1990–1999
Der Zeuge Martin Harris
April 1999


Der Zeuge Martin Harris

Mit das Wichtigste, das Martin Harris für die Kirche tat, war die Finanzierung der Veröffentlichung des Buches Mormon, und er sollte immer dafür geehrt werden.

DAS GESETZ DER ZEUGEN

Zeugen und Zeugnisse spielen im Plan Gottes für die Errettung seiner Kinder eine wesentliche Rolle. In der Gottheit hat der Heilige Geist die Aufgabe, vom Vater und vom Sohn Zeugnis zu geben (siehe 2 Nephi 31:18). Der Vater hat vom Sohn Zeugnis gegeben (siehe Matthäus 3:17; 17:5; Johannes 5:31­39), und der Sohn hat vom Vater Zeugnis gegeben (siehe Johannes 17). Der Herr hat seinen Dienern geboten, von ihm Zeugnis zu geben (siehe Jesaja 43:10; Mosia 18:9; LuB 84:62). Alle Propheten haben von Jesus Christus Zeugnis gegeben (siehe Apostelgeschichte 10:43; Offenbarung 19:10).

In den heiligen Schriften steht: “Durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen wird jede Sache entschieden.” (2 Korinther 13:1; siehe auch LuB 6:28; Deuteronomium 19:15.) Für die wichtigsten errettenden heiligen Handlungen ­ Taufe, Ehesiegelung und andere heilige Handlungen im Tempel ­ werden Zeugen verlangt (siehe LuB 127:6; 128:3).

Die Bibel zeugt von Jesus Christus durch Prophezeiungen über sein Kommen, durch Berichte von seinem Wirken und durch die Zeugnisse derer, die seine Botschaft in die Welt hinausgetragen haben. Im Buch Mormon steht das gleiche: Zeugnisse aus der Zeit vor, während und nach dem Wirken des Messias. Deswegen trägt es jetzt auch den Titel “Ein weiterer Zeuge für Jesus Christus”.

ZEUGEN FüR DAS BUCH MORMON

Für das Buch Mormon selbst gibt es auch Zeugen. Ich möchte über die Bedeutung ihres Zeugnisses und über das Leben eines der Zeugen sprechen.

Als Joseph Smith das Buch Mormon übersetzte, offenbarte der Herr, daß die Welt außer dem Zeugnis des Propheten auch noch folgendes erhalten sollte: “Das Zeugnis von drei meiner Knechte, die ich berufen und ordinieren will und denen ich diese Dinge zeigen will.” (LuB 5:11; siehe auch Ether 5:2­4; 2 Nephi 27:12,13). “Sie sollen mit Bestimmtheit wissen, daß dies wahr ist, denn vom Himmel will ich es ihnen verkünden.” (LuB 5:12.)

Es gab auch noch acht Zeugen, aber ihr Zeugnis ist ein anderes Thema.

Die drei Männer, die als Zeugen für das Buch Mormon ausgewählt wurden, waren Oliver Cowdery, David Whitmer und Martin Harris. Ihr schriftliches “Zeugnis von drei Zeugen” steht in allen der fast einhundert Millionen Exemplare des Buches Mormon, die die Kirche seit 1830 veröffentlicht hat. Diese Zeugen bezeugen feierlich, daß sie “die Platten gesehen [haben], die diesen Bericht enthalten” und “die Gravierungen …, die auf den Platten sind”. Sie bezeugen, daß diese Schriften “durch die Gabe und Macht Gottes übertragen worden sind; denn seine Stimme hat uns dies verkündet”. Sie geben Zeugnis:

“Und wir verkünden feierlich und ausdrücklich, daß ein Engel Gottes vom Himmel herabgekommen ist und die Platten gebracht und vor unsere Augen gelegt hat, so daß wir sie erblickt und gesehen haben, ebenso die Gravierungen darauf. Und wir wissen, daß wir dies durch die Gnade Gottes des Vaters und unseres Herrn Jesus Christus geschaut haben, und geben Zeugnis, daß es wahr ist.”

Weiter: “Die Stimme des Herrn [hat uns] geboten, dies zu bezeugen; und um dem Gebot Gottes zu gehorchen, geben wir davon Zeugnis.” (“Das Zeugnis von drei Zeugen”, Buch Mormon.)

Jemand, der die Möglichkeit übernatürlicher Wesen leugnet, mag dieses bemerkenswerte Zeugnis verwerfen, aber jemand, der bereit ist, an übernatürliche Erfahrungen zu glauben, sollte es überzeugend finden. Das feierliche Zeugnis der drei Zeugen von dem, was sie gesehen und gehört haben ­ zwei davon gleichzeitig und der dritte unmittelbar danach ­ hat ein Anrecht darauf, ernst genommen zu werden. Wir wissen, daß viele gläubige Menschen große Wunder auf das Zeugnis eines Zeugen hin akzeptieren, und in der Welt hat das Zeugnis eines einzigen Zeugen genügend Gewicht für harte Strafen und Urteile.

