2010–2019
Erfüllte Beschlüsse ersparen Bedauern
Oktober 2012


Erfüllte Beschlüsse ersparen Bedauern

Je mehr wir mit ganzem Herzen danach streben, glücklich und heilig zu werden, desto sicherer vermeiden wir einen Weg, den wir eines Tages bedauern.

Was man bedauert

Präsident Monson, vielen Dank für Ihre inspirierte und historische Ankündigung zum Bau neuer Tempel und zum Missionsdienst. Gewiss werden sich daraus große Segnungen für uns heute und viele künftige Generationen ergeben.

Meine lieben Brüder und Schwestern, liebe Freunde! Wir alle sind sterblich. Ich hoffe, davon ist jetzt niemand überrascht.

Niemand von uns ist allzu lange auf der Erde. Uns ist auf Erden eine Reihe kostbarer Jahre geschenkt, die – gemessen an der Ewigkeit – kaum einen flüchtigen Augenblick ausmachen.

Und dann gehen wir von dieser Welt. Unser Geist wird „zu dem Gott heimgeführt …, der [uns] das Leben gegeben hat“1. Wir legen unseren Körper ab und lassen die Dinge dieser Welt hinter uns, auf dem Weg in die nächste Daseinsebene.

Wenn wir jung sind, scheint es so, als würden wir ewig leben. Wir glauben, ein grenzenloser Vorrat an Sonnenaufgängen warte gleich hinter dem Horizont auf uns, und die Zukunft kommt uns vor wie eine lückenlose Fahrbahn, die sich endlos vor uns ausdehnt.

Doch je älter wir werden, desto mehr neigen wir dazu, Rückschau zu halten, und wundern uns, wie kurz diese Fahrbahn doch ist. Wir fragen uns, wie die Jahre nur so schnell verfliegen konnten. Und wir machen uns allmählich Gedanken, welche Entscheidungen wir getroffen haben und was wir getan haben. Dabei fallen uns auch viele schöne Augenblicke wieder ein, die uns die Seele erwärmen und das Herz erfreuen. Es fällt uns aber auch wieder ein, was wir zu bedauern haben – was wir am liebsten ändern würden, wenn wir zurück könnten.

Eine Krankenschwester, die unheilbar Kranke pflegt, hat einmal erzählt, sie habe ihren Patienten, die sich auf den Abschied aus dem Leben vorbereiteten, oft eine einfache Frage gestellt:

„Im Rückblick, was bedauern Sie in Ihrem Leben?“2

Wenn der letzte Tag auf Erden naht, werden die Gedanken oft klar, und man erkennt und überblickt vieles. Und so schütteten diese Leute ihr Herz aus, als man sie fragte, ob sie etwas zu bedauern hätten. Sie sprachen darüber, was sie ändern würden, wenn sie das Rad der Zeit doch nur zurückdrehen könnten.

Als ich über ihre Antworten nachdachte, fiel mir auf, dass die elementaren Grundsätze des Evangeliums Jesu Christi unser Leben zum Guten lenken können, wenn wir sie nur anwenden.

Es ist nichts Geheimnisvolles an den Grundsätzen des Evangeliums. Wir kennen sie aus den heiligen Schriften, wir haben sie in der Sonntagsschule besprochen, und wir haben sie viele Male von der Kanzel herab gehört. Diese von Gott gegebenen Grundsätze und Werte sind unmissverständlich und klar, sie sind schön, tiefschürfend und mächtig, und sie können uns mit Sicherheit helfen, in der Zukunft nichts bedauern zu müssen.

Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit den Menschen verbracht, die ich gern habe

Was die meisten sterbenden Patienten zum Ausdruck brachten, war der Wunsch, sie hätten mehr Zeit mit den Menschen verbracht, die sie gern hatten.

Vor allem die Männer stimmten dieses große Klagelied an. Sie „bedauerten zutiefst, [täglich] so viel Zeit in der Tretmühle des Arbeitslebens verbracht zu haben“.3 Viele hatten sich die wunderbaren Erinnerungen entgehen lassen, die sich einstellen, wenn man Zeit mit der Familie und Freunden verbringt. Ihnen fehlte jene tiefe Verbundenheit mit den Menschen, die ihnen am meisten bedeuteten.

Sind wir nicht alle oft arg beschäftigt? Ja, leider tragen wir unsere Betriebsamkeit geradezu wie einen Orden herum, als ob beschäftigt sein an sich eine Errungenschaft wäre oder ein Kennzeichen einer überlegenen Lebensführung.

Ist das so?

