzen in diesen schweren Zeiten hatte zur Folge, dass ihre Lasten leichter gemacht wurden. Sie waren von hilfsbereiten Mitgliedern der Kirche umgeben, die sie unterstützen und für sie da waren, und durch die Berufungen, die sie erfüllten, wurden sie auch gestärkt.

Nachdem sie alles gegeben hatten, was sie hatten, erlebten sie ihren schönsten Tag, als sie sich im Tempel als Familie auf ewig aneinander siegeln ließen. Ähnlich wie die Bekehrten unter der Führung Almas „stärkte [der Herr] sie, sodass sie ihre Lasten mühelos tragen konnten, und sie unterwarfen sich frohgemut und mit Geduld in allem dem Willen des Herrn“2. Am Beispiel dieses wunderbaren Ehepaars wird die Herzenshaltung deutlich, die auch die Witwe hatte.

Ich möchte noch über eine weitere Begebenheit sprechen, die die Herzenshaltung, die auch die Witwe hatte, gut veranschaulicht. In Samoa bemühen wir uns beim jeweiligen Dorfrat darum, dass die Missionare die Genehmigung erhalten, dort das Evangelium zu verkünden. Vor einigen Jahren unterhielt ich mich mit dem Häuptling eines Dorfes, wo die Missionare viele, viele Jahre lang nicht das Evangelium verkünden durften. Wir hatten dieses Gespräch kurz nachdem der höchste Häuptling das Dorf für die Kirche geöffnet und unseren Missionaren gestattet hatte, denjenigen, die sich dafür interessieren, vom Evangelium und seinen Lehren zu erzählen.

Diese wunderbare neue Entwicklung nach so vielen Jahren machte mich neugierig. Ich wollte erfahren, was den höchsten Häuptling zu dieser Entscheidung bewogen hatte. Ich stellte ihm also diese Frage und er antwortete: „Ein Mensch kann eine Zeit lang im Dunkeln leben, aber es kommt die Zeit, da er sich danach sehnt, ins Licht zu kommen.“

Der höchste Häuptling bewies die Herzenshaltung, die auch die Witwe hatte, als er das Dorf öffnete – ein Herz, das sich erweichen lässt, wenn die Wärme und das Licht der Wahrheit offenbart werden. Dieser Führer war bereit, die Gepflogenheiten aus früheren Jahren aufzugeben, sich großer Gegenwehr zu stellen und standhaft zu bleiben, damit andere vielleicht gesegnet würden. Diesem Führer lag das Wohl und Glück seines Volkes am Herzen und nicht die Sorge um Tradition, Kultur und eigene Macht. Er ließ sich von solcherlei Bedenken nicht leiten und hielt sich stattdessen an etwas, was Präsident Thomas S. Monson erklärt hat: „Wenn wir dem Beispiel des Heilands nacheifern, können wir anderen ein Licht sein.“3

Abschließend möchte ich noch von einer weiteren Begebenheit unter den Heiligen im Pazifikraum erzählen, die mir äußerst viel bedeutet. Vor vielen Jahren war ich ein junger Ratgeber in der Bischofschaft einer neuen Gemeinde in Amerikanisch-Samoa. Wir hatten 99 Mitglieder – arme Bauern, Arbeiter in einer Konservenfabrik, Staatsangestellte und ihre Angehörigen. Als die Erste Präsidentschaft 1977 bekanntgab, dass in Samoa ein Tempel gebaut werden sollte, brachten wir alle unsere Freude und unseren Dank zum Ausdruck. Wenn man in Amerikanisch-Samoa lebte, musste man damals nach Hawaii oder Neuseeland reisen, um in den Tempel gehen zu können. Das war eine teure Reise, die sich viele glaubenstreue Mitglieder der Kirche nicht leisten konnten.

Die Mitglieder wurden zu dieser Zeit aufgefordert, für einen Baufonds zu spenden, um den Tempelbau zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund baten wir als Bischofschaft die Mitglieder der Gemeinde, gebeterfüllt darüber nachdenken, wie viel sie geben konnten. Es wurde ein Termin festgelegt, wann die Familien zusammenkommen sollten, um ihre Spenden abzugeben. Als wir als Bischofschaft die Spendenumschläge später unter Wahrung der gebotenen Diskretion öffneten, stimmten uns der Glaube und die Großzügigkeit der wunderbaren Mitglieder unserer Gemeinde demütig und wir waren gerührt.