Menschen, die Erfahrung darin haben, Zeugnisse zu beurteilen, untersuchen im allgemeinen, ob der Zeuge Gelegenheit hatte, etwas zu beobachten, und ob er voreingenommen ist. Wenn verschiedene Zeugen über einen Vorfall genau das gleiche aussagen, suchen Skeptiker nach Anzeichen einer heimlichen Absprache zwischen ihnen oder nach anderen Zeugen, die sie widerlegen könnten.

Gemessen an all diesen möglichen Einwänden ist das Zeugnis der drei Zeugen vom Buch Mormon sehr glaubwürdig. Jeder der drei hatte viele Gründe und viele Möglichkeiten, sein Zeugnis zu widerrufen, wenn es falsch gewesen wäre, oder Details zu ändern, wenn sie ungenau gewesen wären. Es ist bekannt, daß jeder dieser drei Zeugen innerhalb von acht Jahren nach diesem Zeugnis wegen Uneinigkeit oder Eifersucht auf andere Führer der Kirche von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage exkommuniziert wurde. Sie gingen getrennte Wege und hatten kein Interesse daran, ein heimliches Einverständnis aufrechtzuerhalten. Aber bis ans Ende ihres Lebens ­ 12 bis 50 Jahre nach ihrer Exkommunizierung ­ wich keiner dieser Zeugen von seinem Zeugnis ab oder sagte etwas, das uns an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln ließe.

Darüber hinaus wird ihrem Zeugnis nicht von anderen Zeugen widersprochen. Man kann es verwerfen, aber wie erklärt man sich dann, daß drei Männer mit gutem Leumund gemeinsam dieses Zeugnis bis ans Ende ihres Lebens verteidigten, obwohl sie verspottet wurden und auch andere Nachteile davon hatten? Wie für das Buch Mormon selbst gibt es dafür keine bessere Erklärung als die, die in dem Zeugnis steht ­ die feierliche Aussage von guten und ehrlichen Männern, die berichteten, was sie gesehen hatten.

MARTIN HARRIS

Da ich besonderes Interesse an Martin Harris habe, bin ich traurig über das, was die meisten Mitglieder von ihm halten. Er hat etwas Besseres verdient, als nur für einen Mann gehalten zu werden, der die ursprünglichen Manuskriptseiten des Buches Mormon auf unredliche Art erlangte und dann verlor.

Als das Buch Mormon veröffentlicht wurde, war Martin Harris fast siebenundvierzig Jahre alt, mehr als zwanzig Jahre älter als Joseph Smith und die anderen beiden Zeugen. Er war ein angesehener und wohlhabender Bürger in Palmyra. Er besaß eine 97 Hektar große Farm, sehr groß für jene Zeit und jenen Ort. Er war ein achtbarer Veteran, der im Krieg von 1812 in zwei Schlachten gekämpft hatte. Seine Mitbürger vertrauten ihm viele ämter und Pflichten an. Sein Fleiß und seine Integrität waren überall anerkannt. Zeitgenossen beschrieben ihn als “fleißigen, schwer arbeitenden Farmer, gewandt im Umgang mit Geschäftspartnern, sparsam in seinen Gewohnheiten” und “strikt ehrlich in seinen Geschäften” (zitiert in Richard Lloyd Anderson, Investigating the Book of Mormon Witnesses [1981], 96f.,98).

Dieser wohlhabende, aufrechte ältere Mann freundete sich mit dem jungen und mittellosen Joseph Smith an und gab ihm fünfzig Dollar, damit er seine Schulden in Palmyra bezahlen und in den Nordosten von Pennsylvania ziehen konnte ­ eine Entfernung von 230 Kilometern. Dort begann Joseph Smith im April 1828 mit der übersetzung des Buches Mormon. Er diktierte, und Martin Harris schrieb, bis das Manuskript 116 Seiten umfaßte.

Martin verlangte hartnäckig, das Manuskript seiner Familie zeigen zu dürfen, und Joseph gab schließlich nach und ließ zu, daß Martin das Manuskript nach Palmyra mitnahm. Dort wurde es gestohlen und ging verloren, vielleicht wurde es verbrannt. Der Herr tadelte Martin und Joseph deswegen. Joseph verlor eine Zeitlang die übersetzergabe. Martin nannte der Herr einen “schlechten Menschen … der die Ratschläge Gottes für nichts achtete und die heiligsten, vor Gott gegebenen Versprechen brach” (LuB 3:12,13; siehe auch LuB 10). Zum Glück vergab der Herr Martin und Joseph später, und die übersetzungsarbeit wurde mit anderen Schreibern fortgesetzt. Wir ehren Joseph für seinen großartigen Dienst, aber Martin steht trotz seiner späteren Glaubenstreue in einem Schatten, aus dem dieser wichtige Mann herausgeführt werden sollte.