Ich muss da an unseren Herrn Jesus Christus denken, unser leuchtendes Vorbild, und sein kurzes Leben unter den Menschen in Galiläa und Jerusalem. Ich habe versucht, mir auszumalen, wie er zwischen Sitzungen und Verabredungen hin und her hetzt, um eine Reihe wichtiger Sachen gleichzeitig zu erledigen.

Das kann ich mir einfach nicht vorstellen.

Stattdessen sehe ich, wie der Sohn Gottes voller Mitgefühl und Anteilnahme jeden Tag mit Sinn und Zweck erfüllt. Wenn er mit den Menschen zu tun hatte, fühlte sich der Einzelne ernst genommen und geschätzt. Christus wusste um den ewigen Wert der Menschen, denen er begegnete. Er tat ihnen Gutes und diente ihnen. Er richtete sie auf und heilte sie. Er schenkte ihnen seine kostbare Zeit.

In der heutigen Zeit kann man leicht so tun, als verbringe man Zeit mit anderen. Ein Mausklick genügt, und wir sind mit tausenden „Freunden“ verbunden, ohne ihnen jemals gegenübertreten zu müssen. Moderne Technologien können etwas Wunderbares sein und sind sehr nützlich, wenn wir nicht nahe bei unseren Lieben sein können. Meine Frau und ich leben weit entfernt von lieben Familienmitgliedern und wissen, wie das ist. Doch ich glaube, wir bewegen uns als einzelner Mensch und als Gesellschaft nicht in die richtige Richtung, wenn wir mit der Familie und Freunden vor allem in Verbindung bleiben, indem wir lustige Bilder für sie hochladen, Banalitäten weiterleiten oder unsere Lieben zu Seiten im Internet verlinken. Bestimmt hat auch so etwas seinen Platz, aber wie viel Zeit wollen wir damit zubringen? Wenn es uns nicht gelingt, denjenigen, die uns wirklich etwas bedeuten, von uns selbst das Beste zu geben und ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, werden wir es eines Tages bedauern.

Fassen wir doch lieber den Beschluss, mit geliebten Menschen sinnvoll Zeit zu verbringen, etwas gemeinsam zu unternehmen und wertvolle Erinnerungen zu schaffen.

Ich wünschte, ich wäre dem gerecht geworden, was in mir steckt

Viele haben auch bedauert, dass es ihnen nicht gelungen war, der Mensch zu werden, der sie hätten sein können und sollen. Als sie auf ihr Leben zurückblickten, wurde ihnen klar, dass sie dem, was in ihnen steckte, nie gerecht geworden waren, dass allzu viele Lieder ungesungen geblieben waren.

Ich spreche hier nicht davon, dass man beruflich die Erfolgsleiter emporklettert. Diese Leiter, so überragend sie hier auf Erden erscheinen mag, bringt uns auf der großen, ewigen Reise, die vor uns liegt, kaum einen Schritt weiter.

Ich spreche vielmehr davon, dass man der Mensch wird, den Gott, unser Vater im Himmel, sich vorgestellt hat.

Wir betreten diese Welt, wie der Dichter sagt, mit einem „Glorienschein“, den wir aus vorirdischen Sphären nach uns ziehen.4

Unser Vater im Himmel sieht, was wirklich in uns steckt. Er weiß so manches über uns, was wir selbst nicht wissen. Er regt uns zeit unseres Lebens dazu an, das Maß unserer Erschaffung zu erfüllen, ein gutes Leben zu führen und in seine Gegenwart zurückzukehren.

Warum verwenden wir dann so viel von unserer Zeit und Energie auf Sachen, die derart flüchtig, derart belanglos, derart oberflächlich sind? Wollen wir nicht erkennen, was für ein Unfug es ist, dem Banalen und dem Vergänglichen nachzujagen?

Wäre es nicht klüger, uns „Schätze im Himmel [zu sammeln], wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen“5?

Wie schaffen wir das? Indem wir dem Beispiel des Erretters folgen, indem wir seine Lehren in unser tägliches Leben aufnehmen und indem wir Gott und unsere Mitmenschen aufrichtig lieben.

Wir schaffen es bestimmt nicht, wenn wir die Nachfolge Jesu mit schleppenden Schritten antreten, immer auf die Uhr schauen und uns bei jeder Gelegenheit beklagen.

Wenn wir das Evangelium leben wollen, dürfen wir nicht wie der Junge sein, der seinen Zeh ins Wasser steckt und dann erklärt, er sei schwimmen gegangen. Als Söhne und Töchter unseres Vaters im Himmel sind wir zu weitaus mehr fähig. Gute Absichten reichen da nicht aus. Wir müssen etwas tun. Und vor allem müssen wir so werden, wie der Vater im Himmel uns haben will.