Ich kannte jede der Familien und ihre Lebensumstände und verspürte tiefe und anhaltende Bewunderung sowie Respekt und Demut. Dies waren in jeder Hinsicht neuzeitliche kleine Münzen der Witwe, und die Familien gaben sie großzügig von dem wenigen, was sie hatten, voller Freude über den verheißenen Segen, dass ein Tempel des Herrn in Samoa gebaut würde. Diese Familien weihten dem Herrn alles, was sie nur konnten – in dem festen Glauben, dass ihnen die verheißene Segnung nicht verwehrt werden würde. Mit ihrer Gabe zeigten sie, dass sie eine Herzenshaltung wie die der Witwe hatten. Alle, die etwas gaben, taten dies bereitwillig und mit Freuden, weil sie dank ihrer Herzenshaltung, die der der Witwe glich, mit gläubigem Auge die großartigen krönenden Segnungen sehen konnten, die für sie und alle anderen Einwohner Samoas und Amerikanisch-Samoas bereitstanden – und das über Generationen hinweg. Ich weiß, dass ihre geweihten Opfergaben, ihre kleinen Münzen der Witwe, dem Herrn bekannt waren und von ihm angenommen wurden.

Wenn man eine Herzenshaltung wie die der Witwe hat, die ihre zwei kleinen Münzen gab, gibt man alles, indem man Opfer bringt, Mühsal, Verfolgung und Zurückweisung erträgt und vielerlei Arten von Lasten trägt. Wenn man eine Herzenshaltung wie die der Witwe hat, nimmt man das Licht der Wahrheit wahr und fühlt und erkennt es und gibt alles hin, um diese Wahrheit anzunehmen. Auch hilft man dann anderen, dieses Licht ebenfalls zu sehen und im gleichen Maße ewiges Glück und ewige Freude zu erfahren. Eine Herzenshaltung wie die der Witwe zeigt sich letztlich in der Bereitschaft, alles dafür hinzugeben, das Reich Gottes auf Erden aufzurichten.

Wir Heiligen in aller Welt müssen ebenfalls tun, was erforderlich ist, um eine Herzenshaltung wie die der Witwe zu haben. Dabei dürfen wir uns dann der Segnungen erfreuen, die unsere aus dieser Haltung entstehenden Bedürfnisse stillen. Ich bete und flehe darum, dass wir alle eine Herzenshaltung haben, mit der wir unsere Lasten tragen, erforderliche Opfer bringen und willens sind, zu handeln und zu geben. Ich verheiße, dass der Herr sich Ihrer Bedürfnisse annehmen wird. Wenn man eine Herzenshaltung wie die der Witwe hat, ist das Herz mit Dank dafür erfüllt, dass der Erretter „ein Mann voller Schmerzen [und] mit Krankheit vertraut“4 war, damit wir nicht aus dem „bitteren Kelch“5 trinken müssen. Trotz unserer Schwächen und Fehler – und auch ihretwegen – reicht er uns weiterhin seine Hände, die um unsertwillen durchbohrt wurden. Er richtet uns auf, wenn wir bereit sind, ins Licht seines Evangeliums zu kommen, ihn anzunehmen und ihm gestatten, sich unserer Bedürfnisse anzunehmen.

Ich gebe Zeugnis für die großartige Liebe, die wir als Jünger und Nachfolger des Herrn Jesus Christus weitergeben können. Ich schätze und unterstütze Präsident Thomas S. Monson, den Propheten Gottes auf der Erde. Das Buch Mormon ist ein weiterer Zeuge für Jesus Christus für die ganze Welt, und ich lege Ihnen allen ans Herz, es zu lesen und die Botschaft zu entdecken, die es für Sie bereithält. Alle, die der Aufforderung des Herrn folgen, zu ihm zu kommen, finden Frieden, Liebe und Licht. Jesus Christus ist unser großes Vorbild und unser Erlöser. Nur durch Jesus Christus und das Wunder seines unbegrenztes Sühnopfers können wir ewiges Leben erlangen. Dafür lege ich Zeugnis ab. In seinem heiligen Namen, ja, im Namen Jesu Christi. Amen.