Ich will über einige Höhepunkte in Martins Leben nach dieser niederschmetternden Episode des gestohlenen und verlorengegangenen Manuskripts berichten.

Etwa neun Monate, nachdem Martin getadelt worden war, erhielt der Prophet Joseph eine Offenbarung, in der es hieß, daß es drei Zeugen für die Platten geben werde und wenn Martin sich genügend demütige, werde er sie sehen dürfen (siehe LuB 5:11,15,24). Einige Monate später wurde Martin Harris als einer der drei Zeugen ausgewählt und hatte das Erlebnis und gab das Zeugnis, das ich eben beschrieben habe.

Mit das Wichtigste, das Martin Harris für die Kirche tat, war die Finanzierung der Veröffentlichung des Buches Mormon, und er sollte immer dafür geehrt werden. Im August 1829 belastete er sein Haus und sein Land mit einer Hypothek zugunsten von Egbert B. Grandin als Sicherheit dafür, daß der Druck des Buches bezahlt werden konnte. Sieben Monate später waren 5000 Exemplare des ersten Buches Mormon fertig. Als die Hypothek später fällig wurde, wurden das Haus und ein Teil des Landes für dreitausend Dollar verkauft. So befolgte Martin Harris diese Offenbarung des Herrn:

“Sei nicht begierig nach deinem eigenen Eigentum, sondern gib davon gern für den Druck des Buches Mormon… .

Bezahle die Schulden, die du beim Drucker gemacht hast. Befreie dich aus der Knechtschaft.” (LuB 19:26,35.)

Andere Berichte und Offenbarungen zeigen, daß Martin Harris wichtigen Anteil an den Aktivitäten der wiederhergestellten Kirche hatte und wie er vor Gott dastand. Er war dabei, als die Kirche am 6. April 1830 gegründet wurde, und er wurde am selben Tag getauft. Ein Jahr später wurde er berufen, mit Joseph Smith, Sidney Rigdon und Edward Partridge nach Missouri zu reisen (siehe LuB 52:24). In Missouri erhielt er im selben Jahr ­ 1831 ­ das Gebot: “Es ist nach meiner Weisheit, daß mein Knecht Martin Harris der Kirche ein Vorbild sein soll, indem er seine Gelder vor den Bischof der Kirche legt.” (LuB 58:35.) So war er der erste, den der Herr namentlich anwies, Zion sein Eigentum zu weihen. Zwei Monate später wurde er mit Joseph Smith, Oliver Cowdery, Sidney Rigdon und anderen “zu Treuhändern der Offenbarungen und Gebote” (LuB 70:1,3) berufen. Das war eine Anweisung, das Buch zu veröffentlichen und in Umlauf zu bringen, aus dem später das Buch Lehre und Bündnisse wurde.

1832 wurde Martins älterer Bruder Emer, der mein Ururgroßvater ist, aus Ohio auf eine Mission berufen (siehe LuB 75:30). Emer predigte ein Jahr lang das Evangelium in seiner früheren Heimat im Nordosten von Pennsylvania. Die meiste Zeit hatte er Martin als Mitarbeiter, der wegen seiner eifrigen Predigten sogar ein paar Tage ins Gefängnis kam. Die beiden Brüder tauften fast hundert Menschen. Darunter war auch eine Familie Oaks, zu der mein Ururgroßvater gehörte. So stammen mein Mittel- und mein Nachname von den Großvätern, die damals, 1832/1833, im Kreis Susquehanna zusammentrafen.

Als Martin Harris nach seiner Mission im Februar 1834 nach Kirtland zurückkehrte, wurde er durch Offenbarung in den ersten Hohenrat der Kirche berufen (siehe LuB 102:3). Weniger als drei Monate später verließ er mit dem Zionslager Kirtland und marschierte 1400 Kilometer nach Missouri, um den Heiligen zu helfen, die dort verfolgt wurden.

Eins der wichtigsten Ereignisse der Wiederherstellung war die Berufung des Kollegiums der Zwölf Apostel im Februar 1835. Die drei Zeugen, zu denen ja auch Martin Harris gehörte, wurden dazu bestimmt, “die Zwölf auszusuchen” (LuB 18:37) und sie mit der Vollmacht, die der Prophet und seine Ratgeber gewährten, zu ordinieren. [Diese Ordinierungen wurden dann von der Ersten Präsidentschaft bestätigt.] (Siehe B. H. Roberts, Comprehensive History, 1:372­75).