Wenn wir ein Zeugnis vom Evangelium ablegen, ist das gut und schön, doch ein lebendes Beispiel für das wiederhergestellte Evangelium zu sein, ist besser. Wenn wir die Bündnisse noch treuer halten wollen, ist das gut und schön, doch heiligen Bündnissen wirklich treu zu sein – indem man ein tugendhaftes Leben führt, seinen Zehnten und die Opfergaben zahlt, das Wort der Weisheit hält und Menschen in Not hilft –, ist weitaus besser. Wenn wir erklären, dass wir als Familie mehr Zeit mit Beten, Schriftstudium und nützlichen Aktivitäten zubringen wollen, ist das gut und schön, doch erst wenn wir das auch wirklich alles zuverlässig umsetzen, stellen sich Segnungen vom Himmel in unserem Leben ein.

Ein Jünger sein heißt, dass man danach strebt, heilig und glücklich zu sein. Dieser Weg führt uns zu unserem besten, glücklichsten Selbst.

Fassen wir den Beschluss, dem Heiland zu folgen, und arbeiten wir fleißig daran, der Mensch zu werden, der wir werden sollen. Hören wir auf die Eingebungen des Heiligen Geistes und befolgen wir sie. Wenn wir das machen, wird der Vater im Himmel uns Tatsachen über uns offenbaren, von denen wir keine Ahnung hatten. Er wird den Weg erleuchten, der vor uns liegt, und uns für die unbekannten oder gar ungeahnten Talente, die in uns stecken, die Augen öffnen.

Je mehr wir mit ganzem Herzen danach streben, glücklich und heilig zu werden, desto sicherer vermeiden wir einen Weg, den wir eines Tages bedauern. Je mehr wir uns der Gnade des Erretters anvertrauen, desto mehr werden wir spüren, dass wir auf dem Kurs sind, den der Vater im Himmel für uns vorgesehen hat.

Ich wünschte, ich hätte mir gestattet, glücklicher zu sein

Noch etwas bedauern diejenigen, die der Tod erwartet. Es mag ein wenig überraschen. Sie wünschen, sie hätten sich gestattet, glücklicher zu sein.

Allzu oft erliegen wir dem Trugschluss, dass sich das, was uns glücklich machen würde, knapp außerhalb unserer Reichweite befindet: bessere Verhältnisse in der Familie, eine finanziell bessere Lage oder das Ende einer schweren Prüfung.

Je älter wir werden, desto mehr halten wir Rückschau und erkennen, dass es auf die äußeren Umstände eigentlich gar nicht ankommt; sie bestimmen nicht, wie glücklich wir sind.

Auf uns kommt es an! Wir bestimmen, wie glücklich wir sind.

Letzten Endes ist jeder von uns selbst dafür verantwortlich, wie glücklich er ist.

Meine Frau Harriet und ich fahren gerne Rad. Es ist wunderbar, sich aufzumachen und die Schönheiten der Natur zu genießen. Bestimmte Strecken fahren wir sehr gerne, aber wir achten nicht sonderlich darauf, wie weit wir kommen oder wie schnell wir verglichen mit anderen Radfahrern sind.

Manchmal aber denke ich, wir sollten ein wenig mehr sportlichen Ehrgeiz an den Tag legen. Ich finde sogar, wir könnten eine bessere Zeit herausfahren oder schneller fahren, wenn wir uns nur ein wenig mehr anstrengen würden. Bisweilen unterläuft mir dann der große Fehler, diese Gedanken meiner lieben Frau mitzuteilen.

Ihre übliche Reaktion auf solche Art Vorschläge meinerseits ist immer sehr nett, sehr deutlich und sehr direkt. Sie lächelt und sagt: „Dieter, das ist hier kein Wettrennen, sondern ein Ausflug. Genieße den Augenblick!“

Wie sehr sie doch Recht hat!

Manchmal versteifen wir uns im Leben so sehr auf die Ziellinie, dass wir die Freude an der Fahrt verpassen. Ich gehe ja mit meiner Frau nicht Rad fahren, weil ich unbedingt ins Ziel kommen will. Ich gehe, weil ich es so schön und angenehm finde, mit ihr zusammen zu sein.

Wäre es nicht Unfug, sich schöne und angenehme Erlebnisse zu verderben, nur weil man ständig den Augenblick erwartet, wann sie vorbei sind?

Wenn wir schöne Musik hören, warten wir dann, bis der letzte Ton verklingt, ehe wir uns gestatten, sie wirklich zu genießen? Nein. Wir hören zu und folgen die ganze Zeit den Melodiewechseln, dem Rhythmus und dem Wohlklang der Komposition.

Wenn wir ein Gebet sprechen, haben wir dann nur das „Amen“ am Ende vor Augen? Natürlich nicht. Wir beten, um unserem himmlischen Vater nahe zu sein, seinen Geist zu empfangen und seine Liebe zu spüren.