Aus dieser Position, die mit großem Einfluß und Vollmacht verbunden war, fielen alle drei Zeugen, jeder auf seine Art. 1837 gab es in Kirtland große finanzielle und geistige Konflikte. Martin Harris sagte später, er habe “das Vertrauen zu Joseph Smith” verloren und “sein Sinn” sei “verdunkelt” worden (zitiert in Anderson, Investigating the Book of Mormon Witnesses, 110). Er wurde im September 1837 aus dem Hohenrat entlassen und drei Monate später exkommuniziert.

Martins Frau Lucy, die bei dem Verlust des Manuskripts ihre Hand im Spiel gehabt hatte, starb 1836 in Palmyra. Im Jahr darauf zog Martin mit seiner Familie nach Kirtland und heiratete Caroline Young, eine Nichte von Brigham Young.

Als die meisten Heiligen weiterzogen ­ erst nach Missouri, dann nach Nauvoo und schließlich in den Westen ­ blieb Martin Harris in Kirtland. Dort wurde er 1842 von einem durchreisenden Missionar erneut getauft. 1856 unternahmen Caroline und ihre vier Kinder die lange Reise nach Utah, aber Martin, der damals 73 Jahre alt war, blieb in Kirtland. 1860 gab er bei der Volkszählung an, er sei “Mormonenprediger”, was zeigt, daß er immer noch treu zum wiederhergestellten Evangelium stand. Später sagte er einem Besucher: “Ich habe niemals die Kirche verlassen, sondern die Kirche hat mich verlassen” (zitiert in William H. Homer jun., “Publish It Upon the Mountains’: The Story of Martin Harris”, Improvement Era, Juli 1955, 505). Damit meinte er natürlich, daß Brigham Young die Kirche nach Westen geführt hatte und der alternde Martin in Kirtland geblieben war.

In seinen verbleibenden Jahren in Kirtland arbeitete Martin zum Teil als selbsternannter Führer und Verwalter für den verlassenen Tempel in Kirtland, den er liebte. Besucher berichteten davon, daß er sich den Führern der Kirche in Utah entfremdet habe, aber auch davon, daß er immer noch an seinem Zeugnis vom Buch Mormon festhielt.

Schließlich, 1870, wollte Martin gern wieder mit seiner Familie in Utah zusammen sein. Er erhielt eine herzliche Einladung von Brigham Young sowie eine Fahrkarte und wurde von einem der Siebzigerpräsidenten offiziell begleitet. Ein Journalist, der den Siebenundachtzigjährigen interviewte, beschrieb ihn als “bemerkenswert vital für sein Alter, … mit einem sehr guten Gedächtnis” (Deseret News, 31. August 1870). Er wurde noch einmal getauft, wie es damals üblich war, und sprach zweimal in diesem Tabernakel. Wir haben keinen offiziellen Bericht über das, was er sagte, aber wir können sicher sein, was im Mittelpunkt stand, weil mehr als fünfunddreißig Personen ähnliche Berichte davon hinterlassen haben. Einer berichtete, Martin habe gesagt: “Das ist nicht nur Glauben, sondern Wissen. Ich habe die Platten und die Schrift darauf gesehen. Ich habe den Engel gesehen, und er hat sie mir gezeigt.” (Zitiert in Anderson, Investigating the Book of Mormon Witnesses, 116.)

Als Martin Harris in seinen letzten Lebensjahren einmal sein Zeugnis vom Buch Mormon wiederholte, sagte er: “Ich sage Euch das, damit Ihr anderen mitteilen könnt, daß das, was ich sage, wahr ist, und daß ich nicht wage, es zu verleugnen; ich habe die Stimme Gottes gehört, die mir gebot, davon Zeugnis zu geben.” (Zitiert in Anderson, Investigating the Book of Mormon Witnesses, 118.)

Martin Harris starb 1875 mit 92 Jahren in Clarkston, Utah. Die Aufführung Martin Harris: The Man Who Knew, die jedes Jahr in Clarkston stattfindet, erinnert an ihn.

Was lernen wir aus diesem Beispiel? (1) Zeugen sind wichtig, und das Zeugnis der drei Zeugen vom Buch Mormon ist eindrucksvoll und zuverlässig. (2) Wir erleben Glück und geistigen Fortschritt, wenn wir den Führern der Kirche folgen. (3) Es gibt für jeden von uns Hoffnung, selbst wenn wir gesündigt haben und von einer hohen Stellung gefallen sind.

Die Einladung des Herrn ist herzlich und liebevoll: “Kommt zurück und speist an der Tafel des Herrn, kostet erneut die süßen und sättigenden Früchte der Gemeinschaft mit den Heiligen.” (“An Invitation to Come Back”, Church News, 22. Dezember 1985, 3.) Ich bezeuge, daß dies das Wort und das Werk des Herrn ist. Im Namen Jesu Christi, amen.