Wir sollten mit dem Glücklichsein nicht zu lange warten, nur um irgendwann zu erkennen, dass das Glück doch die ganze Zeit schon ganz nah war! Das Leben ist nicht dazu bestimmt, dass man es nur im Rückblick genießt. „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat“, schreibt der Psalmist. „Wir wollen jubeln und uns an ihm freuen.“6

Brüder und Schwestern, wie die Verhältnisse auch aussehen mögen, vor welchen Aufgaben und Prüfungen wir auch stehen mögen: Jeder Tag hat etwas, was man annehmen und schätzen kann. Jeder Tag hat etwas, was Dankbarkeit und Freude auslösen kann, wenn man es nur erkennen will und einen Sinn dafür hat.

Vielleicht sollten wir weniger mit den Augen sehen und mehr mit dem Herzen. Mir gefällt der Spruch: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“7

Es ist uns geboten, „in allem zu danken“8. Ist es denn nicht besser, mit dem Augen und dem Herzen selbst Kleinigkeiten zu erkennen, für die man dankbar sein kann, als immer nur das Negative an den derzeitigen Umständen herauszustellen?

Der Herr hat verheißen: „Wer alles mit Dankbarkeit empfängt, der wird herrlich gemacht werden; und die Dinge dieser Erde werden ihm hinzugefügt werden, ja, hundertfältig, ja, mehr.“9

Brüder und Schwestern, angesichts der überreichen Segnungen von unserem himmlischen Vater, seines großzügigen Erlösungsplans, der überragenden Wahrheiten des wiederhergestellten Evangeliums und der zahlreichen Schönheiten auf diesem Weg durchs Leben, „haben wir [da] nicht Grund, uns zu freuen“10?

Fassen wir den Beschluss, glücklich zu sein, wie immer die Umstände auch aussehen mögen

Was man beschließen sollte

Eines Tages müssen wir den unvermeidlichen Schritt gehen und von diesem sterblichen Zustand in den nächsten eintreten. Eines Tages blicken wir auf unser Leben zurück und fragen uns, ob wir hätten besser sein, bessere Entscheidungen treffen oder unsere Zeit vernünftiger nutzen können.

Damit wir nicht eines Tages so manches zutiefst bedauern müssen, wäre es sehr klug, schon heute ein paar Beschlüsse zu fassen. Mögen wir daher:

  • den Beschluss fassen, mehr Zeit mit den Menschen zu verbringen, die wir lieben

  • den Beschluss fassen, mit noch größerer Ernsthaftigkeit der Mensch zu werden, den Gott haben will

  • den Beschluss fassen, glücklich zu werden, wie immer die Umstände auch aussehen mögen

Ich habe ein Zeugnis davon, dass vieles, was man später einmal zutiefst bedauert, sich abwenden lässt, wenn man schon heute dem Erretter folgt. Falls wir gesündigt oder Fehler begangen haben, falls wir Entscheidungen getroffen haben, die wir inzwischen bedauern: Es gibt das kostbare Geschenk des Sühnopfers Christi, durch das uns vergeben werden kann. Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen und die Vergangenheit ändern, aber wir können umkehren. Der Erlöser kann uns die voller Bedauern vergossenen Tränen trocknen11 und uns die Last unserer Sünden abnehmen.12 Sein Sühnopfer gestattet es uns, die Vergangenheit hinter uns zu lassen und mit reinen Händen und einem lauteren Herzen13 vorwärtszugehen, fest entschlossen, es besser zu machen und vor allem besser zu werden.

Ja, dieses Leben zieht rasch dahin, unsere Tage scheinen schnell zu verblassen und der Tod wirkt manchmal beängstigend. Nichtsdestotrotz wird unser Geist aber weiterleben und eines Tages, vereint mit einem auferstandenen Körper, von unsterblicher Herrlichkeit bekleidet werden. Ich gebe feierlich Zeugnis, dass wir dank des barmherzigen Messias alle auf ewig wieder leben werden. Dank unseres Erretters und Erlösers werden wir die Worte „der Stachel des Todes ist in Christus verschlungen“14 eines Tages wirklich begreifen und uns darüber freuen.

Der Weg, der dazu führt, dass wir unsere göttliche Bestimmung als Söhne und Töchter Gottes erfüllen, ist ein ewiger. Meine lieben Brüder und Schwestern, liebe Freunde, wir müssen noch heute beginnen, diesen ewigen Weg zu beschreiten; wir dürfen keinen einzigen Tag für selbstverständlich halten. Ich bete darum, dass wir nicht warten, bis wir zu sterben bereit sind, ehe wir wirklich lernen zu leben. Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.